Die von der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg angestoßenen Klimaproteste haben damit beträchtliche Dimensionen angenommen und geben sich kampfeslustig. „Bye bye pollution, bonjour revolution“ war etwa auf dem Schild einer Demonstrantin in Paris zu lesen.
Es war der erste weltweite Tag des Schüler- und Schülerinnenstreiks für stärkere Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise. Die Organisatoren von „Fridays For Future“ wollten so umfassende internationale Schulstreiks auf die Beine stellen wie nie zuvor. Und das dürfte ihnen auch gelungen sein: Insgesamt haben sich 2.083 Städte in 125 Ländern daran beteiligt – mit Hunderttausenden Demonstrierenden.
300.000 Demonstrierende in Deutschland
Mehr als 300.000 nahmen nach Schätzungen der Veranstalter allein in Deutschland an den Protesten teil. Wie die Organisation „Fridays For Future Germany“ auf Twitter weiter mitteilte, gab es Proteste in mehr als 230 Städten. Zu den größten Kundgebungen in Berlin, Köln und München kamen nach Polizeiangaben, ähnlich wie auch in Wien, jeweils mehr als 10.000 Schüler und Schülerinnen.

Kundgebungen gab es in allen europäischen Hauptstädten, wie aus einer interaktiven Karte auf der Website Fridaysforfuture.org hervorgeht – größere wie auch kleinere. Denn während etwa in Athen lediglich 200 Personen dem Demonstrationsaufruf folgten, waren es in Paris laut Angaben der Organisatoren 40.000, in ganz Spanien waren es mehrere zehntausend. In Rom strömten Tausende Schüler zu den Kaiserforen, dabei skandierten sie: „Wir haben nur einen Planeten“ und „Wir sind der Wandel“.
„Ich will der Welt helfen“
In Brüssel trotzten laut ersten Einschätzungen der Polizei rund 30.000 Menschen Wind und Regen und zogen mit Fahnen, Trommeln und Plakaten durch die Straßen. „Ich will der Welt und dem Klima helfen. Nichts wird sich ändern, aber ich hoffe trotzdem noch, dass etwas passiert. Die Politik muss verstehen, was passiert – sie wollen aber nichts sehen. Sie fürchten sich“, so eine Schülerin gegenüber ORF.at. Zahlreiche Klassen bekamen in Belgien für den Streik frei. Für eine Lehrerin auf der Demo sind die Schülerinnen und Schüler „die treibende Kraft hinter diesen Streiks“. Sie unterstützte ihre Schüler.
Vertreten waren alle Altersklassen: „Ich habe sechs Enkel, also ist es meine Pflicht, hier zu sein“, so eine Teilnehmerin. „Es ist großartig, alle diese jungen Menschen demonstrieren zu sehen. Vor 40 Jahren waren wir an derselben Stelle mit denselben Fragen. Nun ist es an ihnen, die Dinge weiterzubringen“, sagt eine andere Frau.
In der Nacht im Freien übernachtet
Mehrere Zehntausend waren es auch, die in der Schweiz demonstrierten – bei Wind und Regen. Viele Schulen hatten ihren Schülern freigegeben, wie Teilnehmer berichteten. Lehrerinnen und Lehrer hätten das Thema Klimaschutz im Unterricht besonders zum Thema gemacht. Vor der Universität ETH in Zürich trauerten Teilnehmer symbolisch an einem selbst gebauten Grab von „Mutter Natur“. Sie hatten dafür ein Holzkreuz aufgestellt und mit Blumen geschmückt.
In Basel verbrachten einige dutzend Teilnehmer die Nacht auf Freitag sogar auf einem Platz im Freien. Sie wollten damit unterstreichen, dass sie nicht nur ein paar Stunden an Demos teilnehmen. „Das Ziel Null-Emission bis 2030 bleibt“, sagte Ismael (18) dem Schweizer Fernsehen. Als erste Schweizer Stadt hatte Basel auf Betreiben der jungen Klimaaktivisten in einer symbolischen Geste im Februar den Klimanotstand ausgerufen.

Unterstützung aus der Politik?
In Großbritannien wurde in mehr als hundert Städten gegen umweltfeindliche Klimapolitik demonstriert. In London zogen Hunderte Kinder und Jugendliche zu einem Platz vor dem Parlament. Der britische Umweltminister Michael Gove unterstützte die Kundgebungen und sprach zu den jungen Demonstranten in einer Videobotschaft.
Politischen Rückhalt gab es auch in Dänemark. Regierungschef Lars Lökke Rasmussen lobte die Proteste. „Es ist unglaublich schön zu erleben, dass sich unsere Jugend engagiert“, sagte er in einem Interview des Senders TV2. Zu der Ansicht der Demonstranten, dass Politiker nicht genug fürs Klima tun, meinte er aber lediglich: „Ich glaube, das tun wir.“ Der internationale Klimakampf werde aber nicht allein in Dänemark gewonnen.
Auch die EU-Kommission sprach den demonstrierenden Schülern und Schülerinnen ihre Unterstützung zu. „Unsere Nachricht an die Jugend ist, dass wir euch hören und genau das machen, was die Jugend fordert“, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Freitag. Die EU habe sich beispielsweise sehr für das Zustandekommen des Pariser Klimaabkommens 2015 eingesetzt.

