Roter Teppich beim EU-Gipfel
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Keine Einigung bei Gipfel

Ringen um EU-Topjobs geht weiter

Die Suche nach einer neuen EU-Spitze ist vertagt: Erst am 30. Juni soll bei einem weiteren Gipfel der Staats- und Regierungschefs über die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die Besetzung weiterer Topjobs beraten werden. Am Donnerstag konnte man sich auf keinen Kandidaten einigen.

Die österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein sagte am Freitag, dass sie „ergebnisoffen in die Beratungen gegangen und auch ergebnisoffen aus den Beratungen gegangen“ sei. Man wolle weiter eine Paketlösung anstreben. Ob der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, als nächster Kommissionspräsident vom Tisch sei, beantwortete Bierlein mit den Worten: „Das kann man so nicht sagen.“ Ihr Vorgänger Sebastian Kurz (ÖVP) gilt als großer Unterstützer Webers.

Einmal mehr erweist sich bei der Auswahl das Spitzenkandidatensystem als Hindernis. Die Staats- und Regierungschefs schlagen zwar eine Person für das Amt des Kommissionspräsidenten vor. Das Parlament muss diese aber noch bestätigen. Und es will nur jemanden wählen, der als Spitzenkandidat den EU-Wahlkampf bestritten hat.

Brigitte Bierlein
APA/AFP/Aris Oikonomou
Bierlein sieht den EVP-Spitzenkandidaten Weber noch immer im Rennen

Bei Personalfrage „alles offen“

Den gewichtigsten Anspruch hätte damit Weber von der EVP, der stärksten Fraktion. Doch Weber stößt bei vielen – etwa bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – auf wenig Begeisterung und genießt auch im EU-Parlament nicht den nötigen Rückhalt. Ob Weber noch Chancen auf den Kommissionspräsidenten hat, ließen die Staats- und Regierungschefs offen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte allerdings, dass Weber auch im Parlament keine Mehrheit habe, da Sozialdemokraten und Liberale ihn nicht wählen wollten.

Auch der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel sieht beim bisher gescheiterten Personalpaket für die künftigen EU-Spitzenpositionen „alles offen“. Der EU-Gipfel habe die Botschaft des Europäischen Parlaments verstanden, dass es derzeit keine Mehrheit für einen der drei Spitzenkandidaten – also Weber, den Sozialdemokraten Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager – gebe.

Macron schließt Spitzenkandidaten für EU-Topbjobs aus

Freitagnachmittag sagte Macron, dass er es ausschließe, dass Weber oder ein anderer Spitzenkandidat noch eine Chance auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten habe. Die Gespräche hätten gezeigt, dass neue Namen vorgeschlagen werden müssten, so Macron nach dem EU-Gipfe.

Auch der geschäftsführende dänische Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen erwartet neue Namen im Tauziehen um den Posten des nächsten EU-Kommissionspräsidenten. Lökke Rasmussen sagte, EU-Ratspräsident Donald Tusk habe die Notwendigkeit angedeutet, mit Hilfe weiterer Namensvorschläge eine kompromissfähige Paketlösung für alle EU-Topjobs zu erzielen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
AP/Olivier Matthys
Merkel betonte, dass auch das Parlament den künftigen Kommissionschef unterstützen müsse

Außer dem Posten des Kommissionspräsidenten müssen auch jene des EU-Ratspräsidenten, des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB) und ein neuer EU-Außenbeauftragter gefunden werden. Die liberale dänische Kandidatin Vestager sei vorerst jedenfalls nicht aus dem Spiel, sagte Lökke Rasmussen laut der Nachrichtenagentur Ritzau. Vestager wurde in den vergangenen Wochen vielfach als Kompromisskandidatin gehandelt.

Merkel berät erneut mit Macron

Am Freitag wurde bekannt, dass es ein weiteres informelles Gespräch zwischen Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron gab. Macron traf Berichten zufolge auch noch zu einer Fünferrunde mit den Regierungschefs aus Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden zusammen. Merkel sagte im Anschluss an den Gipfel am Freitag, dass sie selbst jedenfalls nicht für einen EU-Spitzenposten zur Verfügung stehe.

