Hand greift nach OxyContin
AP/Jessica Hill
US-Opioidkrise

Wie sich Pharmafamilie freikaufen will

Der US-Pharmakonzern Purdue Pharma und seine Eignerfamilie Sackler verhandeln laut Insiderinformationen in US-Medien über einen milliardenschweren Vergleich zur Beilegung von mehr als 2.000 Klagen wegen umstrittener Opioidschmerzmittel. Es gehe um eine Gesamtsumme von zehn bis zwölf Milliarden Dollar, wurden mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen in US-Medien zitiert.

Es geht dabei um eine außergerichtliche Einigung in Cleveland im Bundesstaat Ohio. In Cleveland werden fast 2.300 Verfahren zusammengeführt, bei denen Bundesstaaten, Städte und weitere Kläger wegen der Opiate-Krise Entschädigungszahlungen von einer Reihe von Unternehmen fordern.

Neben Ohio haben mehr als 40 weitere US-Bundesstaaten den Konzern geklagt. Es geht dabei um Dutzende oder sogar Hunderte Milliarden Euro. In einer vor Gericht eingereichten Schätzung wird von Kosten von 453 Milliarden Dollar innerhalb des kommenden Jahrzehnts ausgegangen. Der Konzern ist darauf bedacht, mit einem generell gültigen Vergleich weitere Klagen gegen Purdue Pharma zu verhindern. Das heißt allerdings, dass sich alle Kläger damit einverstanden erklären müssen. Es gebe bisher keine Vereinbarung, die Gespräche könnten noch scheitern, hieß es weiter.

Das Hauptquartier von Purdue Pharma
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Das Hauptquartier von Purdue Pharma

Auch Privatvermögen wird eingerechnet

Doch auch Details über den möglichen Vergleich mit dem Oxycotin-Hersteller wurden bekannt: Rund drei Milliarden Dollar der Gesamtsumme sollen aus dem Privatvermögen der Sacklers kommen. Laut dem Plan, von dem CBS zuerst berichtete, soll Purdue Pharma in den Konkurs geschickt werden, die Sackler-Familie würde damit die Kontrolle und auch die künftige Verantwortung abgeben. Der Plan soll bereits seit Längerem ausführlich diskutiert worden sein.

Der Paragraf 11 des US-Konkursrechts ermögliche, dass der Konzern dann unter öffentliche Verwaltung bzw. Kuratel gestellt wird, wie die „Washington Post“ schreibt. Das Unternehmen würde dann in einen Trust zum Nutzen der Öffentlichkeit umgewandelt. Dadurch wird ermöglicht, dass die Gewinne aus dem Medikamentenverkauf, inklusive der Opioide, dann den Klägern zugutekommen – etwa US-Bundesstaaten, Städten, Kleinstädten und auch indigenen Gemeinschaften. Unklar ist allerdings, ob alle klagenden US-Bundesstaaten dem Vergleich auch zustimmen.

Anti-Sucht-Mittel Teil des Plans

Der geregelte Konkurs ist auch wichtig, da auch die Gratisausgabe von Anti-Sucht-Mitteln Teil des Vergleichs sein soll. Schönheitsfehler laut „Washington Post“: Die Medikamente befinden sich erst in der Entwicklung bzw. müssen erst von der zuständigen Behörde, der U.S. Food and Drug Administration (FDA), genehmigt werden. Ein Mittel soll sich laut dem Bericht allerdings bereits auf der Vormerkliste der FDA befinden.

Dem Oxycontin-Hersteller Purdue Pharma und anderen Firmen wird vorgeworfen, in aggressiven Marketingkampagnen die Risiken süchtigmachender Schmerzmittel bei längerem Gebrauch verharmlost zu haben. Das Unternehmen und die Sackler-Familie weisen das zurück. In den USA sind nach Behördenangaben zwischen 1999 und 2017 fast 400.000 Menschen an den Folgen von Opioidmissbrauch gestorben. Inzwischen werden opioidhaltige Schmerzmittel in den USA weniger leicht verschrieben – und viele Süchtige greifen stattdessen auf Heroin oder das hochwirksame Betäubungsmittel Fentanyl zurück, bei denen das Risiko einer tödlichen Überdosis noch höher ist.

