Außenaufnahme der Notre-Dame
Reuters/Gonzalo Fuentes
Notre-Dame

Wiederaufbau-Debatte gewinnt an Fahrt

Bereits am Tag nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame de Paris hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den raschen Wiederaufbau des weltberühmten Gotteshauses zur Chefsache erklärt. Abseits der gerade angelaufenen Schadensbegutachtung gibt es hier allerdings noch grundsätzliche Fragen zu klären.

Eröffnet wurde bereits die Debatte darüber, ob der beim Brand nahezu vollständig zerstörte Dachstuhl erneut aus Holz oder nun aus Metall errichtet werden soll. Manche könnten sich nur einen originalgetreuen Wiederaufbau der Kathedrale vorstellen, sagte der Londoner Architekt Francis Maude, der nach dem Brand im Schloss Windsor in den 90er Jahren an dessen Restaurierung beteiligt gewesen war.

Beim Wiederaufbau des Dachstuhls gehe es zwar um einen von außen nicht sichtbaren Gebäudeteil, sagte der italienische Stararchitekt Renzo Piano im „Corriere della Sera“-Interview – es spreche dennoch einiges für eine neuerliche Holz-Blei-Konstruktion. Piano sprach in diesem Zusammenhang von historischer Kontinuität.

Innenaufnahme der Notre-Dame
AP/Christophe Petit Tesson
Aus Expertensicht ist es noch zur früh, um über Kosten und Dauer des Wiederaufbaus zu sprechen

Mit Verweis auf das Gewicht gebe es aber auch statische Vorteile – zudem gebe es dank neuer Methoden bei Holz keine Nachteile in Sachen Feuerfestigkeit. Die Entscheidung liege Piano zufolge aber bei dem für die Restaurierung zuständigen Architekten Philippe Villneuve, und der wisse ohnehin, „wie man diese Dinge macht“.

„Dachstuhl wird nachher ein anderer sein“

Tatsächlich ist eine am ursprünglichen Zustand orientierte Rekonstruktion nur eine von mehreren Möglichkeiten. Maude nannte als Beispiel etwa die im Ersten Weltkrieg beschädigte Kathedrale von Reims. Sie hat seitdem ein feuerbeständiges Stahldach. Ähnlich sieht das der Kunsthistoriker Stephan Albrecht von der Universität Bamberg, der auf den Wiener Stephansdom verwies, dessen hölzerner Dachstuhl nach dem Brand im Jahr 1945 durch eine Stahlkonstruktion ersetzt wurde.

Notre-Dame: Baufirmen weisen Schuld zurück

Die Spendenzusagen für den Wiederaufbau von Notre-Dame sind groß. In fünf Jahren sollen Dachstuhl und Spitzturm wieder stehen, verspricht Präsident Emmanuel Macron. Doch dieses Ziel ist ehrgeizig.

„Für die meisten Teile gibt es keine originalen Baupläne oder -zeichnungen“, berichtet Albrecht, der seit Jahren an dem Bauwerk forscht. Auch nicht vom verlorenen Dachstuhl, der auf eine Holzkonstruktion aus dem 13. Jahrhundert zurückging. „Die Form kann man natürlich kopieren, die Substanz aber ist weg.“ Und mit ihr viele für eine Nachbildung unverzichtbare Informationen zur Oberfläche, zur Beschaffenheit, zur Fertigung.

Vom Dachstuhl sollte alles, was zu retten ist, geborgen werden, heißt es dazu beim Deutschen Verband der Restauratoren. So wie viele andere Experten appelliert auch der Verband aber, nichts zu überstürzen und „sich Zeit zu lassen.“

Architekturwettbewerb angekündigt

Noch offen ist auch, ob und wenn ja, wie der beim Brand eingestürzte, rund 90 Meter hohe Spitzturm wiederaufgebaut wird. Wie Premierminister Edouard Philippe am Mittwoch nach einer Regierungssitzung bekanntgab, will Frankreich dazu einen internationalen Architekturwettbewerb ausrufen.

16.04.19 Brand Notre-Dame Feuer Kontrolle Haupt
AP/Diana Ayanna
Über den Wiederaufbau des Spitzturms soll ein Architekturwettbewerb entscheiden

Ein neuer Turm müsse den „Techniken und Herausforderungen unserer Zeit“ standhalten. Außerdem kündigte Philippe ein neues Gesetz an, das Transparenz im Umgang mit den Spenden sicherstellen soll. „Jeder Euro, der für den Wiederaufbau von Notre-Dame eingezahlt wird, wird dafür eingesetzt – und für nichts anderes“, sagte Philippe. Eine entsprechende Vorlage soll es in der kommenden Woche geben. Außerdem solle eine öffentliche Einrichtung den Wiederaufbau leiten.

