Dreharbeiten
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Burgtheater-Doku

Trutzburg gegen den Lauf der Zeit

Das Burgtheater ist eine der Lieblingsprojektionsflächen der Österreicher: ein Hort altehrwürdiger Tradition für betagtere Abonnenten, ein Stachel im Fleisch des tumben Anpasslertums für Unangepasste, skandalöser Sündenpfuhl und Subventionsfresser für besorgte Bürger und ihre Stichwortgeber. Nun wirft die Doku „Die Burg“ einen sehenswerten Blick hinter die Kulissen.

Institutionenporträts nach dem Vorbild des US-amerikanischen Direct-Cinema-Regisseurs Frederick Wiseman haben Konjunktur: Die Kamera streift durch ein Gebäude, man lauscht Gesprächen, es gibt keinen Kommentar aus dem Off. In Österreich machte zuletzt Johannes Holzhausen einen Streifzug durch das Kunsthistorische Museum („Das große Museum“). Nun erkundet Hans Andreas Guttner „Die Burg“.

Ihm geht es in keiner Weise um das Ausmalen der oben genannten Projektionsflächen; aus den Debatten der letzten Jahre und Jahrzehnte hält er sich weitgehend raus. Nur an einer Stelle erzählt ein Garderobier, wie Traditionalisten und Traditionalistinnen im Publikum zu Zeiten der Peymann-Ära mitunter vor Empörung weinend das Theater verließen.

F. Krüger und Katharina Lorenz
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Fabian Krüger und Katharina Lorenz bei den Proben zu „Geächtet“

In den Eingeweiden eines Theaters

Guttner zeigt die „Guts“ (engl. für „Eingeweide“) des Theaters, die Maschinerie im Hinter- und Untergrund, jene Mechanismen, die bei der ersten Idee in Gang kommen und dafür sorgen, dass Monate, manchmal Jahre später das Premierenpublikum ein fertiges Stück zu sehen bekommt. Als Besucher hinterfragt man das normalerweise kaum. Die haben eben den Text auswendig gelernt, sich Klamotten aus dem Fundus geholt, und eine Regisseurin oder ein Regisseur hat sich als Dompteur oder Dompteuse betätigt.

Spoiler: So ist es nicht. Der Aufwand ist enorm. Um Vergleiche aus der Alltagswelt heranzuziehen: Facharbeiter bauen gemeinsam mit Künstlerinnen ein Haus (das Bühnenbild, die enorme Bühnentechnologie); eine Schneiderwerkstatt stattet Ballbesucher mit Roben aus (Kostüm); Stylistinnen sind im Einsatz wie bei einem Superheldenfilm; und eine kleine Gruppe an Menschen durchlebt ein Psychodrama von epischem Ausmaß (die Regie und die Schauspiellerriege erarbeiten das Stück).

Das Erarbeiten einer Rolle

Mit Letzterem steigt Guttner ein. Man sieht eine Probenbensprechung, bei der die Schauspieler erstmals Ayad Akhtars „Geächtet“ mit verteilten Rollen vorlesen. Mit dabei: Regisseurin Tina Lanik und die Schauspieler Katharina Lorenz, Fabian Krüger und Nicholas Ofczarek. Wortführer ist Ofczarek. Passend zum Probenbeginn beklagt er das übliche „Hirngewichse“, mit dem sich jeder schon am ersten Probentag profilieren muss, um seinen Status zu „markieren“.

Ofczarek sagt, da steht Strategie dahinter: ein bissl lustig sein, ein bissl intellektuell, ein bissl für die Gemeinschaft eintreten – statt einfach nur bescheiden Kaffee zu trinken und den Text zu lesen. Was soll man dazu sagen? Vielleicht mit Kreiskys legendärem Song: „Scheiße, Schauspieler“. Spannend dann mit anzusehen: Wie der Text am Anfang noch recht unsicher gelesen wird – und von Probe zu Probe die Charaktere der Figuren wie aus dem Nichts entstehen, bis man als Zuseher ganz bei ihnen ist.

