Berichtes der FPÖ-Historikerkommission
ORF.at
„Reinwaschung“, „Farce“

Verheerende Kritik an FPÖ-Historikerbericht

Viele Male wurde die Veröffentlichung des FPÖ-Historikerberichts verschoben, seit Montag liegen zumindest 32 von „über 1.000“ geplanten Seiten zur Geschichte und „braunen Flecken“ der Partei auf dem Tisch. Doch nicht nur die Rohfassung, sondern der gesamte Prozess der Erstellung erntete am Dienstag vernichtende Kritik.

Deutliche Mängel bei der wissenschaftlichen Güte sieht etwa die Historikerin Margit Reiter vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Reiter ist mit dem Thema FPÖ vertraut: In den vergangenen Jahren hat sie für ein im September erscheinendes Buch die Vor- und Frühgeschichte der Partei und die laut Reiter „absolut existierenden“ personellen und ideologischen Kontinuitäten nach dem Ende des Nationalsozialismus erforscht.

Die Präsentation der Rohfassung des FPÖ-Berichts bezeichnete sie am Dienstag gegenüber ORF.at als „bemerkenswertes Schauspiel“ und „Farce“. Eine inhaltliche Einschätzung abzugeben sei „nicht seriös, da bisher nur Überschriften vorliegen. Diese deuten aber alle sehr in Richtung Reinwaschung und Relativierung“, so Reiter.

„Großteil stammt aus Partei und Umfeld“

Die Historikerin kritisiert insbesondere, dass schon die Erstellung des FPÖ-Berichts den wissenschaftlichen Standards eindeutig widersprochen habe. Allein die Auswahl der Autoren mache eine objektive Aufarbeitung unmöglich: „Der Bericht wurde nicht wie üblich auf unabhängige wissenschaftliche Institutionen ausgelagert. Viele der Beteiligten sind überhaupt keine Historiker, der Großteil stammt entweder direkt aus der Partei oder dem Parteiumfeld.“

Dass die FPÖ kein Interesse an echter wissenschaftlicher und quellenorientierter Aufarbeitung habe, zeige sich auch daran, dass die FPÖ den Zugang zu ihren eigenen Archiven strikt eingrenze. Sie selbst habe auch nach mehrmaligen Anfragen keinen Zugang zu den FPÖ-Archiven bekommen, oft mit dem Verweis darauf, dass man kein Material besitze. Auch der Zugang zu den VdU-Beständen (Verband der Unabhängigen (VdU), Vorgängerpartei der FPÖ, Anm.), bei denen man eine Zustimmung der FPÖ braucht, sei ihr verwehrt worden.

Burschenschafterblockade „schon eine Schutzbehauptung“

Kritisch sieht sie in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der FPÖ, dass die Kommission keinen Zugang zu den Archiven der schlagenden Burschenschaften bekommen habe. Das ist auch insofern bemerkenswert, als diese überhaupt erst aufgrund eines NS-Textes in einem Liederbuch der Burschenschaft Germania eingesetzt wurde, der wiederum der zwischenzeitlich zurückgetretene FPÖ-Niederösterreich-Klubobmann Udo Landbauer angehört hatte.

Mit dem Aussparen der Burschenschaftsthematik wird laut Reiter „ein Bild aufgebaut: Auf der einen Seite gibt es die FPÖ, auf der anderen Seite die Burschenschaften. Das ist nicht haltbar. Es gibt Verflechtungen und Personalunionen, es ist bei Leibe nicht zu sagen, dass die Burschenschaften in der FPÖ nichts zu sagen hätten.“ Die Historikerin ortet darin eine „Schutzbehauptung“ der FPÖ.

Wann der endgültige Bericht erscheint, ist nach wie vor offen. Reiter zweifelt jedenfalls daran, dass die kolportierten über 1.000 Seiten großen Erkenntnisgewinn bringen werden: „Wenn man sich die Überschriften ansieht, ist da nicht viel zu erwarten. Man sollte sich auch nicht von den 1.000 Seiten blenden lassen. Quantität alleine ist noch kein Qualitätskriterium.“ Die wissenschaftliche Gemeinschaft werde dann fraglos den finalen Bericht bewerten und die von der FPÖ verwendeten Quellen prüfen. Aber: „Die Erwartungen waren von vornherein gering, das ganze Prozedere war unwissenschaftlich.“

Kontroverse um Bericht

Nach der Präsentation von Teilen des FPÖ-Berichts kritisieren Historiker und Historikerinnen dessen Inhalt.

Rathkolb ortet inhaltliche Mängel

Auch Oliver Rathkolb, Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, schloss sich der Kritik Reiters gegenüber der APA am Dienstag an. Auch er hält unter anderem die Vermischung von Wissenschaftlern und aktiven Parteifunktionären für problematisch. Kritisch sieht Rathkolb auch, dass im Zwischenbericht teils die parteipolitische Tätigkeit der Autoren nicht erwähnt wird – wie etwa jene von Thomas Grischany, der Kabinettsmitarbeiter von Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache war.

