Ein Mann steht zwischen EU-Fahnen
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„Andere Dinge zu tun“

Brexit-Zitterpartie bringt EU in Rage

Zehn Tage vor dem geplanten Brexit wächst in der EU der Unmut über die Hängepartie rund um den Ausstieg der Briten. Entsprechend fielen die Kommentare der Europaminister beim EU-Rat in Brüssel aus. Man habe „andere Dinge zu tun“, hieß es da etwa. Erwartet werden von der britischen Regierung rasche Lösungsvorschläge – demnächst will Premierministerin Theresa May einen Brief nach Brüssel schicken.

„Die Ungewissheit ist inakzeptabel“, sagte die französische Europaministerin Nathalie Loiseau. Auch EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) vermisste weiterhin Klarheit. Eine längere Fristerstreckung der Brexit-Verhandlungen sei nur bei gutem Grund möglich. „Wenn das nur die Unsicherheit verlängert, werden wir nicht zustimmen können“, sagte Blümel nach Beratungen.

Die bestmögliche Variante wäre eine Annahme des Deals mit der EU. Wenn für die Umsetzung eine kurze Verlängerung erforderlich wäre, „würde sich kaum jemand dagegen sträuben“, so Blümel. „Alle anderen Optionen wären wesentlich tragischer“, könnten aber noch nicht bewertet werden, weil noch kein Schreiben von May vorliege.

Rumäniens EU-Minister George Ciamba spricht mit Deutschlands EU-Minister Michael Roth
AP/Virginia Mayo
Der rumänische EU-Minister George Ciamba (l.) im Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen Michael Roth

„Bitte liefert, die Uhr tickt“

Auch andere Europaminister zeigten sich über die steigende Unsicherheit besorgt und drängten zur Eile. „Liebe Freunde in London, bitte liefert. Die Uhr tickt“, sagte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth. Die Geduld der EU werde „derzeit auf eine sehr harte Probe gestellt. Die Stimmung ist sehr schlecht.“ Der schwedische EU-Minister Hans Dahlgren forderte Signale aus London: „Wir haben in der EU mit einer ganzen Menge anderer Dinge zu tun. (…) Lasst es uns anpacken.“

Auch die rumänische EU-Ratspräsidentschaft verlangte eine eindeutige Position der Briten. „Offenkundig gibt es keine Klarheit, heute noch weniger als gestern“, klagte der rumänische EU-Minister George Ciamba. Eine Neuverhandlung des von May mit der EU ausgehandelten und bereits zweimal vom britischen Parlament abgelehnten Austrittsvertrags wurde ausgeschlossen.

„Moment der Krise für unser Land“

Der Druck aus Brüssel trifft auf die Krisenstimmung bei der britischen Regierung. Sie wurde von der jüngsten Entscheidung des Parlamentspräsidenten John Bercow kalt erwischt: Er will nach zwei Abstimmungsniederlagen für Premierministerin May nur noch eine substanziell veränderte Version des Ausstiegsvertrags zum Votum zulassen. Die Regierung suchte am Dienstag nach Wegen, um eine entsprechende Unterhausregelung zu umgehen.

„Das ist ein Moment der Krise für unser Land“, räumte Brexit-Minister Steve Barclay ein. Durch Bercows Entscheidung liege die Latte nun höher, und eine Abstimmung noch in dieser Woche sei weniger wahrscheinlich. Die Regierung überprüfe aber Optionen, die ein drittes Votum doch noch ermöglichen könnten. Das könnten veränderte Umstände wie mehr Unterstützung der Abgeordneten oder eine Brexit-Verschiebung sein, so Barclay.

May-Brief an Tusk angekündigt

May will einem Sprecher zufolge demnächst in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk um einen Brexit-Aufschub bitten. Sie könnte das Schreiben noch am Dienstag oder am Mittwoch aufsetzen. Nach Informationen der Sender BBC und ITV will May um eine Verschiebung um drei Monate bis Ende Juni ersuchen. Damit erhoffe sie sich zusätzliche Zeit, um den zweimal abgelehnten Ausstiegsvertrag doch noch durch das britische Parlament zu bekommen.

Der Antrag enthalte wohl auch die Option auf eine Verlängerung um bis zu zwei Jahre. Tusk wird Donnerstag und Freitag den EU-Gipfel in Brüssel leiten. Die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Länder müssen den Aufschub alle billigen. Erste Stimmen dazu gibt es schon: Nach Ansicht von Italiens Regierungschef Giuseppe Conte solle es höchstens einen „kurzen Aufschub“ geben. Einen größeren Zeitrahmen zuzugestehen würde bedeuten, „Probleme aufzuschieben“.

Barnier: Grund für lange Verschiebung benötigt

Aus Sicht von EU-Chefunterhändler Michel Barnier ist eine Verschiebung des britischen EU-Austritts noch keine ausgemachte Sache. Die 27 bleibenden EU-Länder müssten die Gründe und den Nutzen einer solchen Fristverlängerung genau abwägen, sagte Barnier am Dienstag in Brüssel. Ein Aufschub verlängere auch die Unsicherheit. Entscheidend sei ein konkreter Plan aus London, sagte Barnier.

Der EU-Chefverhandler bekräftigte, dass das vom britischen Unterhaus bereits zweimal abgelehnte Austrittsabkommen der einzig mögliche Vertrag beider Seiten sei, um einen geordneten Austritt zu gewährleisten. „Ein langer Aufschub setzt voraus, dass tatsächlich etwas Neues im Angebot ist, dass politisch ein neuer Gedanke in die Verhandlungen kommt.“