Sie nehme die Bewertung von EU-Ratspräsident Donald Tusk ernst, „dass keiner der Spitzenkandidaten eine Mehrheit im Europäischen Rat hat“, sagte Merkel. „Und ich sehe im Augenblick nicht, dass sich an dieser Feststellung etwas ändern kann.“ Beide Seiten – der Rat der Mitgliedsstaaten und das Parlament – müssten in der Frage „zusammenwirken“, so Merkel. „Insofern stehen da noch schwierige Diskussionen bevor.“

Tusk versichert Transparenz

Nun soll es Ende Juni ein weiterer Gipfel richten. Dieser ist laut EU-Ratspräsident und Verhandlungsschirmherr Tusk bereits für den 30. Juni geplant. Tusk wolle bis zum nächsten Gipfel weiterverhandeln. Man brauche „mehr Zeit“, sagte er. Kommissionspräsident Jean Claude-Juncker meinte auf Nachfrage, die Kandidatensuche werde dadurch „nicht einfacher. Aber es muss passieren.“ Er sei übrigens froh zu sehen, dass er „gar nicht so leicht zu ersetzen ist“, scherzte Juncker.

Tusk versicherte am Freitag für die Bestellung der EU-Spitzenposten volle Transparenz. „Der Prozess ist sehr transparent, vielleicht sogar zu transparent, um produktiv vorgehen zu können. Ich habe den Eindruck, dass die Öffentlichkeit mehr über Kandidaten weiß, als ich selber“, so Tusk. Er kündigte an, er werde mit den Spitzenverhandlern der EU-Regierungen und mit Europaabgeordneten weitere Gespräche über das Personalpaket führen. Er habe jedenfalls nicht den Eindruck, dass er zu diskret sei, sagte der EU-Ratspräsident. Er habe keine Geheimnisse zu verbergen, sondern einfach nichts Neues zu sagen.

Zahlreiche Faktoren

Bereits seit der EU-Wahl Ende Mai ringen die EU-Staaten und das Parlament um die Besetzung der wichtigsten EU-Posten. Es sind wichtige Ämter, bei deren Besetzung zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden sollten – etwa das Gleichgewicht zwischen Nord, Süd, Ost und West, zwischen großen und kleinen sowie mächtigen und weniger mächtigen Staaten. Auch die verschiedenen politischen Ausrichtungen wollen angemessen repräsentiert werden. Zudem soll zumindest in Ansätzen Geschlechtergerechtigkeit hergestellt werden (beim letzten Gipfel war seitens Tusks die Rede von „mindestens zwei, besser drei Frauen“).

Emmanuel Macron und Stefan Lofven
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Macron stellt sich entschieden gegen das Spitzenkandidatensystem. Er wolle den „besten“ Kandidaten unterstützen.

Ein Aufschub um einige Tage würde es Weber ermöglichen, weiter an einer Mehrheit im EU-Parlament zu arbeiten. Dort laufen seit Tagen Verhandlungen über eine Art Koalitionsvereinbarung, die aber noch nicht abgeschlossen sind. Auch die Sozialdemokraten schmieden dort aktuell an einer Allianz zugunsten ihres Kandidaten Timmermans.

„Es geht oft schneller, einen Papst auszuwählen, als sich auf diese Positionen zu verständigen“, sagte der irische Premier Leo Varadkar vor den Gesprächen. Insider berichten jedenfalls davon, dass die Stimmung bei den Gesprächen angespannt gewesen sein dürfte.

Reform der Euro-Zone noch heuer angepeilt

Der EU-Gipfel ging am Freitag unterdessen mit den Beratungen zum umstrittenen Euro-Zone-Budget zu Ende. Man wolle bis Jahresende die Reform der Euro-Zone abschließen, hieß es. Zur Reform des Euro-Rettungsschirms ESM, der als Letztsicherung (Backstop) für die Bankenunion dienen soll, wird ein umfangreiches Paket im Dezember angestrebt, beschloss der Euro-Gipfel in Brüssel.

Das Euro-Zone-Budget soll von der Euro-Gruppe und der EU-Kommission weiter vorangebracht werden, insbesondere „geeignete Lösungen zur Finanzierung“, heißt es in der Gipfelerklärung weiter. „Diese Elemente sollten mit Priorität vereinbart werden, um in der Lage zu sein, die Größe des BIIC im Kontext des MFF (Mehrjährigen EU-Finanzrahmens, Anm.) zu vereinbaren.“ Zum EU-Finanzrahmen streben die Staats- und Regierungschefs ebenfalls eine Einigung vor Jahresende an.