Auch inhaltlich bemängelte Rathkolb einige Punkte der 32-Seiten-Fassung: Völlig fehlen würden etwa Hinweise auf Analysen in den internen Parteivorstandsprotokollen der FPÖ zu NS-Themen, zu Restitution, Entschädigung und Antisemitismus. Äußerst kritisch sieht Rathkolb die Forschungsfrage, ob die FPÖ eine Nachfolgepartei der NSDAP sei, diese sei „völlig daneben“. Weiters kritisierte Rathkolb in dem Gespräch „wissenschaftlich bedenkliche“ und widerlegte Ausführungen zur Ideologie des FPÖ-„Gründungsvaters“ Anton Reinthaller sowie „relativierende“ Stellen über die SS-Zeit des Ex-FPÖ-Chefs Friedrich Peter.

Eine „vergebene Chance“, fehlende Transparenz und handwerkliche Mängel ortete auch die Historikerin Heidemarie Uhl, die unter anderem an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig ist. Sie sprach gegenüber der APA von einer „Rechtfertigungsstrategie, einer White-Washing-Strategie“. Die Frage nach ideologischen und personellen Kontinuitäten rücke in den Hintergrund, es gehe in der Rohfassung nur um die Frage, ob die Vorwürfe der braunen Flecken der Wahrheit entsprechen. „Dann kommen lauter Rechtfertigungsargumente“ – mehr dazu in science.ORF.at.

Autor distanziert sich

Unterdessen distanzierte sich der ehemalige Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz gegenüber „Österreich“ von der Darstellung, dass er Mitglied der FPÖ-Historikerkommission gewesen sei. Die FPÖ hatte Scholz am Montag als „SPÖ-affinen“ Autor präsentiert, um die Unabhängigkeit ihres Berichts zu unterstreichen.

„Das ist verkürzt. Ich habe vor eineinhalb Jahren einen Beitrag für Wilhelm Brauneder abgeliefert. Seither gab es keinen Kontakt mehr“, so Scholz laut einer Vorabmeldung am Dienstag. Er habe weder Einladungen zu Treffen erhalten noch von der Präsentation gewusst. Er warnte die FPÖ davor, einen Schlussstrich zu ziehen, und forderte, den „vollständigen Bericht“ online zu stellen. Scholz’ ganzer Beitrag lese sich kritischer als die FPÖ-Zusammenfassung, hieß es laut „Österreich“.

„Vom Timing her nicht geglückt“

Politologinnen und Politologen werteten die Veröffentlichung des Rohberichts unterdessen vor allem als politisches Manöver, das nicht unbedingt geglückt sei. „Das Ziel des Berichts wäre es gewesen, ein Anstreifen am rechten Rand noch vor der Wahl zu entkräften. Das scheint zumindest vom Timing her nicht geglückt zu sein. Ob der fertige Bericht diese Funktion dann erfüllen wird, bleibt offen. Nach der Wahl ist aber für den Wahlkampf zu spät“, so Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber ORF.at.

Historiker Baumgartner zu FPÖ-Bericht: „Wenig Inhaltliches und teilweise faktisch falsch“

Historiker Gerhard Baumgartner, der Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, erläutert seine Kritik am Bericht der FPÖ-Historikerkommission.

Der Politikberater Thomas Hofer sprach unterdessen gegenüber der APA von einer „Pflichtübung“, „getrieben vom Marketinggedanken“. Die Zusammenfassung weise teils einen „parteipolitischen Spin“ auf, etwa wenn von „aufgeblasenen“ Einzelfällen gesprochen wird. „Das ist nicht etwas, das man sich von einer Historikerkommission erwarten würde.“

Die Partei setze auf eine Verzögerungstaktik und auf „sehr unkonkrete, an der Oberfläche bleibenden Inhalte“. Parteitaktisch sei das freilich richtig, denn Parteichef Norbert Hofer sei nun mit dem auszugsweise veröffentlichten Bericht für den Wahlkampf gewappnet: Sollte Kritik an der Aufarbeitung der FPÖ-Historie geäußert werden, könne er auf die Kommission verweisen und sagen: „Wir haben eh was gemacht.“

„Partei wie jede andere“

Die FPÖ hatte am Montag zur Präsentation des Rohberichts geladen. Dabei wurden die Autoren präsentiert, die Themen umrissen und eine 32-seitige Zusammenfassung des Rohberichts verteilt. Kommissionsleiter Wilhelm Brauneder sagte dabei, insgesamt komme er zum Schluss, dass „die FPÖ eine Partei wie nahezu jede andere ist“.

Diese Auffassung bekräftige er am Dienstag im Ö1-Morgenjournal. Im Gesamtbild gebe es immer „Positives und Negatives oder als negativ Empfundenes“. Es sei aber „völlig fatal, immer nur diese sogenannten ‚braunen Flecken‘ herauszupicken“. Das schädige auch das Ansehen Österreichs im Ausland. Das Ziel des Berichts sei es gewesen, eine umfassende Darstellung der FPÖ-Parteigeschichte darzulegen. Das umfassende Ausmaß begründe auch die Verzögerung – Audio dazu in oe1.ORF.at.

ÖVP: FPÖ braucht „Gegenwartskommission“

Kritik am Bericht kam am Dienstag auch von den anderen Parteien. Die ÖVP sieht die FPÖ nach der Präsentation des Historikerberichtes nicht nur gefordert, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern auch die Gegenwart. Die Partei benötige „eine Gegenwartskommission, keine Vergangenheitskommission“, hieß es vom ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg. Bereits am Montagabend hatte die SPÖ die Veröffentlichung des Teilberichts als „peinlichen Eiertanz“ bezeichnet.