Alexis Tsipras
AP/Petros Giannakouris
Griechenland

Tsipras vor Abwahl

Gut viereinhalb Jahre ist Alexis Tsipras von der linken SYRIZA-Partei griechischer Premierminister gewesen. Mitten in der Schuldenkrise des Landes übernahm er das Amt und führte das Land durch schwere Jahre. Zumindest wirtschaftlich geht es mittlerweile bergauf, für Tsipras scheint der Weg vorerst zu Ende: Bei der Wahl am Sonntag gilt Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia (ND) als Favorit – also von jener Partei, die das Land mit ins Chaos geführt hatte.

Mitten in der 2010 ausgebrochenen Staatsschuldenkrise 2015 hatte Tsipras mit dem Versprechen die Wahl gewonnen, er werde die von den Gläubigern des hochverschuldeten Landes erzwungene Sparpolitik beenden. Der damals 40-Jährige pokerte hoch: Etliche EU-Gipfel standen am Rande des Abbruchs.

Mit einem Referendum holte er sich Rückendeckung für seine Verhandlungsposition, als Teile seiner Partei dem ausgehandelten Deal nicht zustimmen wollten, rief er Neuwahlen im September aus – und wurde bestätigt. Und holte sich ausgerechnet die rechtspopulistische Kleinpartei ANEL wieder als Koalitionspartner ins Boot.

Druck der Gläubiger, wenig Gestaltungsspielraum

Doch in den folgenden Jahren musste sich Tsipras doch dem Druck der Gläubiger und der in Griechenland verhassten Troika, bestehend aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission, beugen und ein rigoroses Sparpaket und Reformen durchsetzen. Und tatsächlich gelang ein Aufschwung: Die Wirtschaft wuchs stärker als erwartet, das Land konnte im August 2018 den Euro-Rettungsschirm verlassen. Auch die Arbeitslosigkeit erholte sich und fiel von 26 auf 18 Prozent.

Viel Gestaltungsspielraum hatte der Ministerpräsident nicht: In der Steuer- und Sozialpolitik versuchte er eine Umschichtung zu den Ärmeren – und stieß dabei freilich die Mittelschicht mit höheren Steuern vor den Kopf. Die ältere Bevölkerung stöhnt unter mehrfach gekürzten Pensionen, und überhaupt kam der kleine Aufschwung bei weiten Teilen der Bevölkerung bisher nicht an.

Der Glanz verblasste

Doch nicht nur wegen der nicht umgesetzten vollmundigen Wahlversprechen verlor Tsipras an Popularität. Zuletzt kamen auch gegen seine Partei die ersten Nepotismusvorwürfe auf, und das, obwohl er der Korruption immer den Kampf angesagt hatte. Er selbst ließ sich 2018 an Bord einer Luxusjacht einer steinreichen Reederin ablichten, was das Saubermann-Image ebenfalls beeinträchtigte.

Säulengrafik zeigt aktuelle Umfragewerte der Parteien in Prozent
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Bei den verheerenden Waldbränden mit rund 100 Toten in der Region Attika versagte im Vorjahr das Krisenmanagement der Regierung. Tsipras übernahm die Verantwortung. Für die Beilegung des Namensstreits mit Mazedonien winkt Tsipras und dem nordmazedonischen Ministerpräsidenten Zoran Zaev vielleicht sogar der Friedensnobelpreis, doch im eigenen Land nahmen ihm viele das Einlenken übel. Die Unzufriedenheit gilt als einer der Hauptgründe, wieso SYRIZA bei der Europawahl im Mai abgestraft wurde. Als Reaktion auf die Niederlage rief Tsipras Neuwahlen aus – an denen er nun scheitern könnte.

Comeback der Konservativen

Denn allen Umfragen zufolge scheint der konservativen ND ein politisches Comeback zu glücken. Der 51-jährige Mitsotakis führt die Partei seit 2016 und verspricht eine weitere Ankurbelung der Wirtschaft: Er will die Bürokratie abbauen und ein wirtschaftsfreundlicheres Klima etablieren. Privatisierungen, gegen die sich Tsipras gestemmt hatte, sollen nun über die Bühne gehen. Die Unternehmenssteuer soll innerhalb von vier Jahren von 28 auf 20 Prozent gesenkt werden, auch die Abgaben für Geringverdiener sollen sinken.

Der griechische Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis
APA/AFP/Angelos Tzortzinis
Mitsotakis scheint der Wahlsieg sicher

Vergessen scheint, dass es Politiker der ND und der sozialdemokratischen PASOK waren, die das Land abwechselnd jahrzehntelang regiert und in die Krise geführt hatten: Schon vor dem Eintritt in die Euro-Zone hatte man geschönte Budget- und Defizitdaten an die EU geliefert. Auch in den folgenden Jahren wurde das wahre Ausmaß der Verschuldung verschleiert. 2010 platzte die Bombe und die griechische Tragödie nahm ihren Lauf.

Griechenland nach der Krise

Im Gegenzug für Milliardenkredite musste Griechenland drastische Sparvorgaben der EU umsetzen – und das wird sich auf die jetzige Wahl auswirken.

Sprössling eines Politclans

Mitsotakis’ Popularität wird weder dadurch geschmälert, dass er von 2013 bis 2015 schon Minister für Verwaltungsreform unter Premier Antonis Samaras (ND) war, noch, dass er wie fast alle ND- und PASOK-Granden einem der Politclans entstammt, die sich in ihren politischen Ämtern gegenseitig förderten und ablösten.

Mitsotakis’ Vater Konstantin war 1990 bis 1993 griechischer Premier, seine Schwester Dora Bakogianni Bürgermeisterin von Athen sowie Außenministerin, sein Neffe hat gerade erst die Wahl zum Athener Bürgermeister gewonnen. Viele Wählerinnen und Wähler kritisieren und fürchten diese „Sippschaften“, mit denen es unmöglich sei, das Land umzukrempeln und ehrlich zu machen.

PASOK überlebte Skandale nicht

Während die Konservativen wieder nach der Macht greifen, hat die andere traditionelle Großpartei die wirtschaftliche Krise des Landes und die eigenen Skandale nicht überlebt. Bei der Wahl 2012 setzte der Niedergang ein, 2018 ging sie gemeinsam mit einigen kleineren Mitte-links-Gruppierungen in der neu gegründeten Bewegung der Veränderung (KINAL) auf. Der Partei werden aber gerade einmal acht Prozent der Stimmen vorhergesagt.

Überhaupt hat die Krise die Parteienlandschaft radikal geändert. Die EU-feindlichen Kommunisten (KKE) liegen nur mehr bei fünf bis sechs Prozent, die rechtspopulistische ANEL tritt ebenso wenig an wie das Mitte-links-Bündnis Potami.

Varoufakis mit eigener Liste

Die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Dt.: „Goldene Morgenröte“), deren praktisch gesamter Führungskader vor Gericht steht oder bereits verurteilt ist, könnte die Dreiprozenthürde ins Parlament gerade schaffen. Sie verlor viele Anhänger an die neue, ultranationale Partei Elliniki Lysi (Dt.: „Griechische Lösung“), deren exzentrischer Chef Kyriakos Velopoulos vor allem durch Wut auf die Einigung mit Nordmazedonien Zulauf erhielt.

Ebenfalls ins Parlament könnte es die Liste einer weiteren schillernden Figur schaffen: das linke Bündnis MeRA25 des früheren Finanzministers der SYRIZA-Regierung Gianis Varoufakis. Einst Mitstreiter von Tsipras und polternder Verhandler bei EU-Gipfeln kehrte er seinem Weggefährten schon im Sommer 2015 den Rücken – und gilt nun als erbitterter Gegner.

Einige Fragezeichen bleiben

Die Wahllokale öffneten am Sonntag um 7.00 Uhr (Ortszeit, 6.00 Uhr MESZ). Rund 9,9 Millionen Menschen sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Den Konservativen sagen Umfragen einen Erdrutschsieg von 35 bis 40 Prozent der Stimmen voraus. SYRIZA liegt rund zehn Prozentpunkte dahinter. Im griechischen Wahlsystem erhält die stimmenstärkste Partei einen Bonus von 50 Mandaten. Die ND kann damit mit einer absoluten Mehrheit bei den 300 Abgeordneten spekulieren.

Allerdings könnte es durchaus Überraschungen geben. Griechische Umfragen gelten nicht immer als verlässlich. Auch auf die Wahlbeteiligung wird es ankommen: Politverdrossenheit und ein Wahltermin mitten in der Ferienzeit könnten die Beteiligung stark senken. Zudem wird es darauf ankommen, welche Kleinparteien den Sprung ins Parlament schaffen. Schafft die ND die „Absolute“ nicht, wird es wohl schwer, einen Koalitionspartner zu finden. Eine zweite Neuwahl innerhalb kurzer Zeit wird daher nicht völlig ausgeschlossen.