Nicholas Ofczarek
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Nicholas Ofczarek mit einem Glatzerl, das er nur für eine Rolle verpasst bekommen hat (Lenglume in „Die Affäre Rue de Lourcine“)

Von der Liebe und vom Gemein-Sein

Neben Ofczarek werden besonders Lorenz und Krüger intensiver auf diesem Weg begleitet, sie erzählen vor der Kamera von den Höhe- und Tiefpunkten ihres Schauspielerlebens. Lorenz etwa beschreibt ein Paradoxon: Je mehr Erfahrung sie hat, desto mehr wird sie in ihrer Arbeit von Ängsten und Regeln bestimmt. Vielleicht, weil man sich bewusster ist als früher, was alles schiefgehen kann? Und dennoch: „Es ist so ein Glücksgefühl, wenn es zu einer Aufführung kommt und das dann die Leute berührt.“

Bei Ofczarek verhält es sich ein wenig anders. Er habe anfangs aus Selbstzweifel lange nicht akzeptieren können, ausgerechnet Burgschauspieler zu sein: „Dieses Damoklesschwert ist jetzt nicht mehr da.“ Krüger wiederum führt aus, was für ihn – er stammt aus Deutschland – den Reiz von Wien im Allgemeinen und vom Burgtheater im Speziellen ausmacht, neben der Liebe des Publikums zum Haus und dem Respekt vor den Schauspielern: „Man ist im Heute, aber man ist auch noch in einer anderen Zeit. Das wird gepflegt, das mag man hier. Man ist aber auch gemein hier. Es braucht beides, um das zu erhalten.“

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Die andere Zeit, sie wird in der Doku gewahr. Da ist modernste Technologie, da werden Visuals auf die Bühne gebeamt, das Bühnenbild ist auf der Höhe der Zeit, und es werden immer wieder avantgardistische Regieeinfälle umgesetzt – quer durch die Abteilungen herrscht Forschergeist. Und andererseits – der rote Samt, das viele Holz, die Lüster und ganz einfach das Prinzip Theater: Echte Menschen erzählen vor echten Menschen eine Geschichte. Avantgarde hin oder her, das Prinzip bleibt anachronistisch.

Die Doku beschränkt sich aber nicht darauf, die vielen Arbeiten darzustellen, die am Ende zum Gesamteindruck eines Stücks führen. Auch der Betrieb rundherum wird dargestellt. Die PR-Veranstaltungen, die Pressearbeit, die Arbeit von Direktorin Karin Bergmann und der Geschäftsführung, die Führungen durchs Haus, die Garderobe und nicht zuletzt die Toiletten.

Toilettenfrau Feliccia
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Fad wird ihr nicht – die Prominenz geht ein und aus in den Burgtheater-Klos

„Weil’s halt so schön ist“

„Ich glaube, wir sind sehr wichtige Leute. Wir, die den Dreck der anderen wegräumen.“ Wenn sie erzählt, dass sie am Burgtheater arbeitet, wird sie immer gefragt, ob sie denn Schauspielerin ist, und antwortet dann lachend: „Nein, ich bin Klofrau.“ Früher, da war sie Revue- und Striptease-Tänzerin. Heute ist sie stolz darauf, dass viel Prominenz bei ihr aufs Klo geht. Sie vermittelt, genauso wie der Garderobier, mit jeder Faser, dass sie genauso Teil des Haues ist wie Direktorin Bergmann.

Guttner beschwört den Zauber des Theaters, ohne ihm seinen Zauber zu entreißen. Seine Doku ist sicher kontemplativ, um nicht zu sagen, für alle, die das Burgtheater nicht lieben, stinklangweilig. Aber wer die Magie des Hauses schon einmal gefühlt hat, wird schwelgen und wie nebenbei viel Spannendes erfahren. Ofczarek etwa will nicht von einer Sucht sprechen, tut es dann aber doch: „Das ist ein harter Beruf, der wunderschön sein kann. Aber selten. Wenn, dann will man in diesen Zustand wieder gelangen – weil’s halt so schön ist.“ Man glaubt es ihm aufs Wort.