Werner Kogler im ORF.at-Interview

1. Evita Klasse: Wofür stehen die Grünen in Europa?

Kogler: Ja, die Grünen in Europa stehen mit Sicherheit an vorderster Front, wenn’s um Klimaschutz, Umweltschutz und Naturschutz geht. Das brauch’ ich weiter nicht erläutern. Aber es ist mehr als nur das Klima, weil es geht ja mittlerweile auch um die Artenvielfalt und das große Artensterben, wie jetzt eben wieder ausgewiesen. Die Dinge hängen auch zusammen.

Wir stehen für ein soziales Europa. Wir kämpfen sogar darum. Und wir brauchen eine ökonomisch fundierte Basis. Auch die wirtschaftliche Vernunft kann man bei den Grünen gut finden, und letztendlich geht’s auch um eine Friedensrepublik. Also ökologische, soziale Friedensrepublik in Europa. Das ist eigentlich unsre Programmüberschrift.

2. Anonym: Was sind die Strategien der europäischen Grünen, um gegen Rechtspopulismus effektiv anzutreten und eine soziale Gesetzgebung zu schaffen?

Kogler: Erstens ist die soziale Frage tatsächlich – und die Beantwortung – die positive Voraussetzung dafür, dass wir zukünftig weniger Extremisten haben. Vor allem Rechtsextremisten, weil ja der soziale Zusammenhalt und ein gewisser gerechter Ausgleich zwischen Reich und Arm die vernünftigste und beste Voraussetzung ist. Momentan fliegt viel auseinander.

Wie wollen die Grünen das zusammenhalten? Wir sehen uns als Teil einer positiven Gegenbewegung zu diesen rechtsextremen Wellen, indem wir darauf hinweisen, dass es auch die Heimat Europa zu schützen gilt. Für mich ist auch Europa Heimat, mit all seinen Werten: Freiheit, Demokratie, Menschenwürde. Und das wird angegriffen, mehr, als man vor Kurzem erwartet hat, und das gilt es jetzt zu verteidigen. Also zähle ich mich durchaus auch zu jenen, die die Heimat Europa schützen.

3. DDr. Dipl. Ing. Hofr. Gerhard Mauck: Kann man sich vor der Ausländerflut noch retten und vor all jenen, die dank den Grünen Hoffnungen hatten, nach Europa zu kommen? Die Grünen vertreten nämlich nicht die Auffassung Asyl für Flüchtlinge, sondern Asyl für alle. Der Unterschied: Flüchtlinge haben nach Fluchtgrundwegfall zu gehen, der Rest nicht.

Kogler: Ich halt’ die Fragestellung – bei allem Respekt vorm Diplomingenieur Dr., Dr., Doktoren, wenn ich das jetzt richtig im Kopf hab’ – für völlig daneben. Es ist ein völlig falscher Vorhalt. Die Grünen waren immer – und jetzt sind wir’s erst recht – für folgenden Zugang: Kontrolle der Außengrenzen, Registrierung, einheitliches Asylverfahren und gerechte Aufteilung, und es werden, ja, nicht alle bleiben können, das ist völlig richtig.

Und B: Wir dürfen auch das Schlepperunwesen nicht befördern. Dafür brauchen wir für die, die es wirklich brauchen, auch da oder dort legale Fluchtwege. Und das Wichtigste ist: Fluchtursachen bekämpfen, ja! Der letzte große verständliche Flüchtlingsansturm war ja 15 … war ja deshalb, weil nämlich im wahrsten Sinn des Wortes die Flüchtlingslage im Libanon, in Jordanien durch Zutun Österreichs und mancher europäischer Staaten ausgehungert wurden. Ja, da muss man das Thema vom Kopf auf die Füße stellen.

Und am Schluss, so zusammengefasst: Es braucht in dieser Frage Ordnung und Menschlichkeit. Aber dass man glaubt, mit irgendwelchen finsteren Parolen dieser Angelegenheit Herr zu werden, da ist man völlig am Holzweg. Alles Scharlatane.

4. Clemens Zimmermann: Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um endlich EU-weite Klimaschutzregelungen einzuführen? Bisherige Versuche (z. B. Pariser Abkommen) haben zu geringe Erfolge erzielt. Bussi baba.

Kogler: Vielen Dank. Die Klimaschutzziele sind jedenfalls zu erreichen im vorgegebenen Zeitraum. Europa, die Union, sollte sogar globaler Taktgeber werden für diese Einhaltung der Klimaschutzziele. Wir sollten in Österreich, in Deutschland, dort, wo die Autoindustrie ist, in Frankreich – wir haben ja viel Zulieferung und Forschung – die Chancen sehen, ja? Die Wirtschaft hat große Chancen auch, und die zukünftigen Arbeitsplätze werden wir dort finden, wenn wir etwa ab 2030 nur mehr abgasfreie Autos neu zulassen. Die alten fahren bis 2050, keine Sorge.

Und deshalb brauchen wir zwar gerechte Preise für sozusagen die schlechten Treibhausgase. Das heißt, wir gehen Richtung ökologische Steuerreform. Das Böse besteuern: Emission. Und das Gute entlasten: Das ist vor allem die menschliche Arbeit. Das kann man in ganz Europa machen. Einzelne Staaten dürfen und können auch. Aber je mehr es machen, desto besser.

Deshalb brauchen wir das ja. Deshalb wollen wir die Union zur Klimaunion machen, und deshalb wollen wir diese Wahl zur Klimawahl machen. Und wir sind eben die letzte Generation, die noch was tun kann, wenn wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben.

5. Wolfgang Knoll: Was sagen Sie zu den Ausnahmeregelungen bezüglich Palmöls, die in der neuen Kraftstoffregelung der Kommission definiert wurden? Gibt es Richtlinien und Gesetze, die Sie gerne ändern würden?

Kogler: Naja, sicher, hier ist zwar das Schlimmste verhindert worden – soweit ich weiß. Aber unserer Meinung nach ist diese ganze sogenannte Biokraftstofferei in vielen Fällen ein Holzweg, im wahrsten Sinne des Wortes, weil ja oft vor Ort – ob’s jetzt in Südamerika ist oder in dem Fall in Südostasien – wichtige Lebensräume massiv zerstört werden, auf das hin wir dann irgendwelche Treibstoffzusätze bekommen.

Nein, das geht andersrum: Wir brauchen überhaupt völlig neue Mobilitätsformen, viel mehr öffentlichen Verkehr und den Pkw, den wir haben, den stellen wir – wie vorher besprochen – in zehn, 20 Jahren um auf abgasfreie Technologien, wo wir diesen Biokraftstoff überhaupt nicht brauchen. Wir brauchen diese Anbauflächen wirklich für was anderes. Unter anderem für Nahrungsmittel, und es muss ja von der Natur noch was über bleiben.

Also: Rein in die Mobilitätswende, und die braucht das genau gar nicht! Da haben sich wieder die falschen Lobbyisten durchgesetzt. Aber deshalb treten ja wir an, um das vom Kopf auf die Füße zu bringen.

6. Jakob: Wie soll eine ökologische Landwirtschaft funktionieren, wenn jetzt bereits viele Bauern weniger Verbote bei Spritzmitteln fordern, um Ernteausfällen wegen Schädlingsbefalls zu entgehen?

Kogler: Ja, das ist für uns trotzdem so, dass die wichtigsten und meisten Fördermittel umgestellt werden sollen. Momentan gehen ja 90, 95 Prozent in die völlig falsche Richtung. Das ist vor allem außerhalb von Österreich jetzt ein bisschen ein Drama.

Gigantische Tierfabriken mit dem ganzen Tierleid samt Lebendtiertransporten, die giftigen Böden, die wir kriegen. Aus diesem kranken System kann einmal kein gesundes Lebensmittel kommen. Also Umstellen der Förderungen im Einzelfall. Erstens gibt’s da Ausnahmen, was die Verordnungen betrifft, für dramatische Einzelfälle. Aber das ist gar nicht mein Thema.

Mein Thema ist, dass wir auch dort, wo wir durchgehend biologische Landwirtschaft haben, in der Regel diese Schädlingsbefalle nicht auftreten. Die Erdäpfelbauern die berühmten in Österreich, die Biobauern haben das Problem nicht. Aber dort, wo man auf Monokultur setzt, ja, mit … – wurscht, was man anbaut –, dort entstehen ja die Probleme. Ich komme ja selber aus der Landwirtschaft, ich weiß, wovon ich red.

7. Anonym: Wie wollen Sie Umweltschutz mit Wirtschaftlichkeit in der EU verbinden?

Kogler: Ja, Umwelt und Wirtschaft unter einen Hut bringen, das zählen wir zu den Kernkompetenzen der Grünen. Dass hier genau die Maßnahmen, die der Umwelt helfen, ja in Wahrheit die modernen Technologien brauchen und bedienen. Und da sind ja die zukünftigen Technologien und die zukünftigen Arbeitsplätze.

Wirtschaft ist ja kein Selbstzweck. Wirtschaft darf Umwelt nicht ruinieren, Wirtschaft muss den Menschen dienen, und insofern sind wir da mit den Grünen glaube ich genau auf der richtigen Seite. Ich bin ja selber in Graz aktiv in den verschiedenen Instituten gewesen, die sich genau mit dem beschäftigen, also die großen Fragen der Umweltökonomie, wie es dort hochtrabend heißt. Aber ich halte das für den Zukunftszweig schlechthin.

