Volksschülerinnen in der Klasse
ORF.at/Carina Kainz
Bilanz nach einem Jahr

Kein Einserzeugnis für Deutschklassen

Das erste Schuljahr mit den vieldiskutierten Deutschförderklassen ist zu Ende: Schülerinnen und Schüler, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, mussten den Großteil der Unterrichtszeit in eigenen Klassen verbringen. ORF.at hat sich umgehört, welche Erfahrungen Schulen mit dem neuen System gemacht haben.

Schulleiterin Ilse Riesinger zeigte sich vergangenen September, zu Beginn des Schuljahres, im Gespräch mit ORF.at zwar skeptisch, aber durchaus auch optimistisch: Nur fünf Stunden gemeinsam in der Klasse seien zwar wenig, jede Stunde mehr Deutschunterricht aber wichtig für die Kinder.

Am Ende des Schuljahres sieht Riesinger nun „keine Vorteile gegenüber dem altbewährten System“. Das Lernen von Deutsch als Zweitsprache sei „in diesem Setting nicht zielführend“, so die Bilanz der Direktorin einer Volksschule in Wien-Brigittenau nach zehn Monaten mit Deutschförderklassen.

„Sprachvorbilder fehlen“

Die Organisation der Deutschförderung bezeichnet Riesinger als Herausforderung. Denn: „Das System der Deutschförderklassen und Deutschförderkurse und die damit verbundenen Übertrittsmöglichkeiten in eine Regelklasse ist höchst komplex.“ Und es verursache „reihenweise künstliche Schullaufbahnverluste“. Denn Aufsteigen können nur jene Kinder, die ausreichende Deutschkompetenz haben und positiv beurteilt sind.

„Da gibt es dann eine Vielzahl an Kindern, die allein für die ersten zwei Schuljahre vier Jahre lang brauchen. Was das für ein Kind seelisch bedeutet, muss ich wohl nicht sagen. Das Verständnis der Eltern ist auch, sehr zurückhaltend ausgedrückt, enden wollend“, so Riesinger gegenüber ORF.at.

Von großem Nachteil für die Kinder habe sich zudem „das Fehlen von Deutsch sprechenden Sprachvorbildern in der Peergroup“ erwiesen. Ebenfalls herausfordernd – „sowohl für die Kinder als auch für die Lehrenden“ – seien die verschiedenen Altersstufen innerhalb der Deutschförderklassen. In der Volksschule werden Sechs- bis Zehnjährige gemeinsam unterrichtet, in der NMS Zehn- bis 14-Jährige.

Oft Unterschiede zwischen Stadt und Land

Dass das Sprachbad, also „dass Kinder im Alltag viel mit Deutsch konfrontiert sind“ schon fehle, sieht auch Schulleiterin Elisabeth Olsacher so. Intensive Spracharbeit finde in den Deutschförderklassen zwar statt – allerdings nur, wenn die Gruppengröße passe. Wie in Olsachers Volksschule in Hallein in Salzburg. Mehr als neun Kinder sollten nicht in einer Gruppe sein – „weil die Kinder dann nur wenig zum aktiven Sprechen kommen“. In vielen Schulen in den städtischen Ballungsräumen sei das aber nicht der Fall gewesen, betont Olsacher.

Laut Bildungsdirektion Salzburg verlässt jedes zehnte Kind schon nach einem Semester die Deutschförderklasse. Rund drei Viertel der Kinder im Bundesland wechseln nach einem Jahr in eine Regelklasse, wo sie weiter begleitend Deutschförderung bekommen.

Die größte Herausforderung für die Kinder sei, dass in den Deutschförderklassen kein schulstufenbezogener Stoff durchgenommen werde. „Wenn sie während des Semesters in eine Regelklasse wechseln können, müssen sie den Stoff nachholen“, so Olsacher im Gespräch mit ORF.at. Die Kinder brauchten zudem gute soziale Kompetenz, weil sie sich beim Wechsel wieder in eine neue Gemeinschaft zurechtfinden müssten. „Wir als Erwachsene müssen schauen, dass wir die Kinder dabei so gut wie möglich unterstützen.“

Rauskala hält an Deutschklassen fest

Bildungsministerin Iris Rauskala kündigte bereits an, an den Deutschförderklassen festzuhalten. Das Bildungssystem brauche Kontinuität und Stabilität, daher wolle sie die Projekte ihres Vorgängers (des ehemaligen ÖVP-Bildungsministers) Heinz Faßmann „in ruhiger und unaufgeregter Art und Weise weitertreiben“, sagte Rauskala Mitte Juni bei der ersten Pressekonferenz nach ihrem Amtsantritt.

