EU-Flagge vor dem britischen Parlament
Reuters/Gonzalo Fuentes
London bestätigt

Briten nehmen an EU-Wahl teil

Die britische Regierung hat das Vorhaben, das EU-Austrittsabkommen noch vor der EU-Wahl durch das Parlament zu bekommen, aufgegeben – damit wird das Vereinte Königreich definitiv an der Wahl zum neuen Europäischen Parlament teilnehmen. Wie der britische Vizepremierminister David Lidington am Dienstag in London bestätigte, werden die britischen Wahlberechtigten demnach am 23. Mai an die Urnen gerufen.

Selbst im Falle einer Brexit-Einigung sei die Zeit Lidington zufolge „bedauerlicherweise“ zu knapp, um die notwendigen Schriftstücke zu einem solchen Abkommen vor der Wahl am 23. Mai ratifizieren zu können.

Nach der zweimaligen Verschiebung des EU-Austritts hatte London eigentlich beabsichtigt, vor dem Wahltermin ein Abkommen durch das Parlament zu bringen, sodass Großbritannien nicht mehr an der Europawahl teilnehmen muss. Das ist nun vom Tisch. Die Regierung werde jedoch ihre „Anstrengungen verdoppeln“, damit die Verzögerung des Brexits „so kurz wie möglich“ ausfalle, sagte Lidington.

Nicht „Idealfall“

„Im Idealfall wären wir gerne in einer Situation, in der die Mitglieder des Europäischen Parlaments ihre Mandate gar nicht erst antreten müssen“, fügte der Vizeregierungschef hinzu. Der Brexit solle bis zur Sommerpause des britischen Parlaments unter Dach und Fach sein. Um das gesteckte Ziel zu erreichen, seien allerdings weiterhin „harte Arbeit und Kompromissbereitschaft“ bei allen Beteiligten notwendig.

Das Europaparlament wird damit weiterhin 751 Abgeordnete haben, darunter 73 Briten. Bei einem bereits vollzogenen Brexit wären nur noch 705 Sitze zur Wahl gestanden. 27 der britischen Sitze wären zudem auf Länder wie Österreich verteilt worden, die derzeit leicht unterrepräsentiert sind. Für Österreich bedeutet die britische EU-Wahl-Teilnahme nun, dass zunächst nur 18 statt 19 Abgeordnete in die Straßburger EU-Volksvertretung gewählt werden.

Wahl am 23. Mai

Das neue EU-Parlament konstituiert sich am 2. Juli. Die Sommerpause des britischen Parlaments beginnt am 20. Juli. Die Europawahl findet über mehrere Tage Ende Mai statt, in Großbritannien am 23. Mai, in Österreich und anderen Ländern am 26. Mai.

Der an sich für 29. März angepeilte EU-Austritt Großbritanniens wurde verschoben, weil das britische Unterhaus den von Premierministerin Theresa May mit der Europäischen Union ausverhandelten Austrittsdeal dreimal abgelehnt hat, zugleich aber mit knapper Mehrheit gegen einen ungeregelten EU-Austritt stimmte. Daher musste May die Europäische Union um einen Aufschub bitten. Dieser wurde gewährt. Nach derzeitigem Stand muss Großbritannien spätestens mit 31. Oktober die Europäische Union verlassen.

Medien: May erwägt zweites Referendum

Mays Torys und die Labour Party verhandeln derzeit über eine Kompromisslösung im Brexit-Streit, doch sind die Fronten verhärtet. Labour beharrt darauf, dass Großbritannien der EU weiterhin in einer dauerhaften Zollunion verbunden bleibt. Das ist eine rote Linie für die Torys, die im Wahlkampf 2017 versprochen hatten, dass Großbritannien nach dem Brexit eigene Handelsverträge mit Staaten außerhalb der EU wird schließen können. Medienberichten zufolge erwägt May daher bereits die Abhaltung eines zweiten Brexit-Referendums.

Ein Hintergrund für diesen Kurswechsel findet sich Beobachtern zufolge bei den Kommunalwahlen am vergangenen Donnerstag, die sowohl für die Konservativen als auch für Labour einem massiven Denkzettel gleichkamen. Dagegen konnten die proeuropäischen Liberaldemokraten und die Grünen deutlich zulegen.

„Ich will mein Leben zurück“

Die Brexit Party von EU-Gegner Nigel Farage nahmen an der Kommunalwahl nicht teil – aktuellen Umfragen zufolge könnte diese bei der EU-Wahl aber als stärkste Kraft hervorgehen. Sollte seine Partei die Europawahl in Großbritannien gewinnen, dann wolle sie beim weiteren EU-Austrittsprozess auch ein gewichtiges Wort mitreden, sagte Farage am Dienstag. Dabei hatte Farage 2016 nach dem aus seiner Sicht erfolgreichen Brexit-Referendum mit „ich will mein Leben zurück“ seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.

Die Front der proeuropäischen Parteien ist unterdessen zersplittert. Die Liberaldemokraten und die neu gegründete Partei abtrünniger Labour- und Tory-Abgeordneter, Change UK, die sich beide für ein zweites Referendum einsetzen, konnten sich nicht auf eine Allianz einigen. Ob die EU-Wahlteilnahme nun die Exit-vom-Brexit-Chance erhöhen könnte, bleibt somit fraglich.

Aus Sicht der deutschen FDP-Politikerin Nicola Beer sei die Wahlteilnahme indes schon eine Art vorgezogenes zweites Referendum: „Vielleicht wird so ein Weg gefunden, dass Großbritannien doch noch in der EU verbleiben kann. Zumindest muss nach der Wahl schnell klar werden, für welchen Kurs Großbritannien sich entscheidet.“

„Vergiftete“ Wahl befürchtet

In Brüssel zeigte sich zuletzt etwa der Brexit-Beauftragte des scheidenden EU-Parlaments, Guy Verhofstadt von einer britischen Wahlbeteiligung wenig begeistert. Er sei vom laufendem Brexit-Gezerre nicht nur zunehmend genervt, sondern fürchte auch eine „vergiftete“ Europawahl, ereiferte Verhofstadt sich in der letzten Sitzungswoche Mitte April. Das Europaparlament werde zum Taubenschlag: „Britische Abgeordnete fliegen ein, britische Abgeordnete fliegen wieder aus.“