Und zusammengefasst, noch einmal: Wirtschaft und Umwelt unter einem Hut – ja, das geht. Das soll sein, ja, das muss sogar sein, wenn wir auf dem Planeten überleben wollen. Es ist alternativlos. Das Einzige, was alternativlos ist.

8. R. A. Watzke: Norwegen hat eine Vorreiterrolle bei der E-Mobilität und ist noch nicht einmal Mitglied der EU. Während in der EU immer noch die Atomlobby regiert und man unsinnige Projekte wie Gasleitungen für russisches Erdgas unterstützt. Braucht man für eine vernünftige Klimapolitik wirklich die EU, oder sind nicht gerade die EU-Institutionen Bremser bei der Energiewende?

Kogler: Na, das sind meistens die Einzelstaaten. Die Union hat immerhin den Klimavertrag maßgeblich herverhandelt von Paris. Richtig ist, dass große Probleme existieren – etwa bei der Atomenergie. Da müssen wir mittelfristig raus, je schneller, desto besser. Da muss man aber die Länder überzeugen, das ist nicht Kompetenz der Union.

Das Zweite ist: Diese Gasleitungen aus Russland halten wir auch für ein Problem, weil das geht ja in die alten Technologien. Aber auch da ist nicht die Kommission ausschlaggebend, das sind die einzelnen Länder, die Interesse haben.

Und drittens: Ja, Norwegen ist ein Vorbild, obwohl die eigentlich vom Erdölhandel ihren Reichtum aufgebaut haben, gehen die zwingend 2025 auf reine Elektromobilität und jedenfalls abgasfreie Autos. Das sollte Vorbild sein. Für Europa wird’s reichen, wenn wir 2030 anstreben, um die ganze Autoindustrie umzustellen. Das geht! Und insgesamt muss Europa Vorreiter werden. Es ist aber wie so oft: Es bremsen die einzelnen Regierungschefs und Mitgliedsstaaten, und nicht die Union.

9. Lisa: Als langjährige Grün-Wählerin frage ich Sie: Herr Kogler, Sie haben die Partei nach der Wahlschlappe der letzten NR-Wahl übernommen. Wenn Sie ins Europaparlament wechseln, was passiert dann mit der Partei in Österreich? Ich habe mir die Grünen-Homepage angesehen, ich kenne da niemanden.

Kogler: Wir haben uns das gut überlegt: Die nächsten zwei, drei Jahre sind immer noch wichtig für die Grünen. Momentan ist, glaube ich, das Comeback ganz gut gelungen. Also wenn man so will: Die Wiederauferstehung, wir sind schon wieder voll im Schuss.

Es gibt eine große Zustimmung und Unterstützung der europäischen Grünen. Wir sind ja Teil dieser großen europäischen grünen Familie, und in Österreich werden wir das so machen, wie andere Parteien auch im Übrigen, dass die Agenden des Bundessprechers, also meine, und des Europaabgeordneten jetzt zwei Jahre in einer Hand bleiben. Dann haben wir sogar bessere Möglichkeiten, hier öffentlich aufzutreten.

Und letzter Punkt: Wir haben viele Junge, Neue in den Bundesvorstand gewählt, weil das ja auch oft von Interesse ist. Wir haben die meisten unter 40. Meine beiden Stellvertreterinnen und Stellvertreter – Nina Tomaselli, Stefan Kaineder sind 34 und spielen schon eine wichtige Rolle in ihren Ländern Vorarlberg, Oberösterreich. Also da kommt was nach. Keine Sorge, wir schaukeln das.

10. Didi: Herr Kogler, können Sie mir bitte sagen, ob Sie in grundsätzlichen Fragen, wenn sie gut sind und Sinn ergeben, auch mit einer anderen Partei, die Ihnen ideologisch nicht nahesteht, gemeinsam stimmen würden?

Kogler: Ja, na selbstverständlich ist es im Nationalrat oft genug passiert. Ich glaube, grad die Grünen sind immer hier sehr sachorientiert in der Herangehensweise und auch im Abstimmungsverhalten. Manchmal sind wir dafür sogar belächelt oder geschimpft worden. Und im Europaparlament ist es noch häufiger der Fall, weil da kommt’s oft nicht drauf an, aus welchem Land du kommst oder zu welcher Partei du gehörst, sondern wie du dort auftrittst, wie du dort verhandelst, was du dort übernimmst und welche Kompetenz du hast.

Also da kann ich, glaube ich, beruhigend antworten: Das werden wir so beibehalten oder noch stärker so machen, gerade im Europaparlament. Also ich persönlich habe das immer so gehalten.

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