Kinder schauen über den Tischrand
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Familienbeihilfe

EU-Verfahren wegen Indexierung droht

Die am Mittwoch im Nationalrat beschlossene Indexierung der Familienbeihilfe könnte Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU einbringen. Sobald das Gesetz endgültig verabschiedet sei, werde die Kommission reagieren, sagte ein Sprecher. Die Position sei bekannt: „Eine Indexierung ist nach dem EU-Recht nicht erlaubt.“

Die Kommission werde „nicht zögern, von ihren Möglichkeiten als Hüterin der Verträge Gebrauch zu machen“, sagte EU-Kommissionssprecher Christian Wigand auf Nachfrage. Dass die Indexierung nach EU-Recht nicht erlaubt sei, habe auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt. „Es ist eine Frage der Fairness: Wenn Arbeitnehmer ihre Beiträge in das nationale Wohlfahrtssystem einzahlen, können sie auch dieselben Beihilfen erwarten“, so der EU-Kommissionssprecher.

Kurz zuvor war am Abend die Indexierung mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen worden. Damit wird die Leistung künftig den Lebenshaltungskosten in jenem Land angepasst, in dem das Kind eines in Österreich Beschäftigten lebt. Die EU-Kommission hatte bereits im Vorfeld angekündigt, die österreichische Regelung auf Europarechtskonformität zu prüfen. Die Regierung beruft sich ihrerseits auf ein Gutachten des Arbeitsrechtlers Wolfgang Mazal.

Hitzige Debatte im Nationalrat

Die Indexierung sorgte am Nachmittag auch im Nationalrat in Wien für eine hitzige Debatte. Westeuropäer werden durch die Neuregelung teils mehr Beihilfe beziehen, Osteuropäer dagegen werden empfindliche Einbußen hinnehmen müssen. Vor allem Pflegekräfte aus den Oststaaten sind davon besonders stark betroffen, Organisationen und Opposition warnen vor einem Pflegenotstand bei der 24-Stunden-Betreuung.

Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) und der ÖVP-Abgeordnete Norbert Sieber hielten dem entgegen, dass die Beihilfe auch nach der Indexierung über der des jeweiligen Landes liegen werde. Die neue Regelung sei europarechtskonform, so die ÖVP-Vertreter und die freiheitliche Abgeordnete Edith Mühlberghuber unter Verweis auf das Gutachten Mazals. Rechtskonformität sei der Regierung „extrem wichtig“, sagte Bogner-Strauß. Die EU habe ihrerseits Großbritannien vor dem „Brexit“ einen solchen Modus zugestanden, damit müsse das auch europarechtlich zulässig sein, so Sieber.

NEOS warnt vor Nachforderungen

Daran gibt es bei der Opposition große Zweifel. NEOS-Mandatar Michael Bernhard erinnerte etwa daran, dass bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit festgelegt sei, dass sämtliche offenen und versteckten Diskriminierungen von Arbeitnehmern aus anderen Staaten verboten seien. Bernhard sieht daher die Gefahr sehr hoher Nachforderungen, wenn die Indexierung aufgehoben werde.

Liste-Pilz-Mandatarin Daniela Holzinger-Vogtenhuber fragte, warum die Regierung nicht auf EU-Ebene für eine entsprechende Änderung kämpfe, statt Vertragsverletzungsverfahren zu riskieren. Die höhere Familienbeihilfe werde von 24-Stunden-Pflegerinnen zudem als Gehaltsbestandteil angesehen, wenn diese für ihre Dienste mit gerade einmal zwei Euro pro Stunde entlohnt würden.

SPÖ: Kürzungen bei den Schwächsten

Probleme im Pflegesektor erwartet auch die SPÖ-Mandatarin Eva Maria Holzleitner, die zudem Kürzungen gerade bei den Schwächsten in der Gesellschaft kritisierte. Einerseits rede die Regierung davon, dass Leistung sich lohnen müsse, und dann werde bei jenen indexiert, die mit ihrer Arbeit zum österreichischen Steuersystem beitrügen.

Bogner-Strauß wiederum argumentierte mit dem Kostenfaktor. Durch die Indexierung würden über 100 Millionen eingespart, die für die Familien in Österreich verwendet werden könnten. Eine Diskriminierung sieht die Ministerin nicht: „Wir behandeln damit alle Kinder gleich, es kommt nur darauf an, wo sie wohnen.“ Gleich die Einschätzung Mühlberghubers: „Alle werden gleich behandelt, es hängt davon ab, wo sie wohnen.“

Scharfe Kritik von EU-Abgeordneten

Scharfe Kritik kam auch von den Europaabgeordneten der Oppositionsparteien in einem Protestbrief an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). Die Abstimmung zur Indexierung der Familienbeihilfe sei „eine schwarze Stunde für die Republik Österreich“, so Angelika Mlinar (NEOS), Evelyn Regner (SPÖ) und Monika Vana (Grüne).

Eine zentrale Säule des Binnenmarktes, die Personenfreizügigkeit, werde „bewusst konterkariert“. Es sei zudem eine Scheindebatte auf dem Rücken der Ärmsten der Gesellschaft. Der Entscheid reihe sich ein „in viele weitere, europafeindliche und nationalistische Maßnahmen“ der Bundesregierung von ÖVP und FPÖ. Verwiesen wird etwa auf die Verlängerung der Grenzkontrollen zu Slowenien.

Auch Karas gegen Indexierung

In einer eigenen Stellungnahme beanstandete auch ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas das Gesetz. Die Regelung werde beim EuGH landen, denn sie sei rechtswidrig. Das habe die zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen mehrmals festgehalten, betonte Karas. Auch die Rechtsprechung des EuGH dazu sei seit Jahrzehnten eindeutig. Er weise seit Jahren darauf hin und „werbe dafür, dass nicht nur Österreich das europäische Recht und die europäischen Werte uneingeschränkt respektiert und verteidigt“, so Karas.