Kritik an Klimapolitik auch in Polen und Tschechien
Im Industrieland Tschechien beteiligten sich Hunderte Schüler an den weltweiten Protesten. Der Anteil der Braunkohle an der Stromerzeugung liegt in dem EU-Mitgliedsstaat immer noch bei rund 40 Prozent.
In Polen versammelten sich vor dem Warschauer Energieministerium nach Medienangaben mehr als 1.000 junge Demonstranten. Polens Regierung steht wegen zahlreicher Umweltsünden bei Aktivisten in der Kritik. Trotz schädlicher Auswirkungen für Umwelt und Klima halten die Nationalkonservativen beispielsweise an Kohle als Hauptenergielieferanten fest. Derzeit werden daraus etwa 80 Prozent des Stroms in Polen erzeugt.
„Wir sind der Wandel“
Doch auch abseits von Europa fand der Aktionstag regen Zuspruch. In Australien etwa sprachen die Organisatoren von schätzungsweise 150.000 Teilnehmern in Dutzenden Städten. Auch in Indien beteiligten sich einige hundert Schüler in der Hauptstadt Neu-Delhi sowie weiteren Städten. In Gurugram, einem Vorort von Neu-Delhi, trug ein Mädchen einen Kittel, auf dem „Ich will nicht ersticken“ stand. Neu-Delhi und Gurugram (früher Gurgaon) gehören laut Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den 13 Städten mit der schlimmsten Feinstaubbelastung weltweit – und alle 13 liegen in Nordindien.
In Neuseeland, wo die ersten Proteste weltweit anliefen, sagte Koordinatorin Sophie Handford (18): „Wir sind die, die diese Erde erben werden. Wir verdienen es, darüber mitreden zu dürfen, welche Art von Zukunft wir haben werden.“

Proteste in Grönland und der Antarktis
Die internationalen Proteste erreichten mit Grönland und der Antarktis auch entlegene Orte, die ganz besonders von der Erwärmung der Erde und der Ozeane betroffen sind. In der grönländischen Hauptstadt Nuuk kamen am Freitag rund 400 Schüler zusammen, um mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz einzufordern. Schüler wiesen in Reden darauf hin, dass Grönland weltweit eines der am stärksten von Klimaveränderungen betroffenen Länder sei. Auf Plakaten war unter anderem „Kämpft für unsere Zukunft!“ zu lesen. Auf einem Schild stand: „Wenn sich das Klima verändern kann, warum nicht auch wir?“
Auch in der Antarktis wurde protestiert. Vor der Neumayer-Station III, der deutschen Polarforschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts, zeigten Wissenschaftler an, wie weit der Meeresspiegel wegen des Klimawandels steigen könnte. Ein Forscher hielt ein Schild mit der Aufschrift „Es gibt keinen Plan(eten) B. Stoppt den Klimawandel. Sichert die Zukunft der Antarktis“.
Thunberg warnte vor Existenzkrise
Angestoßen wurde die Streikbewegung von der 16-jährigen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie begann im August 2018 damit, vor dem Parlament in Stockholm für einen stärkeren Einsatz Schwedens gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Ihr „Schulstreik fürs Klima“ fand in den vergangenen Wochen Tausende Nachahmer in aller Welt, Thunberg wurde zum Gesicht der internationalen Klimaschutzbewegung.

Thunberg hat auf die Dringlichkeit eines entschlossenen Handelns gegen die Erderhitzung hingewiesen. „Wir stehen vor der größten existenziellen Krise, vor der die Menschheit jemals gestanden ist. Und trotzdem ist das ignoriert worden. Ihr, die das ignoriert habt, wisst, wer gemeint ist“, sagte die 16-Jährige vor Tausenden jubelnden Demonstrierenden in Stockholm.
Schuld daran sei nicht die junge Generation. „Wir haben nicht zu dieser Krise beigetragen. Wir sind nur in diese Welt hineingeboren worden und müssen mit dieser Krise unser ganzes Leben lang leben.“ Man werde das nicht akzeptieren, kündigte die schwedische Schülerin an. „Deshalb streiken wir. Und wir werden weitermachen.“