Straßenszene in Wien
ORF.at/Roland Winkler
BVT-Zwischenbilanz

Wien ist ein Dorf

Die Affäre rund um das BVT ist so spannend, wie sie kompliziert ist. Dafür reicht schon ein kurzer Blick in den U-Ausschuss. Wer diesen in den vergangenen Wochen verfolgt hat, muss sich mit einem anonymen Konvolut, Vorwürfen gegen BVT-Beamte, parteipolitischen Interessen und zahlreichen Akteuren herumschlagen. Doch die undurchsichtige Geschichte über die Staatsschutzaffäre ist auch eine über „zufällige“ Treffen in Wien und viel Kaffee.

Insgesamt wurden in den ersten zwei Monaten (neun Ausschusstage) 26 Auskunftspersonen über die Vorgänge nach und vor der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und vier Privatadressen befragt. Darunter Polizisten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS), die den Staatsschutz durchsucht haben; die Staatsanwaltschaft, die ihre Arbeit verteidigte; ehemalige und aktive BVT-Beamte, die sowohl die „chaotische“ Razzia der EGS als auch die „Nachlässigkeit“ der Justiz kritisierten.

Die Positionen der Fraktionen haben sich durch die Zeugenaussagen kaum verändert – vielmehr sehen sich die Abgeordneten bestätigt. Für die Opposition aus SPÖ, NEOS und Liste Pilz ist Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) der Kopf hinter der Affäre. Er habe die Hausdurchsuchung über seine Mittelsmänner orchestriert. Die FPÖ hingegen will trotz Kritik nichts Verwerfliches an den Vorgängen erkennen. Denn Fakt sei, dass es Missstände und Seilschaften im BVT gibt. Anders sieht es die ÖVP, der eine Personalhoheit im BVT attestiert wird. Bewiesen sei gar nichts, der Staatsschutz leide aber unter der öffentlichen Debatte.

Das Treffen von zwei Belastungszeugen

Dass der U-Ausschuss nicht geheim tagt, sondern medienöffentlich ist, mag der eine kritisieren, der andere goutieren. Denn so kamen einige Details ans Tageslicht, mit denen sich die Schauplätze der BVT-Causa besser kartografieren lassen. Ein Blick auf die Zeugenaussagen legt die Vermutung nahe, dass Wien bloß ein Dorf ist – zumindest geografisch. In den Tagen und Wochen vor der Razzia Ende Februar sind einander hier jene Personen über den Weg gelaufen, die bei ihren Einvernahmen Mitte Februar bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Affäre erst so richtig ins Rollen gebracht haben.

Straßenszene in Wien
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Im Cafe Schwarzenberg tranken die Belastungszeugen P. und H. einen „schnellen Kaffee“

Die ehemalige BVT-Beamtin Ursula-Ria P., die seit September 2017 karenziert ist und am 21. Februar 2018 von der WKStA einvernommen wurde, begegnete eigenen Angaben zufolge im Jänner ihrem Ex-BVT-Kollegen Anton H. „zufällig“ auf der Straße. Im Cafe Schwarzenberg haben sie bei einem „schnellen Kaffee“ über die „Missstände im BVT“, etwa Mobbing, Machtspielchen und Amtsmissbrauch, gesprochen. P. habe diese „unbedingt“ beim Innenminister melden wollen. H., der am 23. Februar bei der WKStA aussagte, brachte Kickls Mitarbeiter Udo Lett ins Spiel, der wenige Tage später P. angerufen habe.

Laut P. folgte ein Treffen mit Lett am 16. Februar in einem Wiener Kaffeehaus „gleich am Beginn der Herrengasse“, und wenige Tage später ein Termin im Innenministerium, bei dem neben Lett auch Kickl und sein Generalsekretär Peter Goldgruber anwesend waren. Dieser habe die Vorwürfe von P. als Straftatbestand gedeutet, den er zur Anzeige bringen muss. Welcher dieser Vorwürfe strafrechtlich relevant war, konnte P. dem U-Ausschuss nicht näher erklären. Aber man müsse eben das Gesamtbild im BVT sehen, so P., die von Kabinettsmitarbeiter Lett zur WKStA als Vertrauensperson begleitet wurde.

Über Karenzierung zur WKStA

Dass die Razzia am Ende überhaupt stattfand, geht aber ohnehin auf die Fernlöschungsthese von Datenforensiker H. zurück. Danach hatte es die WKStA ziemlich eilig. Der Ex-BVT-Beamte hatte seine Vermutung allerdings nicht während seiner eigentlichen Einvernahme geäußert, sondern im Gespräch mit einem WKStA-IT-Experten erwähnt – also nicht unter Wahrheitspflicht. Dass H. bei Vorgesprächen im Innenressort war, wie Kickl in einer Anfragebeantwortung im Juli angab, stritt er zur Überraschung der Abgeordneten ab. Aber Lett, den H. bat, ihn als Vertrauensperson zur WKStA zu begleiten, habe H. schon „das eine oder andere Mal im Cafe“ getroffen. Aber H. schreibt eigenen Aussagen zufolge nicht auf, wann und mit wem er einen Kaffee trinkt.

