Der Komiker Wolodymyr Selenski
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Ukraine-Stichwahl

Politdarsteller laut Prognosen in Führung

Die Ukraine steht vor einem Präsidentenwechsel. Einer landesweiten Nachwahlbefragung zufolge kam der Politikneuling Wolodymyr Selenski bei der Stichwahl am Sonntag auf 73 Prozent der Stimmen. Auf Amtsinhaber Petro Poroschenko entfielen 25 Prozent. Er räumte kurz nach Schließung der Wahllokale seine Niederlage ein.

„Ich werde euch niemals enttäuschen“, versprach Selenski der ukrainischen Bevölkerung nach der Schließung der Wahllokale. Er sei zwar noch nicht offiziell Präsident, aber als Bürger der Ukraine könne er allen postsowjetischen Ländern sagen: „Schaut auf uns! Alles ist möglich!“ Er bedankte sich bei seiner Familie, Mitarbeitern, Sicherheitsbehörden, Soldaten und ukrainischen Wählern.

Selenski gelang es, in allen Regionen der Ukraine die meisten Stimmen zu holen. Exit Poll National, ein Verbund dreier Meinungsforschungsinstitute, sah ihn nach Schließung der Wahllokale bei 73,2 Prozent der Wählerstimmen und Poroschenko bei 25,3 Prozent. Auszählungsergebnisse werden am späten Abend erwartet.

Unklare politische Ziele

Ende März hatte Selenski bereits die erste Runde der Präsidentschaftswahl klar für sich entschieden, obwohl er über keinerlei politische Erfahrung verfügt. Stattdessen war er bisher vor allem für seine Rolle als ukrainischer Präsident in einer TV-Serie bekannt. Der 41-jährige Komiker und Schauspieler ist erst seit Jahresbeginn auf der politischen Bühne aktiv und machte mit Antikorruptionsthemen Wahlkampf. Über seine politischen Ziele für das Land mit seinen 42 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen ist wenig bekannt.

Nach Bekanntwerden der ersten Wahlprognosen sagte Selenski vor Journalisten und Journalistinnen, er wolle in seiner neuen Position als Präsident der Ukraine den Friedensplan für den umkämpften Osten wiederbeleben: „Wir werden die Verhandlungen fortsetzen und bis zum Ende gehen, damit das Feuer eingestellt wird.“ Wichtigste Aufgabe sei es, seine Landsleute aus der Gefangenschaft aus Russland und der Ostukraine zu befreien.

Der Komiker Wolodymyr Selenski
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Selenski küsste vor jubelnden Anhängern seine Frau auf der Bühne

Wahlsieg als Novum

Wie Poroschenko steht Selenski für eine Westanbindung der Ukraine und die Unabhängigkeit des Landes von Russland. Dennoch wäre sein Wahlsieg ein Novum in dem Land, denn alle vor ihm seit der Unabhängigkeit von Russland vor fast 30 Jahren gewählten Präsidenten waren erfahrene Politiker.

Selenski sieht seine eigene politische Unerfahrenheit nicht als Nachteil, im Gegenteil: „Ich bin ein frisches Gesicht. Ich habe nie etwas mit Politik zu tun gehabt“, sagte er. Um mit den gleichen Versprechen aufzuwarten, wie seinerseits Poroschenko: Krieg beenden, Korruption bekämpfen, Armut senken – Selenski verriet dabei jedoch nie, wie er das zu erreichen gedenkt.

Investoren erwarten von dem Wahlsieger jedenfalls Zusicherungen für Reformen, um Investitionen aus dem Ausland attraktiver zu machen und das Land in einem Unterstützungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu halten. Der IWF hat das Land durch Kriegswirren, Rezession und einen Währungsabsturz begleitet.

Comedy im Wahlkampf

Im Wahlkampf setzte Selenski auf Kommunikation über Soziale Netzwerke und auf Comedy-Auftritte anstelle traditioneller Auftritte. Sein Antreten passt in eine Zeit, in der Populisten weltweit auf dem Vormarsch sind.

Der Politiker und Journalist Serhij Leschtschenko etwa verglich Selenski mit US-Präsident Donald Trump: „Sie sind beide TV-Stars, sie verkaufen den Menschen einen Traum (…), die Menschen haben die Nase voll von der alten Politikerkaste.“ Auch Parallelen zu dem italienischen Komiker Beppe Grillo, der einst die mittlerweile regierende Fünf-Sterne-Bewegung in Italien gründete, wurden gezogen.

Poroschenko will weiter in der Politik bleiben

Amtsinhaber Poroschenko räumte unterdessen seine Niederlage ein. Er gratulierte am Sonntagabend seinem Herausforderer zum Sieg. „So gehört es sich. So ist es in demokratischen Ländern üblich“, sagte Poroschenko vor seinen Anhängern und Anhängerinnen. Zugleich betonte er: „Ich werde weiter in der Politik bleiben und für die Ukraine kämpfen.“ Der 53-Jährige rief seinen Anhängern zu, niemals aufzugeben.

Amtsinhaber Petro Poroschenko
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Poroschenko räumte zwar seine Niederlage ein, betonte jedoch, weiter für die Ukraine zu kämpfen

Die Partei Poroschenkos hatte zuvor erklärt, nun die Parlamentswahl im Oktober in den Blick zu nehmen. „Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen, um das Land zu verteidigen“, sagte Poroschenko. Er warnte immer wieder vor einer russischen Aggression gegen sein Land. Er werde nun das Amt verlassen, aber den Kampf nicht aufgeben. „Der neue Präsident wird eine starke Opposition haben, eine sehr starke“, meinte er kämpferisch. Die Niederlage war ihm nicht anzumerken.

Poroschenko bot Selenski Hilfe an

Poroschenko war im Mai 2014 ins Amt gewählt worden, wenige Monate nach dem Sturz des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch als Folge der Maidan-Proteste. Poroschenko fiel die Aufgabe zu, die Ukraine nach der Abspaltung der Halbinsel Krim durch prorussische Kräfte und den Unruhen im Osten des Landes zu einen und aus einer schweren Krise zu führen. Viele Ukrainer trauten ihm zuletzt aber nicht mehr zu, die Lebensverhältnisse im Land zu verbessern. Zudem werfen ihm Kritiker vor, beim Kampf gegen die Korruption in der Ukraine kaum vorangekommen zu sein.

Selenski berichtete, dass ihm Poroschenko zum Wahlsieg gratuliert habe und ihm seine Hilfe angeboten habe. „Ich bin Präsident Poroschenko dafür dankbar“, erklärte er. Keinen Zweifel ließ er daran, am Austausch von Spitzenvertretern des ukrainischen Staats interessiert zu sein, konkret war von Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko die Rede, der – so Selenski – zum alten Team gehöre. Details zu Personalfragen würden in einer Pressekonferenz in wenigen Tagen präsentiert werden.

Russland: Ergebnis ist Entscheidung für Wandel

Die russische Regierung wertete das Wahlergebnis als Entscheidung der ukrainischen Bürger für einen Wandel. Vizeaußenminister Grigori Karasin sagte der Nachrichtenagentur RIA Novosti, die neue Führung müsse nun „die Wünsche ihrer Wähler verstehen und umsetzen“. Das gelte in der Innen- und Außenpolitik. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seit Jahren schwer belastet. Russland hatte 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und unterstützt außerdem separatistische Kämpfer im Osten des Landes.

Kurz „ermutigt“ Selenski zur Korruptionsbekämpfung

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gratulierte Selenski bereits zur Wahl zum Präsidenten. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit zur weiteren Vertiefung unserer guten bilateralen Beziehungen“, erklärte Kurz in einer der APA übermittelten Stellungnahme.

Österreich sei einer der größten Investoren in der Ukraine und habe daher starkes Interesse an einer guten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, ergänzte Kurz. „Ich ermutige Präsident Selenski, notwendige Reformen, insbesondere in der Bekämpfung der Korruption, fortzusetzen.“