Othmar Karas im ORF.at-Interview

1. Bernd Seidl: Was empfehlen Sie Wählern, die Sie für einen ausgezeichneten Europapolitiker halten, aber mit dem türkisen Regierungskurs und türkisen Kandidaten nichts anfangen können?

Mich zu wählen, mir eine Vorzugsstimme zu geben! Aber wir sind ein Team. Kein Mensch kann alleine Berge versetzen oder der Welt die Haxen ausreißen. Sondern man muss miteinander mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, mit unterschiedlichen Erfahrungen gemeinsam agieren. Das ist Europa: in Vielfalt geeint.

2. Josef Wieser: Wann kommt es bei wichtigen Fragen von der Einstimmigkeit zu einer Zweidrittellösung, um den Stillstand aufzulösen und in Europa weiterzukommen? Und wie soll das handwerklich gehen, wenn man auch für diese Frage die Einstimmigkeit braucht?

Man muss einmal sagen, dass die Mehrheit aller Entscheidungen – in 80, 90 Prozent – haben ja eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage, und da braucht man eine Mehrheit der Staaten und eine Mehrheit der Bürger, eine Mehrheit in der Länderkammer und eine Mehrheit in der Bürgerkammer. Darüber reden wir kaum, weil’s dort funktioniert. Nur dort, wo wir an unsere Grenzen stoßen, in der Kompetenzfrage oder im Entscheidungsmechanismus, kann es sein, dass die Steueroasen Steuergerechtigkeit verhindern. Dass die Rechtsverletzer ein Rechtsstaatsverfahren verhindern und dass diejenigen, die Werte verletzen, ein Verfahren, eine Sanktion verhindern. Mit politischem Bewusstsein ändern wir das. Mit einer Vertragsreform ändern wir das. Mit politischem Willen und einer öffentlichen Debatte können wir das ändern.

3. Anonym: Wird es in absehbarer Zeit „die Staaten von Europa“ mit nur einer Regierung und einem gemeinsamen Militär geben?

Das sehe ich nicht. Europa lebt von der Vielfalt. Die Vielfalt ist unsere Stärke. Wir haben unterschiedliche Geschichten, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Religionen, unterschiedliche Sprachen, und es hat keinen Sinn, hier diese Unterschiede aufzulösen, sondern wir müssen sie zur Stärke vereinen. Wir müssen das Miteinander fördern. Wir müssen das Miteinander stärken, ja! Wir müssen die Europäische Union zum Sprecher des Kontinents in der Welt machen, sonst können wir die großen Fragen nicht lösen. Ich will aber weder eine Präsidialrepublik noch will ich amerikanische Verhältnisse. Ich möchte Europa stark und unabhängig machen.

4. Barbara Magagna: Was werden Sie tun, damit Europa ganz konkret und rasch gegen den Klimawandel effiziente Maßnahmen ergreifen wird?

Den Weg noch engagierter fortsetzen. Das Pariser Klimaschutzabkommen trägt den Stempel der Europäischen Union. Die Initiativen von Bundespräsident Van der Bellen in Katowice und in New York tragen den österreichischen Stempel. Und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf PKW, die Reduzierung auf LKW, die Erhöhung der Investitionen auf 330 Milliarden Euro aller Investitionen und die Forschungsausgaben auf 40 Prozent für den Klimawandel und das Ziel eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen, die ökosoziale Marktwirtschaft zum Programm zu machen, trägt die Handschrift des Europäischen Parlaments. Das muss man beschleunigen, umsetzen und erweitern. Wir müssen Technologieführer in der Welt werden im Kampf gegen den Klimawandel und für die Reduzierung von Energieverbrauch.

5. Anonym: Was kann Ihre Fraktion und die EU generell tun, damit in Osteuropa endlich höhere Löhne und Gehälter bezahlt werden, damit die Familien dort auch in Wohlstand leben können und die Staaten West- und Mitteleuropas nicht mehr so von den Niedriglöhnen dort unter Druck gesetzt werden?

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, der Binnenmarkt, die sozialen Grundrechte, die unterschiedliche Förderhöhe, der unterschiedliche Mitgliedsbeitrag je nach Wohlstand – die soziale Säule in der Europäischen Union, das Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft … das ist eigentlich die Grundlage für mehr Gerechtigkeit und zur Reduzierung der Unterschiede beizutragen. Dieser Prozess muss fortgesetzt werden. Wir dürfen nicht mit dem Finger aufeinander zeigen, sondern wir müssen die Unterschiede wahrnehmen. Wir müssen sie zur Grundlage des Handelns machen. Wir müssen respektvoll damit umgehen. Das heißt im Binnenmarkt die Barrieren beseitigen, Mindeststandards durchsetzen und die Werte, die wir uns gegeben haben, im Sozialen, im Wirtschaftlichen durchsetzen und umsetzen. Die Europäische Union muss einander gegenseitig helfen. Und dazu gehört Respekt und Rücksichtnahme aufeinander.

6. Norbert Polaczek: Warum werden die Steueroasen in der EU nicht thematisiert und beendet (Malta, Zypern, Irland, Holland)?

Die Steueroasen werden thematisiert, auch in den Berichten des Europäischen Parlaments beim Namen genannt. Ich habe selbst vier Untersuchungsausschüssen angehört. Wir haben 410 Vorschläge gegen Steuerbetrug, gegen Steuerhinterziehung gemacht. Derzeit scheitern wir an der Einstimmigkeit der Steuerfragen, weil die nationale Angelegenheit ist. Sonst hätten wir die Digitalsteuer bereits eingeführt, damit die internationalen Großkonzerne im digitalen Bereich zur Kassa gebeten, mehr Gerechtigkeit zwischen Groß- und Klein- und Mittelbetrieben hergestellt oder die Finanztransaktionssteuer eingeführt oder die gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmensbesteuerung. Für uns als Europäisches Parlament ist es das Ziel, dass Steuern dort bezahlt werden, wo die Wertschöpfung erfolgt. Daher sind wir auch für mehr Transparenz. Hier brauchen wir innenpolitisches Bewusstsein für europäische Regeln und in diesen Fragen eine Abschaffung der Einstimmigkeit.

