Ungarns Premierminister Viktor Orban und Polens Premierminister Jaroslaw Kaczynski
AP/MTI/Zoltan Mathe
Grundrechte und Förderungen

„Subtile EU-Idee“ für Rechtsstaatlichkeit

Liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – diese zwei Säulen der EU kommen durch Rechtspopulisten teils immer mehr unter Druck. Nach der jüngsten Parlamentswahl sind diese auf europäischer Ebene so stark wie nie seit 1945. Dazu kommen die anhaltenden Friktionen wegen der Euro- und der Flüchtlingskrise. Die Idee für einen Ausweg gibt es aber bereits.

Die mögliche Lösung heißt Konditionalität – ein laut Europarechtler Andreas Müller „subtiler Vorschlag mit Potenzial“. Die Verhandlungen dazu kommen nach der EU-Wahl in die heiße Phase. Gegen die von Premierminister Viktor Orban bzw. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski geführten Länder Ungarn und Polen laufen seit vergangenem Jahr Artikel-7-Verfahren wegen möglicher Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit. Den Ländern drohen Sanktionen – schlimmstenfalls ein eingeschränktes Stimmrecht im EU-Rat, kommt dieses Gremium zum Schluss, dass der Rechtsstaat eingeschränkt wurde.

Zugleich wurde gegen ein Grundprinzip der Union, die Solidarität, in den beiden Krisen der letzten zehn Jahre, mehrmals verstoßen – heftiger Streit zwischen den Mitgliedsstaaten inklusive. Schwere Vorwürfe, mit der Flüchtlingskrise alleingelassen worden zu sein, gab es zunächst jahrelang von Griechenland und Italien. Mit Herbst 2015 und der Wanderung Hunderttausender Menschen via Österreich nach Deutschland, klagten plötzlich auch diese Länder über mangelne Solidarität. Als Schuldige ausgemacht wurden in diesem Fall vor allem die Visegrad-Staaten, allen voran Polen und Ungarn.

Von der Solidaritätskrise zur Konditionalität

In dieser Zeit drohten die deutsche Regierung und die – noch von SPÖ und ÖVP geführte – heimische Regierung wiederholt mit finanziellen Sanktionen, sollten die Visegrad-Staaten einer faireren Aufteilung von Flüchtlingen auf die verschiedenen EU-Staaten nicht zustimmen. Das hatte zunächst keine Wirkung.

Versuche der EU-Kommission, mit einer Reform des Dublin-Abkommens den Konflikt zu lösen, scheiterten wiederholt. Die Mühlen in der Politik mahlen bekanntlich oft langsam, das gilt erst recht auf EU-Ebene. Seit rund einem Jahr liegt eine andere Idee auf dem Tisch – und sie geht gleich mehrere Probleme an. Es ist der Vorschlag der EU-Kommission, Auszahlungen von EU-Förderungen an die Einhaltung von Grundwerten bzw. Mindeststandards der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Wer sich unsolidarisch verhält, könnte dann künftig keine oder spürbar weniger Subventionen erhalten – was besonders Visegrad-Staaten treffen könnte.

Unterstützung mit Absicherung

Laut dem Salzburger Europarechtler Stefan Griller bezieht sich diese Idee, die laut Kommission im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) umgesetzt werden soll, auf den in der Euro-Krise 2012 geschaffenen Stabilitätsmechanismus. Seither hat ein Mitgliedsstaat, der in Not gerät, Anspruch auf Unterstützung, das Ganze ist aber an die Einhaltung von Vorgaben (Konditionalität) gebunden. So geschehen etwa im Fall von Griechenland, das erst nach Erfüllung detaillierter Sparauflagen die benötigten Finanzgarantien und -hilfen bekam.

Was passiert mit den EU-Geldern?

Die Kommission argumentiere nun, so Griller, dass bei Nichteinhaltung der rechtsstaatlichen Mindeststandards ebenfalls nicht mehr gewährleistet sei, dass die Fördergelder richtig verwendet würden – und diese daher in einem solchen Fall nicht ausbezahlt werden sollten. Griller nennt das eine „sekundärrechtliche Verdichtung“ der Solidarität.

Für den Innsbrucker Europarechtler Müller ist der Kommissionsvorschlag „subtil“, und er habe „Potenzial“ – allerdings habe vor der EU-Wahl der politische Wille gefehlt, ihn umzusetzen. Orbans Annäherung an die Rechtsfraktion im EU-Parlament dürfte auch der Versuch sein, den Beschluss einer solchen Verordnung zu verhindern. Durchaus für möglich hält Müller aber, dass dieses Konditionalitätselement im Rahmen eines großen „Package-Deals“ – also eines Gesamtdeals zu gleich mehreren Themen – rund um den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen eingeführt wird.

Anders als Großbritannien hätten die Visegrad-Staaten keinerlei Interesse auszutreten, sie wollten vielmehr von den EU-Mitteln profitieren. Der aktuelle MFR läuft Ende 2020 aus, die Verhandlungen über den nächsten treten nach der Wahl in die heiße Verhandlungsphase. Und parallel dazu läuft die Reformdebatte – genügend Gelegenheiten also für Package-Deals.