Innenminister Herbert Kickl (FPÖ)
APA/Roland Schlager
Dringliche Anfrage

Kickl: „Es ist das Gegenteil von Zensur“

Die Mail aus dem Innenressort, die der Polizei einen selektiven Umgang mit Medien empfiehlt, hat auch am Mittwoch Wellen geschlagen. Im Nationalrat musste sich Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) dazu einer Dringlichen Anfrage stellen. Dabei nutzte er die Gelegenheit für einen Gegenangriff.

Insgesamt 52 Fragen richtete NEOS an Kickl. In der Begründung der Dringlichen Anfrage hieß es: „Wenn in dem Schreiben des Innenministeriums davon gesprochen wird, den Informationsfluss zu ‚kritischen Medien‘ auf ein Minimum zu beschränken, ist das ein Frontalangriff auf die Pressefreiheit.“

„Klärendes Gespräch“

In der Mail von Innenministeriumssprecher Christoph Pölzl an diverse Polizeidienststellen wurde Beamtinnen und Beamten empfohlen, die Kommunikation mit kritischen Medien auf das nötigste – rechtlich vorgesehene – Maß zu beschränken. Darüber hinaus wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, bei der polizeilichen Medienarbeit künftig generell die Herkunft von mutmaßlichen Täterinnen und Tätern zu nennen und Sexualdelikte, die in der Öffentlichkeit begangen werden, offensiver zu kommunizieren.

Minister Kickl verteidigt sein Ressort

Nach der umstrittenen Mail seines Ressortsprechers beantwortete Kickl eine Dringliche Anfrage. Weder er noch seine Mitarbeiter zögen die Pressefreheit in Zweifel, so Kickl.

Der NEOS-Abgeordnete Nikolaus Scherak wandte sich am Mittwoch in einer emotionalen Rede an Kickl. Dieser habe 24 Stunden gebraucht, „um sich ein bisschen zu distanzieren“. Kickl hatte Dienstagabend per Aussendung auf die Vorwürfe reagiert. „Die Formulierungen bezüglich des Umgangs mit ‚kritischen Medien‘ finden nicht meine Zustimmung“, wurde Kickl in einer Mitteilung von Dienstag zitiert: „Die Pressefreiheit ist unantastbar und ein wesentlicher Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft.“ Er, Kickl, habe mit Pölzl ein klärendes Gespräch geführt. Zudem kündigte das Innenministerium an, neue Leitlinien für die Kommunikationsarbeit zu formulieren.

Scherak: „Gefahr für die Demokratie“

Er habe „immer wieder geglaubt, dass es nicht schlimmer geht“, sagte der NEOS-Mandatar. „Wir wurden aber immer wieder überrascht.“ Das Ministerium habe einen Einschüchterungsversuch gegenüber Österreichs Medien unternommen. Wenn das Schreiben des Ressortsprechers keinen Weisungscharakter gehabt habe, „was soll das dann sonst sein?“, fragte Scherak. Er bezeichnete Kickl abschließend als „Gefahr für Pressefreiheit“ und für die Demokratie an sich. „Er ist der Chef, und alles was im Ministerium passiert, liegt in dessen Verantwortung.“ Die Medien würden sich in Zukunft natürlich „ganz genau überlegen, was sie schreiben, weil sie dann keine Informationen mehr bekommen“, so Scherak.

Kickl drehte den Spieß in der folgenden Anfragebeantwortung um: Scherak habe eine „Dramaqueen-Inszenierung“ abgeliefert. Doch trotz aller Unterschiede in den politischen Positionen gebe es zwischen Opposition und Regierung „doch das eine oder andere Grundsätzliche, das wir miteinander gemein haben“. Das sei etwa ein klares Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit. Weder er, Kickl, noch seine Mitarbeiter hätten diese je infrage gestellt oder in Zweifel gezogen.

Zwischen Schein und Sein

Diejenigen, die den Vorwurf des Beschneidens der Pressefreiheit erhöben, seien dieselben, die ihm etwa „vor Kurzem unterstellt haben, das BVT bewaffnet gestürmt zu haben“, sagte der Minister. Diese Vorwürfe würden in das Konzept der Opposition passen, „aber es sind keine Tatsachen“.

Die Opposition habe hier ein Gespenst schaffen wollen. Es gebe jedoch einen Unterschied „zwischen Schein und Sein“: „Wenn behauptet wird, es gebe einen Maulkorb oder eine Informationssperre, einen Medienboykott oder einen Frontalangriff auf die Pressefreiheit, dann ist das alles Schein und hat mit dem Sein nichts zu tun“, so Kickl.

Hinweis auf Auskunftspflicht

Die Mail sei ein Schreiben seines Ressortsprechers gewesen und habe daher keinerlei Weisungscharakter. Er könne auch nicht alle Mails seiner Mitarbeiter kennen. Zudem finde sich in der Mail kein Wort über Sperre oder Boykott. Stattdessen finde sich eines: „Ein eindeutiger Verweis auf die Notwendigkeit der Erfüllung der rechtlichen Auskunftspflicht.“

Das Schreiben sei „das Gegenteil von Zensur“, sagte Kickl unter lautem Rumoren im Plenum. Das Ministerium wolle mehr Transparenz schaffen – indem man die Herkunft mutmaßlicher Täter nenne und Sexualdelikte verstärkt thematisiere. „Und da werfen Sie uns Zensur vor“, so Kickl, der die Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht 2015/16 als Negativbeispiel anführte. „Dort, wo wir transparent sein wollen, tun wir das Gegenteil von Vertuschen und Verharmlosen, was viel zu lange in diesem Land passiert ist.“ Nun komme man einem „Transparenzbedürfnis“ der Bevölkerung entgegen.