Sorge um Bausubstanz von Notre-Dame

Während diskutiert wird, mit welchen Baustoffen Notre-Dame wiederaufgebaut werden soll, sorgen sich Experten um die noch bestehende Bausubstanz der Kathedrale.

„Verbeult, aber wahrscheinlich restaurierbar“

Bei einem Wiederaufbau des Turms könnte die Spitze erneut von der einstigen Originalskulptur geziert werden. Laut französischen Medienberichten wurde der bronzene Hahn „verbeult, aber wahrscheinlich restaurierbar“ in den Trümmern entdeckt. Jaques Chanut, Chef der „Federation francaise du batiment“ (Französischer Bauverband) gab den Fund am Dienstagabend via Twitter bekannt. Die Figur gilt als besonders wertvoll, da sie offenbar mehrere Reliquien beherbergt. Ob sich diese noch unbeschadet darin befinden, ist noch nicht bekannt.

Zunächst „Rettung“, dann Wiederaufbau

Wie lange der Wiederaufbau dauern und vor allem kosten wird, hängt unterdessen auch von den tatsächlichen Schäden ab. Laut dem aus Frankreich stammenden Chefkurator der Gesteinssammlung des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, Ludovic Ferriere, müssten etwa noch die genauen Auswirkungen der großen Hitze und der Löscharbeiten auf die Bausubstanz geklärt werden.

Arbeiten an der Notre-Dame
Reuters/Gonzalo Fuentes
Noch offen ist, welche Schäden der Brand und die Löscharbeiten an der Bausubstanz verursachten

Die große Frage im Falle von Notre-Dame sei jene nach dem Zustand der Steinblöcke, aus denen die Kathedrale großteils erbaut ist. Sind solche Blöcke hohen Temperaturen ausgesetzt, können sich mehrere Effekte einstellen: Bei niedrigerer Hitze ändert sich die Farbe der Steine – was vor allem ein „ästhetisches Problem“ darstellt. Es entstehen aber auch Risse, Bruchlinien, und die Blöcke dehnen sich aus und können im Extremfall sogar „explodieren“.

Man wisse „noch gar nicht genau, welche Schäden tatsächlich entstanden sind“, sagte laut „Süddeutscher Zeitung“ die Bauhistorikerin Elke Nagel von der Technischen Universität München. Aus diesem Grund sei es auch noch zu früh, um über Kosten und Dauer der Instandsetzung zu spekulieren. Laut Nagel muss zunächst das Gewölbe durch Querträger stabilisiert und ein Notdach errichtet werden, daher sei derzeit der Begriff „Rettung“ auch passender als „Wiederaufbau“.

2015 mit Laserscannern digitalisiert

Als möglicher Schlüssel für einen möglichst originalgetreuen Wiederaufbau wird unterdessen die Arbeit des im Vorjahr verstorbenen belgisch-amerikanischen Kunsthistorikers Andrew Tallon gehandelt. Er hatte bereits 2015 Notre-Dame mit Hilfe von Laserscannern und hochauflösenden Panoramafotos digitalisiert. Dabei entstanden mehr als eine Milliarde Datenpunkte, die die intakte Kathedrale auf bis zu fünf Millimeter genau abbilden.

Auch Albrecht und sein Team haben vor Kurzem die Wände eines Querhauses mit Scannern in 3-D vermessen. „Das ist jetzt ein Glücksfall, wir können sagen, wie das Mauerwerk über ziemlich große Strecken ausgesehen hat“, wird der Kunsthistoriker dazu von der dpa zitiert. Mit einem weiteren Scan könne ermittelt werden, wie sich die Katastrophe ausgewirkt und die Wand verformt habe.

Notwendige Handwerker „dünn gesät“

Geht es nach dem Wiener Dombaumeister Wolfgang Zehenter, seien die dreidimensionalen Vermessungen ohne Frage von großem Wert – der Wiederaufbau bleibe dennoch nicht zuletzt auch eine handwerkliche Herausforderung – mehr dazu in wien.ORF.at. Nach Zehetners Angaben seien die in Paris nun gefragten handwerklichen Fähigkeiten jedenfalls „dünn gesät“.