Eindrücke vom BVT-Untersuchungsausschuss
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Ursula Schmudermayer ist die fallführende Staatsanwältin in der Causa.

Dann wäre da noch Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin W., der am 22. Februar von der WKStA im Beisein von Lett befragt wurde und sich seit 31. März in Karenz befindet. W. habe vor seiner Einvernahme gleich zwei Termine mit dem Innenressort gehabt. Mit Udo Lett habe er am 2. Februar im Ministerium über seine Karenzierung gesprochen, sieben Tage später sei auch das Konvolut mit teils haltlosen Vorwürfen gegen BVT-Beamte erwähnt worden. Dieses Treffen habe allerdings in einem Gasthaus „am Stadtrand“ stattgefunden, weil W. nicht ins Ministerium fahren wollte. Auch Goldgruber sei anwesend gewesen und wollte laut W. wissen, ob W. das Pamphlet verfasst hat. „Ich verneinte“, so W.

Warum er anschließend trotzdem als Belastungszeuge einvernommen wurde, habe sich W. nicht erklären können. Goldgruber habe ihm nur mitgeteilt, dass er wegen des anonymen Konvoluts Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten werde und W. wohl mit einer Vorladung rechnen müsse. Dass Goldgruber die Causa bereits früher zur Anzeige gebracht hatte, habe der Ex-Abteilungsleiter nach eigenen Angaben nicht gewusst. Wohl aber, dass die ehemalige Mitarbeiterin P. ihn bei ihrer Einvernahme in der WKStA namentlich genannt hatte, wie sie auch ihren Ex-Kollegen H. ins Feld geführt hatte.

Ex-BVT-Chef beim Kamingespräch

Aber W. hatte neben den geplanten Treffen mit Lett und Goldgruber auch eine „rein zufällige“ Begegnung mit Ex-BVT-Chef Gert Rene Polli (2002-2008), der „sein Baby“, wie er das BVT im U-Ausschuss nannte, in Schutt und Asche sieht. Polli wird eine FPÖ-Nähe attestiert. Bei den Regierungsverhandlungen im Dezember beriet er Kickl. Heute arbeitet er als Referent im Innenministerium, eine Rückkehr in das BVT wurde medial kolportiert. Just Mitte Dezember kam es zu einer Begegnung zwischen W. und Polli im Park Hyatt Hotel, zufällig, wie W. und Polli dem Ausschuss sagten. Der Ex-BVT-Chef habe W. – wie Goldgruber zwei Monate später – auf die Autorenschaft des Konvoluts angesprochen. Aber auch schon damals habe W. die Beteiligung zurückgewiesen.

Eindrücke vom BVT-U-Ausschuss
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Polli bezeichnete das BVT als „sein Baby“ und drehte im Innenministerium mehrere Runden

Ein zweites Treffen zwischen W. und dem Ex-BVT-Chef Anfang 2018 sei avisiert worden. Dieses habe abermals im Luxushotel stattgefunden, weil Polli nach eigenen Aussagen dort „gelegentlich Zigarren“ rauche. Thema sei wieder das Konvolut gewesen, aber auch Privates und was aus dem BVT werden sollte. Polli war laut eigenen Angaben ohnehin sehr umtriebig. Öfters habe er seine Runden im Innenministerium gedreht und sowohl mit Goldgruber als auch seinem Nachfolger im BVT, Peter Gridling, Kaffee getrunken. Inhalt der Gespräche: unter anderem Innenministerium, BVT und Privates, aber alles „nur Plausch“.

Selbst versierte Beobachter und Beobachterinnen der Affäre geraten bei den vielen Treffen schon mal ins Straucheln. Umso einfacher ist da der vierte Belastungszeuge, der am 26. Februar – also zwei Tage vor der Razzia – einvernommen wurde. Er gab im Ausschuss an, sich weder mit Lett noch mit Goldgruber getroffen zu haben. Lett habe ihn nur zur Staatsanwaltschaft gebracht, über den Inhalt der Causa habe er kein Wort verloren. M., der im Gegensatz zu P., H. und W. noch im BVT arbeitet, hatte Vorwürfe, die gegen Beamte des Staatsschutzes vorgebracht wurden, teils relativiert, einiges basiere auf Gerüchten.

