Bundeskanzler Kurz auf den Stufen im Bundeskanzleramt
AP/Michael Gruber
Nach „Ibiza-Skandal“

Parteien suchen nach verlorenem Vertrauen

Vertrauen fehlt in Österreichs Innenpolitik derzeit allerorts. ÖVP und FPÖ würden sich gegenseitig nicht mehr über den Weg trauen, das Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP sei zerrüttet und jenes zwischen SPÖ und FPÖ nur noch „in Graden unter null zu messen“, sagte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Seine Kollegin Kathrin Stainer-Hämmerle hält einen Wiederaufbau von normalen Verhältnissen nur „mittelfristig“ für machbar.

Ein in diesen Tagen rares Bild der Einigkeit war am Mittwoch in Linz zu sehen: Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und sein Stellvertreter Manfred Haimbuchner (FPÖ) beschworen ihren Koalitionsfrieden. „Wir werden uns sicher nicht die Augen auskratzen, wenn auf Bundesebene gewählt wird. Das macht keinen Sinn und das ist nicht unser Stil“, sagte Haimbuchner.

Ob die Stimmung umschlagen könnte, wenn die FPÖ auf Bundesebene einem Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zustimmen sollte, blieb offen. Haimbuchner: „Der Denkprozess in der FPÖ ist noch nicht abgeschlossen.“ Tatsächlich lässt sich derzeit nicht vorhersehen, welchen Ausgang der für Montag geplante Misstrauensantrag der Liste Jetzt nehmen wird. Ebenso wie die FPÖ ist die SPÖ noch unentschieden – Letztere scheint aber zunehmend dazu zu tendieren, gegen Kurz zu stimmen.

SPÖ klagt Kurz

Schon am Vormittag beklagten mehrere SPÖ-Vertreterinnen und -Vertreter das Fehlen von „vertrauensbildenden Maßnahmen“ seitens des Kanzlers. Mit seinem Vorgehen bei der Erstellung seines Übergangskabinetts verärgerte Kurz die SPÖ noch zusätzlich. Der ÖVP-Obmann habe zuvor lediglich „Scheingespräche“ geführt, hieß es aus dem Büro von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Es habe zu keinem Zeitpunkt eine echte Einbindung gegeben.

In einer Stellungnahme nach einer Unterredung mit Kurz sagte Rendi-Wagner am Abend, Regierungskrisen seien immer eine Zeit des Dialogs: „Da braucht es das Gespräch, da braucht es das Aufeinanderzugehen – und das sehr rasch.“ Doch: „All das ist nicht geschehen.“ Zudem kündigte die SPÖ eine Klage gegen Kurz an, weil dieser in Interviews behauptet hätte, dass das „Ibiza-Video“ mit der SPÖ zu tun gehabt hätte. Die Anschuldigungen seien aber „an den Haaren herbeigezogen“ und das „glatte Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme“.

Filzmaier und Bürger zur Einstellung der SPÖ

Hans Bürger (ORF) und Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sprechen über die Vorgehensweise der SPÖ.

Vertrauen als Schlüsselwort

„Vertrauen“, analysierte Politikwissenschafter Peter Filzmaier in einer ZIB Spezial, sei derzeit das „Schlüsselwort“ für den Zustand der Demokratie. Keine Partei würde einander mehr trauen, zusätzlich schwinde das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zunehmend. Insofern könnten die wiederholten Appelle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu bilden, durchaus auch als Botschaft verstanden werden, dem Misstrauensantrag nicht zuzustimmen.

Gleichzeitig, so Filzmaier, sei das Instrument des Misstrauensantrags nun mal in der Verfassung festgeschrieben, und das nicht aus “Jux und Tollerei“. Er warnte vor „Alarmismus“ – das Annehmen des Antrags würde nicht gleich zu einer Staatskrise führen. Das wäre erst der Fall, wenn ein Kanzler nach dem anderen durch das Parlament abgelöst werden und so ein „Ringelspiel des Regierungswechsels“ entstehen würde. Ein solches Szenario sei aber nicht abzusehen.

Wahlkampf „wird nicht nett“

Für Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle ist der Imageschaden der Politik durch den „Ibiza-Skandal“ schon angerichtet, nun gelte es, den Ruf der Republik im Ausland zu wahren und in der EU handlungsfähig zu bleiben. So seien auch Van der Bellens Wortmeldungen zu verstehen, sagte Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at. Die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Parteien und jener der Wählerschaft sei bestenfalls ein „mittelfristiges Projekt“ – schließlich stehe ein Wahlkampf bevor und „der wird nicht nett“.

Für Stainer-Hämmerle spricht aus Oppositionssicht „vieles dafür und einiges dagegen“, dem Misstrauensantrag gegen Kurz zuzustimmen. Einerseits würden sich die Parteien mit einem Zustimmen zwar – zumindest indirekt – gegen Van der Bellen stellen. Zudem bestünde die Gefahr, dass Kurz als „Märtyrer“ wahrgenommen werde.

Misstrauensantrag bedroht neue Regierung

Kaum im Amt, könnte die neue ÖVP-Minderheitsregierung schon nächste Woche über einen Misstrauensantrag stürzen, den die Liste Jetzt eingebracht hat.

Anderseits könne man dem Kanzler durch eine Ablöse „die Bühne nehmen“, ihn also der Möglichkeit berauben, sich öffentlich zu positionieren und Österreich in einer De-facto-Alleinregierung nach außen zu vertreten. Kurz müsste dann als einfacher Abgeordneter Wahlkampf führen. Am Montag stünde jedenfalls ein „Härtetest“ bevor, nicht nur für Kanzler Kurz. Auch für mögliche Koalitionen nach der Wahl, so Stainer-Hämmerle, werde die Misstrauensabstimmung zu einem Gradmesser.

Einen Abgesang auf die FPÖ möchte Stainer-Hämmerle nicht anstimmen: Anders etwa als nach Knittelfeld ließe sich die Partei derzeit offensichtlich nicht spalten. Und die FPÖ bemühte sich am Mittwoch, dieses Bild zu bestärken: „Die freiheitliche Familie steht geschlossen hinter dem designierten Parteiobmann Norbert Hofer und spricht sich auch klar dafür aus, dass er als Spitzenkandidat für die kommende Nationalratswahl nominiert wird“, so FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker.