E-Scooter in Paris
Reuters/Gonzalo Fuentes
Von Paris bis Prag

Städte mobilisieren gegen E-Scooter

„Wir müssen den Mythos der grenzenlosen Freiheit beenden. Hier herrscht Anarchie“, hat sich der stellvertretende Bürgermeister von Paris, Emmanuel Gregoire, in einem ZDF-Interview Anfang der Woche über die teils chaotischen und gefährlichen Auswirkungen des E-Scooter-Hypes beklagt. Paris wurde wie viele andere Städte von diesem neuen Verkehrsmittel nahezu überrollt.

Auch wenn es für viele eine unkomplizierte, flexible und schnelle Alternative zum Auto und öffentlichen Verkehr ist, rüsten zahlreiche Städte juristisch nach, um wieder Kontrolle über die Mobilität zu bekommen. Madrid etwa verbannte die batteriebetriebenen Roller nach nur wenigen Monaten im Oktober des Vorjahres. Inzwischen wurden konkrete Regeln erlassen, bis zu 10.000 E-Roller sind nun in Spaniens Hauptstadt wieder zugelassen.

In vielen Städten wandelt sich aber die Einstellung gegenüber den neuen Fortbewegungsmitteln. Gegner und Gegnerinnen der E-Roller sind nicht nur genervt von rasanten Überholmanövern, rücksichtslosen Fahrern und zugeparkten Gehsteigen. Der Sicherheits- wie auch der Umweltaspekt rücken in vielen Städten zunehmend in den Fokus.

E-Scooter in Stockholm
Getty Images/Maskot
Stockholm will keine E-Scooter-Parkplätze mehr in der Altstadt

Aus Stockholmer Altstadt verbannt

In den vergangenen Monaten häuften sich die Unfälle – in Stockholm und Paris auch mit Todesfolge. Entsprechend reagierte auch Stockholm wenige Monate nach dem Beginn des Hypes kürzlich mit Verschärfungen. E-Scooter wurden aus der gesamten Altstadt Gamla Stan verbannt und dürfen nicht mehr auf zentralen Plätzen stehen. Aus Sicherheitsgründen sind an sehr belebten Orten nicht mehr als sechs km/h erlaubt.

In Paris, einem der am schnellsten wachsenden Märkte für E-Roller in Europa, formiert sich ebenfalls Widerstand. Innerhalb der letzten zwölf Monate wuchs das Angebot dieser Gefährte in Frankreichs Hauptstadt auf geschätzte 20.000. Prognosen zufolge könnte sich diese Zahl bis Ende des Jahres noch verdoppeln.

Das Problem mit dem Parken

Dort wird derzeit an einem neuen Mobilitätsgesetz gearbeitet. Auch wenn die Bürgermeisterin der Stadt, Anne Hidalgo, daran arbeitet, den Autoverkehr in der Stadt einzudämmen, musste sie doch auf den Wildwuchs der E-Roller reagieren. Seit Kurzem herrschen in Paris neue Regeln: Maximaltempo 20 km/h, nur eine Person pro Roller, Fahrverbot in Parks und auf Gehwegen. Dort ist auch das Abstellen der Roller verboten. Die Stadt will nun vermehrt eigene Abstellplätze für E-Roller kreieren.

Wer trotzdem auf einem Gehweg fährt, muss 135 Euro Strafe zahlen. Für jeden auf einem Gehweg parkenden Roller muss der jeweilige Betreiber 35 Euro zahlen. In Prag darf die Polizei bei Verstößen gegen die Verkehrsregeln mit dem E-Scooter 80 Euro einheben. E-Scooter sind in Tschechien Fahrrädern gleichgestellt.

E-Scooter in Lissabon
AP/Armando Franca
Lissabon bittet die Vermieter zur Kasse, wenn E-Roller in der historischen Altstadt wild parken

Wenn im historischen Zentrum von Lissabon künftig E-Scooter wild auf Gehsteigen und anderen öffentlichen Flächen parken, müssen die Vermieter sogar mit Strafen von bis zu 300 Euro rechnen. Auch für die Entfernung der Roller müssen die Verleiher zahlen. Fraglich bei all diesen Verschärfungen ist aber, ob ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, dieses Fehlverhalten mit Sanktionen zu bestrafen.

Weniger Regulierung in Brüssel

Die Politik in Brüssel gibt sich derzeit noch offener gegenüber den batteriebetriebenen Rollern, das Fahren ist weniger reguliert als in anderen Städten. Sie werden vor allem als eine Alternative zum Dauerstau gesehen. Kürzlich wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit sogar auf 25 km/h hinaufgesetzt. Bald wird mit 7.500 Rollern in der ganzen Stadt gerechnet, da neue Anbieter dazukommen werden.

Mit dem steigenden Angebot gibt es aber auch in Brüssel Überlegungen, das Abstellen der Roller klarer zu regeln. In einigen Teilen wurden bereits eigene Parkplätze für E-Roller eingerichtet. Weitere Maßnahmen sind aber noch in Diskussion.

Mit E-Roller auf die Autobahn

Deutschland ließ sich mit der Zulassung von E-Rollern im Straßenverkehr mehr Zeit. Erst seit Mitte Juni sind diese mit einer Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h und nur auf Radwegen oder Straßen, wenn es keine Fahrradwege gibt, zugelassen. Die gesetzlich bessere Vorbereitung als in anderen Ländern schlägt sich – noch – nicht bei allen Fahrern dieser „Elektrokleinstfahrzeuge mit Lenkstange“, wie sie formell in Deutschland genannt werden, durch.

Allein in München wurden in den vergangenen Tagen mehr als 20 betrunkene E-Roller-Fahrer erwischt. Es gilt die 0,5-Promille-Grenze. Erst vor Kurzem wollte ein 28-Jähriger im deutschen Rheinland nicht auf seinen Zug warten. Er folgte den Navigationsansagen seines Handys und ließ sich über die Autobahn leiten. Nach sieben Kilometern endete seine Reise. Er erhielt eine Strafanzeige der Polizei.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Deutschland regte zuletzt eine Helmpflicht für das Fahren von E-Rollern an. „Zum eigenen Schutz sollte für das Tragen eines Helms geworben werden“, sagte GdP-Vizechef Michael Mertens. „Wenn dies nicht funktioniert, sollte über eine Helmpflicht nachgedacht werden.“ Er befürchte, dass es eine „nicht unerhebliche Zahl an Unfällen mit E-Rollern geben“ werde, so Mertens weiter.

Situation in Wien wird evaluiert

Auch Österreich zog zuletzt mit neuen Regeln nach. Mit einer Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) wurden die Regelungen für E-Scooter österreichweit vereinheitlicht. Als solche gelten Fahrgeräte mit einer Bauartgeschwindigkeit von maximal 600 Watt und maximal 25 km/h. Auf Gehsteigen darf nun nicht mehr gefahren werden, die 0,8-Promille-Grenze nicht überschritten werden.

E-Scooter in Wien
ORF.at/Christian Öser
Wien schließt ein Parkverbot für E-Scooter auf Gehsteigen in Zukunft nicht aus

Wien schließt strengere Regeln nicht aus. Über den Sommer soll nun gemeinsam mit den Anbietern die Einhaltung der Regeln evaluiert werden – unter Berücksichtigung von Beschwerden und Unfällen – mehr dazu in wien.ORF.at. Ein Parkverbot auf Gehsteigen sei vorstellbar, hieß es von Wien.

Noch nicht profitabel

Auch wenn der Widerstand zunimmt, stoßen die Roller dennoch auf reges Nutzerinteresse. Ein Ende des Wachstums der Zahl ausgeliehene E-Scooter ist derzeit nicht in Sicht. Eine Studie des Beratungsunternehmens Boston Consulting Group (BCG) sieht im weltweiten Verleihmarkt von E-Rollern bis 2025 ein mögliches Volumen von 40 bis 50 Mrd. Dollar (35,6 bis 44,6 Mrd. Euro).

Zugleich sieht das Unternehmen aber auch Konsolidierungsbedarf. Denn noch sei der Verleih von E-Scootern nicht profitabel. Alles hänge nun davon ab, wie Anbieter, Investoren und Konsumenten mit der zunehmenden Regulierung vonseiten der Politik umgehen, so die Studie.

Studie zeigt enormes Umsatzpotenzial

Wie groß das Geschäft mit Mikromobilität ist, zeigte zuletzt eine McKinsey-Studie. „Bis 2030 lassen sich mit diesen Angeboten in Europa bis zu 150 Milliarden Dollar umsetzen, weltweit sogar bis zu 500 Milliarden Dollar“, so Kersten Heineke, Mobilitätsexperte und Partner bei McKinsey. Laut McKinsey könnte das für Österreich bedeuten, dass der Markt rund ein Milliarde US-Dollar groß ist. Man verweist zudem auf den Beitrag der Mikromobilität zum Kampf gegen Umweltverschmutzung und Klimakrise, schließlich seien 60 Prozent aller Autofahrten nur wenige Kilometer lang und könnten leicht ersetzt werden.

Durchschnittlich drei Monate Lebensdauer

Mit dem steigenden E-Scooter-Anteil am Verkehr wächst nicht nur die Sorge vor Unfällen. Zunehmend infrage gestellt wird auch, ob E-Scooter tatsächlich eine umweltfreundliche Mobilitätsalternative darstellen. Laut BCG-Studie hat ein E-Roller im Schnitt eine Lebensdauer von drei Monaten. Das liege daran, dass die Roller nicht für den Verleih, sondern den Privatgebrauch konzipiert worden seien.

Starker Gebrauch, grober Umgang mit den Rollern und auch Vandalismus würden die Haltbarkeit dieser E-Scooter reduzieren, analysierte BCG. Umweltschützer stellen zudem die häufig verwendeten Lithium-Ionen-Batterien in den Fokus. Nicht nur die Gewinnung der Rohstoffe für die Akkus sei belastend für die Umwelt, auch die Entsorgung sei schwierig.