Es gebe „keine Überlegungen“, von den Deutschförderklassen abzuweichen. Das Projekt sei noch nicht einmal vollständig eingeleitet. Erst mit Herbst werde es ein Kompetenzmessinstrument geben, um die Deutschkenntnisse standardisiert abzurufen. Auch ein einheitlicher Lehrplan sei noch umzusetzen.

Volksschülerin in der Klasse
ORF.at/Carina Kainz
Die Deutschförderklassen werden im September fortgesetzt

ÖDaF: „Kritik hat sich als berechtigt erwiesen“

Dass Rauskala „in der voraussichtlich kurzen Zeit ihrer Tätigkeit als Bildungsministerin die Deutschförderklassen nicht gänzlich abschafft“, kann man beim Österreichischen Verband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (ÖDaF) zwar nachvollziehen – zumindest die Bedingungen müssten aber verbessert werde.

Denn zentrale Kritikpunkte, die vor der Einführung der Deutschförderklassen genannt wurden, hätten sich zahlreichen Erfahrungsberichten von Lehrenden zufolge als berechtigt erwiesen, so ÖDaF-Präsident Hannes Schweiger gegenüber ORF.at.

So seien etwa die Klassen mit bis zu 25 Schülerinnen und Schülern zu groß und das Betreuungsverhältnis schlecht. Zwei Lehrende sollten in einer Deutschförderklasse maximal zwölf Kinder unterrichten, so der Sprachdidaktiker. Dass zudem mitunter Kinder aus vier Jahrgängen zusammen unterrichtet würden, deren Deutschkenntnisse „höchst unterschiedlich“ seien, mache individuelle Förderung „kaum möglich“.

„Jedes Kind muss zum Reden kommen“

Zwei Lehrende pro Klasse wünscht sich auch Esra Akbaba, die in der Volksschule Deckergasse in Wien-Meidling unterrichtet. Nur durch eine Doppelbesetzung könne man „eine individualisierende und differenzierende Sprachförderung gewährleisten“. Für eine effektive Förderung seien außerdem meist zu viele Kinder in den Deutschförderklassen. „Sprachförderung funktioniert für mich erst, wenn jedes Kind individuell betreut werden kann und auch zum Reden kommt“, so Akbaba gegenüber ORF.at. Und das bedeute eine Gruppengröße von fünf bis sieben Kindern.

Zumindest etwas Positives kann Akbaba den Deutschförderklassen abgewinnen, nämlich „dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache nun die Möglichkeit einer intensiven Förderung bekommen“. Da die Kinder 15 Stunden in der Deutschförderklasse und nur sieben in der Regelklasse verbrächten, bleibe allerdings nicht viel Zeit, um soziale Kontakte in der Regelklasse zu knüpfen. Diese Form der Trennung könnte zu Ausgrenzung und institutioneller Diskriminierung führen, so Akbaba. Außerdem fehlten den Kindern in den Deutschförderklasse die kindlichen Sprachvorbilder, sagt auch Akaba.

Modellversuch an Wiener Volksschule

In der Volksschule Deckergasse geht man ab Herbst eigene Wege. Anstelle einer Deutschförderklasse wird im Rahmen eines Modellversuchs eine Klasse mit Schwerpunkt auf der individuellen sprachlichen und fachlichen Entwicklung der Kinder eingerichtet. Auch die geforderte Doppelbesetzung wird es in dieser Klasse geben.

Von der Wiener Bildungsdirektion sei die Umsetzung des Projekts bereits genehmigt worden, so Schulleiterin Sylvia Böhs gegenüber ORF.at – „aufgrund der nicht vorhandenen Raumressourcen“. Schon im gerade zu Ende gegangenen Schuljahr musste an der Schule etwa die „ForscherInnenwerkstatt“ geschlossen werden, um Raum für eine Deutschförderklasse zu schaffen. Um den Modellversuch zu evaluieren und mit den Deutschförderklassen vergleichen zu können, werden in Kooperation mit der Universität Wien Daten erhoben. Die Ergebnisse werden im kommenden Schuljahr laufend präsentiert.