7. Anonym: Was haben Sie unternommen, um den Verschwendungswahnsinn der periodischen Umsiedelungen von Brüssel nach Straßburg und zurück zu unterbinden?

Diese Sitzfrage ist historisch begründet, und die historische Begründung liegt darin, dass erst zwischen Deutschland und Frankreich die meisten Kriege ausgegangen sind, dass die Region um Straßburg deutsch-französisch spricht, dass die Kinder oder Enkelkinder oder Familienmitglieder in unterschiedlichen Armeen gedient haben, sodass diese Region ein Spiegelbild der Einigung Europas zu einem Friedenskontinent geworden ist. Unser Sitz ist Straßburg, die Franzosen geben den nicht auf. Jedes Gründungsland hat einen. Wir hoffen, dass wir langfristig zu mehr Effizienz kommen. Aber das liegt an den Mitgliedsstaaten, weil jedes Gründungsmitglied einen Sitz hat – Deutschland hat die Europäische Zentralbank usw. Hier müssen wir bei den Franzosen werben. Aber es ist sozusagen … die Region ist die Seele Europas und die Region spiegelt den Friedensprozess in Europa wider. Und diese Dinge zwischen dem pragmatischen, finanziellen Aspekt und dem historisch, seelisch-kulturellen Aspekt muss eine Einheit gefunden werden.

8. Bernhard Eichinger: Wieso haben Sie für Artikel 11 und 13 in dem neuen Urheberschaftsgesetz gestimmt? Geht jetzt nicht die Kreativität der kleinen Leute auf Plattformen wie YouTube verloren zum Schutz der großen Konzerne?

Es ist mir genau um diese Kreativität gegangen. Wir haben eine starke Kreativwirtschaft in Europa und in Österreich. Filme, Autoren, Verlage, Künstler, Maler, Musiker – deren geistiges Eigentum ist im analogen Bereich geregelt. Sie bekommen einen gerechten Lohn. Dieses geistige Eigentum, der Nutzen des geistigen Eigentums, ist in unserer digitalen Welt noch nicht ausreichend geregelt. Es kann sein, dass jemand mit dem geistigen Eigentum anderer Gewinn macht, ohne gerecht zu entlohnen. Daher haben wir dieses Urheberrecht geschaffen. Das steht auch außer Streit. Der Bereich, der offen ist oder zu Problemen geführt hat, war der Dialog zwischen Usern und Kreativwirtschaft. War die Frage: „Wie setzt man das in der digitalen Welt um?“, „Kann das zu einem Over-Blocking führen? Ja oder Nein?“ Daher trete ich dafür ein, den Dialog Jugend-User-Kreativwirtschaft, analoge Regeln, digitale Regeln zu intensivieren. Die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die Ausnahmen für klein- und mittelständische Plattformen und die Start-ups zu regeln und mit den Plattformen zu reden, wie wir technisch das Over-Blocking verhindern. Daher lade ich alle ein, die ein Interesse daran haben, mit mir gemeinsam den Dialog zu intensivieren, die nationale Umsetzung vorzubereiten und die nächste digitale Richtlinie, nämlich die E-Kommerz-Richtlinie, vorzubereiten. Das ist wichtig, den Dialog müssen wir intensivieren. Wir haben mehr übereinander geredet als miteinander.

9. Johann Reitinger: Wie beurteilen Sie das Verhältnis EU – USA? Sollte sich Europa (EU) in Zukunft mehr von der Bevormundung durch die USA emanzipieren? Siehe Verbot von Handelsbeziehungen mit dem Iran und Russland.

Wir sollten uns von niemanden Vorschriften machen lassen. Wir müssen unabhängiger und stärker werden in der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Energie-, Digitalpolitik, in der Klimapolitik, von China, von Russland, von Amerika, von Indien. Die globale Auseinandersetzung verlangt eine selbstständige, unabhängige Europäische Union, die dialogfähig ist, die gesprächsbereit ist, die verhandlungsfähig ist. Wir sollten uns von niemandem als den kleinen Bruder oder die kleine Schwester betrachten.

10. „Observer & Guardian“: Was tun Sie jetzt, damit unsere Kinder in 20 Jahren noch immer eine lebenswerte Welt vorfinden?

Die Grund- und Freiheitsrechte und Menschenrechte, die die Grundlage der Europäischen Zusammenarbeit sind, in Europa außer Streit stellen und zur Grundlage unseres weltpolitischen Engagements machen. Der Respekt vor der Würde des Menschen, die Rücksichtnahme aufeinander, die das europäische Recht kennzeichnen, zur Grundlage der weiteren Vertiefung der Europäischen Union und zu unserem Exportartikel in der Welt machen. Den Frieden, der mehr ist als Nicht-Krieg, zum europäischen Wesen in der Welt machen und alles tun, dass unser Kontinent ein Kontinent der Chancen und nicht der Blockaden ist. Alles tun, dass unser Kontinent der Kontinent des Miteinanders und der Rücksichtnahme aufeinander ist und nicht der Schuldzuweisung. Bildungschancen eröffnen, Zukunftschancen eröffnen, Arbeitsplätze neu gestalten und in Forschung und in die Menschen investieren.

Link: