SV Hauptverband Sozialversicherungsträger
ORF.at/Christian Öser
Sozialversicherungen

Nächster Schritt zur Kassenfusion

Die neuen Gremien in den fünf zusammengelegten neuen Sozialversicherungsträgern haben am Montag ihre Arbeit aufgenommen. Für die von 21 auf nunmehr fünf reduzierten Krankenkassen konstituierten sich die Überleitungsausschüsse – neue Führungen inklusive. Kritik daran wies die Regierung zurück. Einer Verfassungsklage sieht man gelassen entgegen.

Die Überleitungsausschüsse führen die Fusion durch, ihre Arbeit aufnehmen werden die neuen Träger am 1. Jänner 2020. Für die aus den neun Gebietskrankenkassen entstehende Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) wurde auf Arbeitgeberseite FPÖ-Wirtschaftskammer-Vizepräsident Matthias Krenn als erster Obmann gewählt. Er wird zunächst den Überleitungsausschuss und ab 2020 zunächst den Verwaltungsrat der ÖGK führen.

Danach soll er sich mit dem von der Arbeitnehmerseite nominierten derzeitigen Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse, Andreas Huss, im Halbjahresrhythmus abwechseln. Die Kritik, dass mit Krenn nun ein Arbeitgeber und Hotelier die ÖGK führt, wiesen Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger in einer Pressekonferenz zurück.

„Heute ist wirklich ein schöner Tag“

Die Sozialministerin attestierte Krenn „enorme Kompetenz“, nachdem er schon jahrelang in den Hauptverbandsgremien mitgearbeitet habe. Für den ÖVP-Klubobmann ist der Hotelier gerade durch seine Rolle als Bürgermeister von Bad Kleinkirchheim „bestens geeignet“. Eine politische Umfärbung konnten darin weder Hartinger-Klein noch Wöginger erkennen – vielmehr zeigte man sich euphorisch: „Heute ist wirklich ein schöner Tag, heute wird die Organisationsstruktur der Sozialversicherung endlich mit Leben erfüllt.“

Dass es in der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) keine Rotation an der Spitze gibt, verteidigte Wöginger damit, dass diese Träger „andere Voraussetzungen“ hätten. In der aus Selbstständigen und Bauern zusammengelegten SVS wird der Welser Unternehmer Peter Lehner, bisheriger Obmann-Stellvertreter in der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Obmann.

Trotz Kritik Beharren auf Einsparungen

Hartinger-Klein und Wöginger beharrten trotz anderslautender Kritik darauf, dass die Reform bis 2023 insgesamt eine Milliarde Euro an Einsparungen bringen werde. Die Sozialministerin verwies darauf, dass die Zusammenlegung der Pensionsversicherungsanstalten von Arbeitern und Angestellten zwar zunächst 115 Mio. Euro gekostet habe, aufgrund der Produktivitätssteigerung komme man inzwischen aber auf jährliche Einsparungen von 52 Mio. Euro.

Weiter Kritik an Kassenreform

Während die Regierung erneut von einem „Leuchtturmprojekt“ spricht, kommt heftige Kritik – etwa von der Tiroler AK, die nun eine weitere Verfassungsklage gegen die Reform einbringt.

Die Fusionskosten der jetzigen Reform konnte Hartinger-Klein nicht beziffern, das sei eine Entscheidung der Selbstverwaltung. Für die nächsten Tage kündigte sie einen Erlass an, welche Kosten hier einberechnet werden sollen. Sie nannte hier bereits Personalkosten, Überstunden, Ausbildung und Schulung, externe Berater, Übersiedlung und EDV. Das Geld dafür müsse bei der ÖGK jedenfalls von den Gebietskrankenkassen kommen.

„Schlanker machen“

Die Sozialministerin und der ÖVP-Klubobmann gaben an, dass man zum Wohle der Patienten die Strukturen „schlanker machen“ werde und damit Bürokratie abbaue. Das Ziel sei mehr Gerechtigkeit und gleiche Leistungen für gleiche Beiträge innerhalb eines Trägers. Aus den 21 leitenden Angestellten und 20 Chefärzten würden künftig jeweils fünf, so die Argumentation der beiden. Überhaupt handle es sich bei der Reform um ein „Leuchtturmprojekt“.

Die mit Eisenbahn und Bergbau fusionierten Beamten übernimmt der Vorsitzende der Beamtengewerkschaft, Norbert Schnedl. In der PVA sollen sich der Metallergewerkschafter Peter Schleinbach und der von der Arbeitgeberseite entsandte Fachverbandsobmann der Personenbetreuer, Andreas Herz, abwechseln. Die AUVA soll der arbeitgebernominierte Unternehmer und stellvertretende Vorsitzende der Landesstelle für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Mario Watz, als Obmann übernehmen.

Kritik von ÖGB und AK

Die Überleitungsausschüsse arbeiten bis Jahresende parallel mit den derzeit bestehenden Gremien der 21 Träger und gehen mit 1. Jänner in identer personeller Besetzung in den jeweiligen Verwaltungsrat über. In den neuen Gremien sitzen jeweils sechs Arbeitgeber- und sechs Arbeitnehmervertreter.

AK-Präsidentin Renate Anderl und ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian erwarten im Zuge dessen Verschlechterungen im Gesundheitssystem. Sie befürchten Beitragssenkungen für die Wirtschaft, die Privatisierung von Gesundheitsleistungen und die Einführung von Selbstbehalten. Ähnlich sieht das der Kärntner GKK-Direktor Johann Lintner – auch er sieht einen Selbstbehalt auf die Versicherten zukommen – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Tiroler AK bringt Klage beim VfGH ein

Just am Tag der Eisetzung neuer Personalien droht der Reform aber Ungemach aus dem Westen. Die Tiroler Arbeiterkammer werde die bereits angekündigte Klage beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) nun einbringen, sagte deren schwarzer Präsident Erwin Zangerl (AAB-FCG) gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ (Montag-Ausgabe). Man wolle damit die „Aushebelung der Selbstverwaltung“ bekämpfen, so Zangerl.

Dass die Gremien künftig paritätisch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern besetzt werden, empört Zangerl: „Das wäre so, als ob die Arbeitnehmer in der neuen Sozialversicherung der Selbstständigen ebenfalls federführend mitbestimmen wollen.“

„Das letzte Mal im Ständestaat passiert“

Bezüglich der von ihm georteten „Aushebelung der Selbstverwaltung“ zog der Tiroler AK-Präsident, einer der schärfsten Kritiker der ÖVP-FPÖ-Koalition in der ÖVP, einen Vergleich aus der Geschichte: „Man stelle sich vor, das ist das letzte Mal im Ständestaat in den 1930er Jahren passiert. Das Höchstgericht hat aber damals diese Vorgangsweise gekippt. Wir gehen davon aus, dass es diesmal nicht anders sein wird.“

Die Regierungsseite gab sich angesichts der eingebrachten Verfassungsklage gelassen. Man habe selbst von Experten alles prüfen lassen. Die gesamte Reform sei keinesfalls gefährdet, im schlimmsten Fall würden einige Teile vom VfGH aufgehoben. Insgesamt sind derzeit bereits fünf Beschwerden beim VfGH anhängig, etwa von mehreren Gebietskrankenkassen, vom Seniorenrat und von der SPÖ – in deren Zentrum steht die These, dass mit der Reform das Recht auf Selbstverwaltung verletzt werde – Audio dazu in oe1.ORF.at.

NEOS: „Umfärbung in den Kassen“

„Das ist nicht ‚Sparen im System‘, das ist Sparen an Ideen“, so NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker bezüglich der Reform. „Unser Kassensystem bleibt auch nach dieser ‚Reform‘ massiv unsolidarisch, wettbewerbsfeindlich und innovationshemmend.“ Für Loacker ist klar, dass diese Reform keine Verbesserung für die Patientinnen und Patienten bringt: „Die angebliche Patientenmilliarde ist eine Lüge und soll nur davon ablenken, dass es ÖVP und FPÖ allein um die Umfärbung der Kassen geht.“

Kritik von roten Funktionären, Lob von WKÖ und IV

Entsprechend kam von roten Kassenfunktionären, die mit der Reform deutlich an Macht verlieren werden, scharfe Kritik. Sie befürchten nicht Einsparungen von einer Milliarde, sondern Zusatzkosten in dieser Größenordnung. Durch die Parität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sehen sie im Gegensatz zur Regierung die Selbstverwaltung in Gefahr. Heftige Kritik kam auch von der SPÖ: Sozialsprecher Josef Muchitsch warf der Regierung vor, der Sozialversicherung Milliarden zu entziehen, Strukturen zu zerschlagen und das Gesundheitssystem zu zerstören.

Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karl-Heinz Kopf freute sich hingegen über Einsparungen im System und dass die Arbeitgeber nun auch in den neuen Gremien der ÖGK und der Pensionsversicherungsanstalt gleich stark wie die Arbeitnehmer vertreten sind. Er zeigte sich überzeugt davon, dass dies auch verfassungskonform sei. Auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), Christoph Neumayer, sieht mit der Reform die Weichen für eine moderne, effiziente und bürgernahe Sozialversicherung gestellt.

Einsparungen bei Funktionären 1,4 Mio. Euro

Die fünf neuen, zusammengelegten Sozialversicherungsträger sollen für ihre Funktionärinnen und Funktionäre ab nächstem Jahr 1,435 Mio. Euro weniger ausgeben als die derzeit 21 Träger. Wie aus einem Entwurf für die „Entschädigungsverordnung“ des Sozialministeriums hervorgeht, ergibt sich diese Einsparung allein durch die Reduzierung der Funktionärinnen und Funktionäre, die Gebühren bleiben praktisch unverändert.