Woher die zwölf Milliarden kommen sollen

Bei den bis zu zwölf Milliarden Dollar handelt es sich allerdings nicht um Geld, dass direkt fließen wird, sondern die Summe soll sich aus verschiedenen Posten bzw. auch Sachleistungen zusammensetzen. Die Höhe der künftigen Profite wird, nachdem der Konzern von der Öffentlichen Hand verwaltet wird, inklusive der Opioidschmerzmittel auf sieben bis acht Milliarden Dollar geschätzt. Dazu sollen noch die rund drei Milliarden Dollar aus dem Privatvermögen der Sacklers kommen. Außerdem werden die Firmenwerte von Purdue Pharma miteingerechnet.

Die Sacklers könnten auch die in ihrem Besitz befindlichen Medikamentenhersteller Mundipharma verkaufen, heißt es in der „New York Times“ weiter. Der Wert von Mundipharma wird auf rund 1,5 Milliarden Dollar geschätzt. Laut der „Washington Post“ zahlte sich die Sackler-Familie in den Jahren 2008 bis 2016 selbst rund 4,3 Milliarden Dollar aus, wie die Zeitung unter Verweis auf Unterlagen einer Klage gegen den Konzern in Massachusetts schreibt.

Absatz sollte angekurbelt werden

Die zuständige Generalstaatsanwältin des US-Bundesstaates, Maura Healy, und auch andere Anklägerinnen und Ankläger beschuldigen Purdue Pharma und die Sacklers, ihre Pharmavertreter dahin gedrängt zu haben, Ärzte und Ärztinnen davon zu überzeugen, einer größeren Gruppe von Patienten höhere Dosen des Opioidschmerzstillers zu verschreiben und so den Absatz anzukurbeln. Richard Sackler leitete damals das Unternehmen. Der Konzern weist die Vorwürfe bisher zurück.

Purdue Pharma selbst äußerte sich zu den neuen Plänen nur allgemein. „Während Purdue Pharma bereit ist, sich im Opioidrechtsstreit energisch zu verteidigen, hat das Unternehmen deutlich gemacht, dass jahrelange verschwenderische Rechtsstreitigkeiten und Rechtsmittel wenig Gutes bringen“, zitiert die „New York Times“ die Aussendung des Konzerns. „Die von der Opioidkrise betroffenen Menschen und Gemeinschaften brauchen jetzt Hilfe. Purdue glaubt, dass eine konstruktive globale Lösung der beste Weg ist, und das Unternehmen arbeitet aktiv mit den Generalstaatsanwälten und anderen Klägern zusammen, um dieses Ergebnis zu erzielen“, so das Statement. Die Sacklers selbst lehnten einen Kommentar ab, so die Zeitung weiter.

Johnson & Johnson in Oklahoma verurteilt

Unterdessen verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Oklahoma den Opioidhersteller Johnson & Johnson (J&J) zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 572 Millionen Dollar (515 Mio. Euro). Der Generalstaatsanwalt von Oklahoma, Mike Hunter, hatte von J&J allerdings eine Zahlung von mehr als 17 Milliarden Dollar gefordert. Damit sollte der Staat in den nächsten 30 Jahren bei der Bekämpfung der Opioidkrise unterstützt werden. J&J hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Der Konzern kündigte Berufung an.

„Die Opioidkrise ist eine direkte Gefahr für die Bewohner Oklahomas“, sagte Richter Thad Balkman, als er nach dem siebenwöchigen Prozess sein Urteil sprach. Die Anwälte des Bundesstaats Oklahoma hatten argumentiert, Ärzte hätten die Medikamente übermäßig verschrieben, was zu einem Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung geführt habe. Mit dem von J&J geforderten Geld sollten Suchtbehandlung und Präventivprogramme finanziert werden.

Purdue Pharma vermied mit Zahlung Prozess

J&J hatte nicht nur die Vorwürfe der Verharmlosung zurückgewiesen, sondern auch darauf verwiesen, dass seine Schmerzmittel Duragesic und Nucynta nur einen Bruchteil der in Oklahoma verschriebenen Opioide ausmachten. Der Fall gilt als richtungweisend für Tausende weitere Klagen, die von US-Behörden gegen die Hersteller von Opioiden angestrengt wurden.

Purdue Pharma hatte einen Prozess in Oklahoma durch die Zahlung von 270 Millionen Dollar vermieden. 2007 hatten sich Purdue Pharma und drei Vorstandsmitglieder schuldig bekannt, Ärzte und die Öffentlichkeit hinsichtlich ihres Schmerzmittels getäuscht zu haben, und eine 635-Millionen-Dollar-Strafe akzeptiert.