Freunde im Staatsschutz

Für die Aufklärung der BVT-Affäre sind die erwähnten Begegnungen besonders interessant. Immerhin ging es in den vergangenen Wochen auch um die Vorgänge vor und nach der Razzia. Allerdings gab es auch abseits des Themenblocks „Hausdurchsuchung“ das eine oder andere Treffen, das womöglich später von den Abgeordneten aufgegriffen wird – zum Beispiel, wenn das BVT und die mutmaßlich politisch motivierten Besetzungen von Chefposten innerhalb des Staatsschutzes thematisiert werden. Freilich waren Politgünstlinge auch schon Thema im Ausschuss, aber Namen wurden noch nicht explizit genannt.

Straßenszene in Wien
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Ein Treffen im Cafe Raimund war bisher nur ein Randthema im U-Ausschuss. Das könnte sich aber ändern.

Eine dieser Begegnungen, die noch für Spannung sorgen können, soll laut WKStA-Ermittlungen zwischen Werner Amon, ÖVP-Fraktionsführer, und Bernhard P., Ex-Referatsleiter im BVT, stattgefunden haben. P. wurde dieses Jahr entlassen, weil die EGS bei der Razzia am 28. Februar als geheim eingestufte Dokumente bei ihm zu Hause entdeckt hatte. Dem geschassten BVT-Beamten wird eine ÖVP-Nähe attestiert, er soll direkte Weisungen von ÖVP-Politikern entgegengenommen haben. Laut dem Belastungszeugen W. war es auch ein ÖVP-Politiker, der P. zum Referatsleiterposten im Nachrichtendienst verhalf.

Laut Ermittlungsakt hatte P. die Treffen mit Amon – im Jänner 2015 in den Wiener Kaffeehäusern Griensteidl und Raimund – dienstlich als „Informanten“-Gespräche abgerechnet. Amon hatte im U-Ausschuss keinen Hehl aus der Bekanntschaft mit P., der bereits als Auskunftsperson geladen war, gemacht. Der ÖVP-Fraktionsführer outete sich zwar bei der Befragung von P. als dessen langjähriger Freund. Doch die FPÖ-Fraktion ortete umgehend eine „schiefe Optik“ und sorgte für verbale Reibereien zwischen den Koalitionspartnern. Gemäß ihrer Doktrin der Harmonie relativierten ÖVP und FPÖ einen sich anbahnenden Zwist.

Flurfunk oder Kaffeeküche

Grundsätzlich muss aber auch gesagt werden, dass es Zufälle immer geben kann. Die Beteiligten sind mit der BVT-Causa vertraut, seit Jahren arbeiten bzw. arbeiteten sie gemeinsam im Staatsschutz oder stehen miteinander auch außerhalb des Jobs in Kontakt. So sprachen etwa auch EGS-Beamte davon, dass man vor den Befragungen „im Rahmen von Kaffeegesprächen“ mit den eigenen Kollegen über die Affäre gesprochen habe. Im BVT gilt laut Angaben der Beschäftigten Ähnliches. Ob Kaffeeküche oder Flurfunk: Die Causa ist Thema.

Eindrücke aus dem U-Ausschuss zur Causa BVT
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Die Fraktionen im U-Ausschuss mit der Vorsitzenden Doris Bures und Verfahrensrichter Eduard Strauss

Dass das BVT auch am 21. November 2017 thematisiert worden ist, als der Generalsekretär im Justizministerium, Christian Pilnacek, im Lokal Zum Schwarzen Kameel gastierte, nahmen ein paar Abgeordnete an. Dort saßen zum selben Zeitpunkt nämlich auch Ex-Kabinetts- und -Sektionschef des Innenministeriums, Michael Kloibmüller, und der ehemalige Vizechef des BVT, Wolfgang Z. Sie kommen sowohl in den BVT-Ermittlungsakten als auch im anonymen Konvolut vor. Kloibmüller hat im März 2018 das Ressort verlassen, Z. wechselte nach der ÖVP-FPÖ-Regierungsbildung im Dezember 2017 in die Sicherheitsakademie.

Die Begegnung im Schwarzen Kameel sei reiner Zufall gewesen, erklärte Pilnacek dem Ausschuss, dem er auch Rede und Antwort stehen musste. Über die Ermittlungen oder andere dienstliche Dinge habe man nicht gesprochen. Der Generalsekretär weiß nämlich nach eigenen Angaben, wie wichtig die Amtsverschwiegenheit in Österreich ist. Auf die Frage, ob das Schwarze Kameel ein geeignetes Lokal für konspirative Treffen sei, antwortete Pilnacek: „Ich würde sagen: Es ist der öffentlichste Platz von ganz Wien.“