Zwei Euro auf neuem Zehn-Euro-Schein
ORF.at/Christian Öser
Mindestsicherung

Kritik an Sozialhilfevorhaben flaut nicht ab

Schon während der Begutachtungsphase hat es Kritik an der Reform der Mindestsicherung gegeben. Auch nach dem Ministerrat, der am Mittwoch die neue Sozialhilfe abgesegnet hat, erneuerten Opposition, Länder und Hilfsorganisationen ihre Ablehnung. Das Vorhaben der Regierung werde die Armut im Land verschärfen, so der Tenor.

Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat die Regierung mit diesem „Kürzungspaket einmal mehr ihre Rücksichtslosigkeit und soziale Kälte gezeigt“. Zwar habe die SPÖ mit massivem Druck erreicht, dass die Regierung zumindest die „Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung zurücknimmt, ansonsten aber hat die Regierung trotz der negativen Stellungnahmen in der Begutachtung an ihren Kürzungen festgehalten“, so Rendi-Wagner in einer Aussendung.

Große Verlierer seien Familien mit mehreren Kindern, die „mit drastischen Kürzungen“ konfrontiert seien. Laut Rendi-Wagner sind mit der Reform ab dem dritten Kind „nur noch 1,50 Euro pro Tag“ vorgesehen. „Die Regierung produziert und fördert hier sehenden Auges Kinderarmut. Ich erwarte mir, dass die Regierung die Zeit bis zum Beschluss des Gesetzes im Nationalrat nutzt, um mit den Soziallandesräten, den Bundesländern und den Oppositionsparteien in Gespräche zu treten“, forderte die SPÖ-Chefin.

NEOS spricht von „Fleckerlteppich“

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker kritisierte in einer Aussendung die mangelnde Einbeziehung der Länder, die am Ende die neue Sozialhilfe vollziehen werden. „Das kann so nicht funktionieren. Die Sozialministerin scheint bei diesem Vorgehen vollkommen überfordert zu sein. Was damit einzementiert wird, ist ein Fleckerlteppich bei der Mindestsicherung, eine bundesweit einheitliche Lösung gibt es nicht“, so Loacker. Die ungeklärten Fragen zur Vollziehung und die diversen Ermessensspielräume würden dazu führen, „dass die Postleitzahl weiter über die Höhe der Leistungen entscheiden wird“.

Für Jetzt-Chefin Maria Stern ist es „unverschämt, ignorant und kurzsichtig“, dass die Regierung nichts gegen die Kinderarmut unternimmt. Die Regierung sei bei der Sozialhilfe der Logik „Wer schwach ist, muss schwach bleiben“ gefolgt, kritisierte Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger.

Auch Grünen-Chef Werner Kogler übte Kritik an der Regierungsvorlage. Damit machten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) „mit ihren Sozialeinschnitten am Rücken der Kinder nun Ernst“. „Die einstige Familienpartei ÖVP und die Blauen treiben mit diesem bundesweiten Mindestsicherungsgesetz Familien und Kinder in die Armut.“

Match Wien gegen Bund

Auch das Match Wien gegen Bund geht weiter: Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sprach von einer „Destruktion des Sozialsystems“. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) habe „ihr Versprechen an die Soziallandesräte vom vergangenen Dezember – die Standards der österreichweiten Mindestsicherung gemeinsam zu entwickeln – gebrochen, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Bundesregierung verweigert den Dialog“, so Hacker. Damit sei der „absolute Tiefpunkt“ in der Zusammenarbeit erreicht – mehr dazu in wien.ORF.at.

Empört zeigten sich auch die Soziallandesräte von Kärnten und Salzburg. Dass der Beschluss am Mittwoch fiel, die Sozialministerin die Länder aber erst für 8. April zum Gespräch geladen hat, bezeichnetet die Kärntner Landesrätin Beate Prettner (SPÖ) als „Verhöhung“. Das sei ein „weiterer Ausdruck politischer Unkultur“, kritisierte Prettner. Sei es bisher Usus gewesen, das Gespräch und die Zusammenarbeit zu suchen, laute das Motto nun offensichtlich „Drüberfahren“ – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Der Salzburger Landesrat und grüne Landessprecher Heinrich Schellhorn warnte vor „besorgniserregenden Auswirkungen“ der Regierungsvorlage: Die Kinderarmut werde vergrößert sowie Kürzungen bei Pensionisten und Geringverdienern vorgenommen. Es werde „der Rotstift genau bei denen angesetzt, die eh schon weniger zum Leben haben“. Er halte daher an den vom Land Salzburg in der Begutachtung geäußerten Kritikpunkten fest.

Kritik von Hilfsorganisationen

Auch Hilfsorganisationen lehnen das Sozialhilfevorhaben ab. Österreich verabschiede sich damit vom Ziel der Armutsbekämpfung, stellte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger am Mittwoch fest. Und: Kinder seien der Regierung offenbar egal. Die soziale Unsicherheit werde erhöht und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, kritisierte die Armutskonferenz.

Die Regierungsvorlage bringe „die Sozialhilfe aus dem vorigen Jahrhundert zurück – aber schlimmer und in Zukunft nach Bundesland zerstückelter, als sie es je war“, wandte sich das Netzwerk von Hilfsorganisationen in einer Aussendung dagegen, „die Chancen für Tausende Kinder weiter zu verschlechtern, Familien in krankmachende Lebensbedingungen zu treiben und Menschen bis weit in die unteren Mittelschichten großer sozialer Unsicherheit auszusetzen“.

Sehr scharf fiel die Kritik des Arbeiter-Samariter-Bundes aus: „Die Brutalität, mit der sie (die Regierung, Anm.) sich auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingeschossen hat, ist einfach unfassbar“, meinte Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller in einer Aussendung. Dieser Ministerratsbeschluss bringe „nicht nur menschliches Leid, sondern kostet den Staat künftig viel Geld“, merkte er unter Hinweis auf die Folgen von Kinderarmut an.