Plakate zur EU-Wahl 2014
ORF.at/Roland Winkler
Wähler dynamisch

Kampf um heimatlose Stimmen bei EU-Wahl

Die EU-Wahl Ende Mai könnte das Gewicht im EU-Parlament nachhaltig verändern. Europas Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (SPE) stehen davor, ihre gemeinsame Mehrheit zu verlieren, die Zusammensetzung des Plenums dürfte fragmentierter werden. Ihren Beitrag dazu werden Wählerinnen und Wähler tun, die schlicht nicht wissen, wen sie unterstützen sollen. Auch in Österreich gibt es Bewegung auf dem Wählermarkt.

Die Wahl gilt in Österreich – als einziger bundesweiter Urnengang zwischen den Nationalratswahlen 2017 und 2022 – als „Testwahl“, in der EU als „Richtungswahl“ für die Zukunft. Denn laut aktuellen Prognosen könnte es sein, dass die Große Koalition auf EU-Ebene ihre Mehrheit verliert. Der Ausgang dieser Wahl steht und fällt, so die Projektleiterin des Austrian Democracy Lab, Katrin Praprotnik, zu ORF.at, mit der Mobilisierung der Wählerschaft.

Die Wahlbeteiligung ist bei EU-Wahlen prinzipiell deutlich niedriger als bei anderen Wahlen. In Österreich lag die Wahlbeteiligung bei der vergangenen EU-Wahl 2014 bei nur rund 45 Prozent. „Jede Partei muss also vor allem dafür sorgen, möglichst viele ihre Wählerinnen und Wähler zu motivieren“, sagt auch Eva Zeglovits vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) zu ORF.at.

Kreuzerl auf der Suche nach Kreis

Dabei fällt jenen eine größere Bedeutung zu, denen aufgrund von Verschiebungen im Parteienspektrum „ihre“ bisherige Partei abhanden kam. Bei der Wahl 2014 gab es etwa einen großen Anteil an Wählern, die wechseln mussten: Hans-Peter Martin trat damals nicht mehr an, mehr als eine halbe Million Stimmen waren somit „heimatlos“. Sie wanderten laut damaliger SORA-Wählerstromanalyse zwischen 2009 und 2014 hauptsächlich zur FPÖ und zu den Nichtwählern ab. Die FPÖ profitierte zudem stark durch den Zusammenbruch des BZÖ. Die SPÖ konnte 73 Prozent ihrer Wähler von 2009 wieder überzeugen – hier gab es am wenigsten Bewegung.

Und auch heuer gibt es wieder Stimmen auf dem Markt, die eine politische Heimat suchen. Im Vergleich zum vergangenen Urnengang 2014 treten etwa das Wahlbündnis EU-Stop mit der EU-Austrittspartei (2014: 2,8 Prozent), die Reformkonservativen REKOS (1,2 Prozent) und das BZÖ (0,5 Prozent) nicht mehr an. Auch um diese Stimmen wird also gekämpft. „Wer bei der letzten Wahl BZÖ oder REKOS seine Stimme gegeben hat, findet wahrscheinlich leicht Anschluss bei den Freiheitlichen“, so Eva Zeglovits. Es handle hier aber nur um rund 40.000 Stimmen.

Zwischen drei Parteien

Die Wechselwähler und „Heimatlosen“ könnten dieses Mal vor allem für die Grünen von Bedeutung sein. „Bei der Wahl zum Europäischen Parlament hat man gesehen, dass die Grünen die größten Verluste von 2009 auf 2014 in Richtung NEOS hatten und nicht in Richtung der Nichtwähler“, so die Politologin Praprotnik. Auch heuer bestehe die Gefahr für die Grünen, weitere Anhänger an NEOS zu verlieren. Da reiche es nicht, „ein proeuropäisches Angebot zur Wahl zu stellen, das haben andere auch“. Auch Jetzt stelle mit dem ehemaligen Grünen-Mandatar Johannes Voggenhuber eine Gefahr dar.

Ein Wahlmotiv für die FPÖ fällt weg

Bei NEOS sei mit Claudia Gamon zudem das Antreten einer Frau als Listenerste ein Asset, so Praprotnik. „Die Grünen haben jetzt nachgelegt und haben mit Sarah Wiener auch eine Frau an zweiter Stelle positioniert und das Angebot so erweitert. Das halte ich strategisch für einen guten Schachzug. Inwieweit das das Wahlergebnis beeinflusst, wird aber der Wahlkampf zeigen.“ Ehemalige Wähler der Grünen müssten nun vor allem abwägen, „ob sie den Grünen zutrauen, bei der EU-Wahl wieder zu reüssieren“, sagt auch Zeglovits.

Auch für die FPÖ ist ein Erfolg eine Frage der Mobilisierung. Bei der letzten EU-Wahl hatten die FPÖ-Wähler überproportional häufig angegeben, dass es ihnen vor allem darum gehe, ein Zeichen gegen die österreichische Innenpolitik zu setzen. „Dieses mobilisierende Motiv fällt jetzt weg, weil ja die FPÖ in der Regierung sitzt“, sagt Praprotnik. Vergleichbar sei die Situation mit der EU-Wahl 2004, als die FPÖ ebenfalls Koalitionspartei im Bund war. „Da sind sehr viele Wähler, die die FPÖ 1999 noch unterstützt hatten, nicht mehr zur Wahl gegangen“, so Praprotnik.

Parteien in neuen Startpositionen

Für fast alle Parteien in Österreich ist die Ausgangslage heuer eine andere als bei der letzten Wahl: Die ÖVP tritt jetzt als Kanzlerpartei an, den ersten Platz zu verteidigen – mit einem EU-kritischen Koalitionspartner FPÖ.

Stimmenanteile nach Parteien bei EU-Wahlen seit 2014 – Kurvengrafik, Wahlbeteiligung seit 2014 – Tortengrafiken
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Für die SPÖ ist es der erste größere Urnengang unter der neuen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Die Grünen und Jetzt fischen im gleichen Stimmenpool, was das Match für beide erheblich erschwert. Die Grünen müssen nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat einen Erfolg vorweisen. NEOS trat 2014 zum ersten Mal für Straßburg an und fand den größten Teil seiner Anhänger im Lager der ÖVP – fraglich ist, ob nun Ähnliches wieder gelingen wird. Die siebente Liste, die heuer antritt, ist KPÖ Plus. Bei der letzten EU-Wahl war die KPÖ als Teil des Bündnis Europa Anders angetreten, dem unter anderem auch die Piratenpartei angehörte.

Ein Hauptgrund, zur Wahl zu gehen, wird – egal, welcher Partei man nahesteht – das Gefühl sein, etwas mit der eigenen Wählerstimme zu erreichen. Laut Demokratieradar des Austrian Democracy Lab haben hier NEOS, Grüne und SPÖ die größten Chancen auf Mobilisierung. Unter jenen, die glauben, keinerlei Einfluss auf die Politik der EU zu haben, sind die meisten FPÖ-Anhänger.