Angriff auf die Opposition

Man gebe Informationen unter Erfüllung der Auflagen des Persönlichkeitsschutzes an Medien weiter, und diese würden entscheiden, wie damit zu verfahren sei. „Das ist die vollkommene Freiheit der Medien, die Pressefreiheit, von der Sie immer reden.“ In der Beantwortung der Fragen, die Kickl in Windeseile abarbeitete, betonte der Minister erneut, die Mail stamme einzig und allein von Pölzl. Er habe erst vor zwei Tagen davon erfahren. Einen Auftrag dafür habe es nicht gegeben. Die Mail beruhe auf Erfahrungen des Ressortsprechers mit Medien. „Diese Erfahrungen sind mir nicht bekannt“, sagte Kickl. Der Verdacht der Einseitigkeit mancher Medien aber sei vorhanden.

Kickl attackierte die Opposition mehrmals während seiner Stellungsnahme. Diese würde Dinge „aufplustern“ und gleich den Staatsnotstand ausrufen. „Das entbehrt jedweden Tatsachensubstrats.“

Amon fragt nach personellen Konsequenzen

In der anschließenden Debatte ließ auch Koalitionspartner ÖVP ließ Distanz zum Vorgehen des Innenministeriums durchschimmern. Sicherheitssprecher Werner Amon kritisierte das Schreiben. Kritik der Medien sei zwar unangenehm, diese müsse man aber in einer Demokratie aushalten. Kickl habe aber klargestellt, entsprechende Leitlinien an die Polizeistellen überarbeiten zu lassen. Die Frage, welche personelle Konsequenzen der Minister in seinem Ressort ziehe, stelle sich angesichts solch einer heiklen Mail schon, meinte Amon. Justizsprecherin Michaela Steinacker zeigte auch Distanz zur Vorgabe, die Nationalität von Verdächtigen grundsätzlich zu nennen.

ÖVP und FPÖ wiesen darauf hin, dass ein einschränkender Umgang mit Medien immer wieder vorkomme. Der geschäftsführende FPÖ-Klubchef Johann Gudenus fand nichts dabei, dass man die Nationalität von Tätern kommunizieren wollte. Die Opposition wolle nur verheimlichen, dass der Anteil an Asylwerbern unter den Tätern „explodiert“ sei.

NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper glaubte, dass die Stimmung im Land durch gezielte Manipulation beeinflusst werden sollte: „Sie hetzen die Menschen gegeneinander auf, weil sie und ihre Gesinnungsgenossen von Angst und Zwietracht leben, die sie selbst gesät haben.“ Der neue SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda sprach von einem Angriff auf die demokratische Republik. Peter Pilz (Liste Pilz) versuchte, große Dimensionen herzustellen. Wie in anderen Staaten würden rechtsgerichtete Parteien versuchen, zunächst den Sicherheitsdienst zu übernehmen und danach Druck auf unabhängige Justiz und unabhängige Medien auszuüben.

Weiter Kritik von Journalisten und Politik

Die Kritik an Kickls Ressort riss auch außerhalb des Hohen Hauses am Mittwoch nicht ab. Die Vereinigung Europäischer Journalisten (Association of European Journalists, AEJ) verurteilte den „Angriff auf die Pressefreiheit in Österreich“. Präsident Otmar Lahodynsky bezeichnete Kickl als „Wiederholungstäter“: Lahodynsky erinnerte daran, dass es Hinweise aus dem Innenministerium gegeben habe, dass im Zuge der BVT-Affäre Hausdurchsuchungen bei investigativen Journalisten geplant seien. „Offenbar orientiert sich der Innenminister immer stärker an den bereits erfolgten Einschränkungen der Medienfreiheit in Ungarn oder Polen“, meinte der AEJ-Präsident. Wer Medien in gute und schlechte einteile, handle „wie ein Autokrat, nicht wie ein demokratisch gewählter Politiker“, so Lahodynsky.

Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) wendete sich mit einer Resolution an Kickl. Er solle sicherstellen, dass alle Medien „vollständig und diskriminierungsfrei“ informiert werden. Pressefreiheit bedeute auch „den freien Zugang zu Information“, hielt der VÖZ-Vorstand fest.

Die Sozialdemokraten im EU-Parlament zeigten sich am Mittwoch „alarmiert“: „Der jüngste Vorstoß des österreichischen Innenministers Herbert Kickl, kritischen Medien den Informationshahn zuzudrehen, ist skandalös“, kritisierte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Udo Bullmann, in einer Aussendung.

Misstrauensanträge abgelehnt

Die Misstrauensanträge der Opposition gegen Kickl waren im Anschluss nicht von Erfolg gekrönt. Die Koalition stimmte am Abend gegen die gemeinsam von NEOS und SPÖ getragene Initiative, ebenso gegen jene der Liste Pilz.

Die ÖVP hatte davor klargemacht, dass man nicht zustimmen werde, da Kickl sich von dem umstrittenen Medienpapier distanziert habe. Freilich schickte der Abgeordnete Werner Amon eine literarisch angehauchte Warnung in Richtung Kickl nach: „Vertrauen erschöpft sich dadurch, dass man es in Anspruch nimmt“, zitierte der ÖVP-Mandatar aus Bertolt Brechts „Leben des Galilei“.