Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz Christian Strache und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein
APA/Herbert Neubauer
Trotz Kritik

Kassenreform passierte Ministerrat

Der Ministerrat hat am Mittwoch die umstrittene Reform der Krankenkassen beschlossen. Die ÖVP-FPÖ-Regierung verteidigte die Reform einmal mehr gegen die vielfältige Kritik. Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) werde diese auch nicht verstummen, weil „es Funktionäre gibt, die ihre Machtposition verlieren und unglücklich darüber sind“.

Die Sozialversicherungsreform sei eines der zentralen Projekte der Regierung, sagte Kurz. Man habe nach der Begutachtung rund 40 Konkretisierungen vorgenommen, beim Ziel aber sei man „hartnäckig“ geblieben. In den vergangenen Wochen habe es viel „Angst- und Panikmache“ gegeben – nämlich „Falschbehauptungen“, dass Krankenhäuser geschlossen oder Leistungen für Patienten und Patientinnen gekürzt würden.

Die Debatte darüber, ob man tatsächlich eine Milliarde einsparen kann, bewertete Kurz als „Versuch eines gewissen Ablenkungsmanövers“. Man fühle sich der Bevölkerung verpflichtet „und nicht einigen wenigen Generaldirektoren“. Auch gebe es einige, die die Reform einfach aus Parteitaktik kritisieren müssten. Jene, die berechtigte Sorgen hätten, werde man weiter aufklären.

Kritik auch vom Rechnungshof

Freilich gab es auch harsche Kritik von unverdächtiger Seite: So hatte etwa Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker bemängelt, dass der Nachweis zum Einsparen der von der Regierung behaupteten Milliarde fehle. „Wir haben alles, was in unserer Macht steht, möglich gemacht, damit das funktionieren kann“, versicherte Kurz. Es gehe ein Bündel an Maßnahmen über mehrere Jahre, und es sei auch stets ein Zusammenwirken mit der Selbstverwaltung – „zumindest solange es die Selbstverwaltung gibt“, fügte der Kanzler hinzu.

Die Diskussion über die Milliarde sei überhaupt eine „interessante“, befand der Kanzler. Der entscheidende Punkt sei nicht, „ob es auf den Euro genau eine Milliarde ist“, sagte er, sondern was mit dem Geld passiere. Es gehe um „in etwa eine Milliarde“, relativierte Kurz, „wenn es 900 Millionen werden, sind es noch immer 900 Millionen mehr als zuvor“. Ziel sei es, dass jeder eingesparte Euro den Patienten und Patientinnen zugutekomme.

„Überfälliger und notwendiger Schritt“

Auch für den Koalitionspartner ist die Kassenreform schon jetzt ein Erfolg. „Es ist gelungen“, sagte etwa Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). „Aus einer Verwaltungsmilliarde wollen wir in Zukunft eine Patientenmilliarde machen“, so Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) neuerlich. Die Zusammenlegung der Sozialversicherungen von 21 auf fünf sei ein „überfälliger und notwendiger Schritt“, die Reform bringe eine „Verschlankung des Systems“. Er sei „stolz“, dass man diese gegen den Widerstand „der Funktionäre“ zusammengebracht habe.

Grafik zur Sozialversicherung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Sozialministerium

„Dass manche Funktionäre aufschreien und Angst haben, ihre Macht zu verlieren, ist verständlich“, aber eigentlich nicht im Sinne der Versicherten, so Ministerin Hartinger-Klein. Befürchtungen, Teile der Reform könnten gegen die Verfassung verstoßen, widersprach sie: Alle Maßnahmen seien verfassungskonform – das hätten ihr Fachleute versichert. Es gebe nun klare, effiziente Entscheidungsstrukturen, sagte sie. Mit der Strukturreform habe man einen Schritt in Richtung Gesundheitsreform gemacht.

Mehrkosten nach der Reform

Die Debatte über die Einsparungen läuft schon seit Wochen auf Hochtouren. Laut Berechnungen von Sozialversicherungsexperten und -expertinnen kommen nach der Reform finanzielle Mehrbelastungen von über einer Milliarde Euro (2019 bis 2023) auf die AUVA und die Krankenkasse zu. Darüber hinaus dürften mindestens 500 weitere Millionen Euro an Fusionskosten für die Zusammenführung der Sozialversicherungen und Krankenkassen anfallen.

Kritiker und Kritikerinnen monieren, dass den Versicherten und dem Gesundheitssystem durch die Maßnahmen mehr als eine Milliarde Euro entzogen wird. Es könne also keine Rede davon sein, dass aus einer „Funktionärsmilliarde“ eine „Patientenmilliarde“ werde, vielmehr handle es sich um eine „Belastungsmilliarde“. Nutznießer der Reform seien vor allem Wirtschaft und Industrie, die künftig geringere Versicherungsbeiträge zahlen. Die fehlenden Mittel würden für die Versicherten sowie Patientinnen und Patienten Leistungskürzungen mit sich bringen, zu höheren Beiträgen oder zur Einführung von Selbstbehalten führen.

Wie die Regierung auf eine Milliarde Euro kommt, ist unklar. Genaue Berechnungen liegen dieser Annahme nicht zugrunde, wie man in Regierungskreisen einräumt. Es handle sich um „Schätzungen auf Basis diverser Experten“ bzw. um ungefähre Zahlenwerte, die man aus der Studie der London School of Economics zur Kassenreform übernommen habe. „Unter der Annahme einer linear ansteigenden Einsparung von bis zu 30 Prozent der Personal- und Sachaufwendungen der Sozialversicherung wird im genannten Zeitraum (also schon bis 2023, Anm.) ein Einsparungspotenzial von rd. € 1 Mrd. erreicht“, heißt es in der Regierungsvorlage. Ursprünglich war von einer „linearen Einsparung von bis zu zehn Prozent“ die Rede.

Verhärtete Fronten im Parlament

Auch der Nationalrat diskutierte nach dem Ministerratsbeschluss die Kassenreform. ÖVP und FPÖ zeigten keinerlei Bereitschaft, in der nun startenden parlamentarischen Behandlung der Regierungsvorlage auf die in der Begutachtung vorgebrachten Bedenken einzugehen. „Alles, was an Kritikpunkten kommt, wird sich in Luft auslösen“, zeigte sich FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz überzeugt. Die Kritikerinnen und Kritiker würden nur „soziale Verunsicherung“ betreiben, die aber „nicht geboten ist, weil sie nicht stattfindet“.

SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sagte, dass diese Reform „die Situation der Menschen in diesem Land nicht verbessert. Sie wissen nicht ganz genau, warum und für wen Sie hier reformieren“, hielt sie der Regierung vor. Viel angriffiger war NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger: Die Behauptung, dass die Reform eine Milliarde bringe, sei „Hokuspokus“. Die Regierung habe wieder nur „Verpackung und Schleifchen“ in den Vordergrund gestellt. Die Liste-Pilz-Abgeordnete Daniela Holzinger kritisierte, dass eine solche Reform „im stillen Kämmerlein alleine im Ministerium erarbeitet wurde“.

Weitere Kritik an der ÖVP-FPÖ-Vorlage kam von der Gewerkschaft, der Arbeiterkammer und vom Chef des vor der Auflösung stehenden Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach. Lobende Worte fanden hingegen die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung. Die Reform sei ein „signifikanter Schritt vorwärts“, hieß es zum Beispiel. „Damit wird eine große Strukturreform umgesetzt, die schon lange überfällig war.“