Peter Pilz (Jetzt), Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Sebastian Kurz (ÖVP), Beate Meinl-Reisinger (NEOS), Werner Kogler (Grünen) und Norbert Hofer (FPÖ)
APA/Georg Hochmuth
Das war der Wahlkampf

Viel Aufregung, aber wenig Bewegung

Die Wochen des Wahlkampfs sind praktisch vorbei. Für die Parteien waren es harte Wochen – auch weil es bei allen ungeplant holprig wurde. Erstaunlich ist dafür, dass sich die Umfragewerte in den vergangenen Wochen und Monaten nur in vergleichsweise sehr geringem Ausmaß verändert haben. Im Wahlkampffinish setzten die Parteien traditionell auf ihre Kernthemen.

Dabei gerieten Sachthemen im Laufe des Wahlkampfs des Öfteren ins Hintertreffen, zu sehr mussten sich Parteien mit gegenseitigen Vorwürfen oder auch internen Problemen herumschlagen. Und es ging vor allem um Vergangenheitsbewältigung, nämlich um die Bilanz der Koalition von ÖVP und FPÖ.

Dementsprechend warnten die Oppositionsparteien SPÖ, NEOS und JETZT sowie die um den Wiedereinzug in den Nationalrat kämpfenden Grünen vor einer Neuauflage der Koalition. Ebenfalls offensiv mit Schreckgespenstern arbeiteten aber auch ÖVP und FPÖ.

Wahlkampf mit Schreckgespenstern

Die ÖVP warnte zunächst – nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Sebastian Kurz – vor einem rot-blauen-Bündnis nach der Wahl. Im Zuge des Wahlkampfs schwenkte man dann eher um: Gewarnt wurde vermehrt vor einer „Regierung links der Mitte“, also einem Bündnis von SPÖ, Grünen und NEOS.

Dieses ging sich zwar in keiner einzigen Umfrage aus und ist damit ebenso unwahrscheinlich wie Rot-Blau, diente aber vor allem der ausgegebenen Parole, dass ein Wahlsieg alleine nicht reiche, sondern auch hoch genug ausfallen müsse. Die FPÖ wiederum versuchte – zuletzt auch mit einem Video –, das Schreckgespenst Schwarz-Grün an die Wand zu malen.

ÖVP überraschend oft in der Defensive

Praktisch alle Parteien mussten sich allerdings im Wahlkampf mit Problemen herumschlagen, auf die sie wohl gerne verzichtet hätten. Ungewohnt unrund lief es auch und vor allem für die ÖVP: Als Parteichef Kurz Mitte Juni beim Besuch einer Veranstaltung der Freikirchen in der Wiener Stadthalle von einem recht obskuren Prediger gesegnet wurde, sollte das nur der Auftakt zu um einiges gravierenderen Problemen sein, die die ÖVP zeitweise sehr in die Defensive drängten. Zwei eilig und groß einberufene Pressekonferenzen, eine zu angeblich kursierenden, gefälschten Mails und eine zu einer obskuren Website, die Hirngespinste verbreitete, sorgten für viele Fragezeichen.

Schreddern und Hacken

Viel Mühe bereitete es der Partei zu erklären, wieso nach dem Regierungsende ein Mitarbeiter unter falschem Namen Festplatten aus dem Bundeskanzleramt privat zum Schreddern brachte. Dann musste die ÖVP eingestehen, von Spendern doch mehr Geld erhalten zu haben als bisher angegeben. Ans Licht der Öffentlichkeit kam das über Daten aus der Parteizentrale, die Medien zugespielt wurden. Von einer „doppelten Buchführung“ war da die Rede – und davon, dass die Partei bei der Abrechnung der Wahlkampfkosten recht kreativ sei. Auch die angespannte Finanzsituation der Partei wurde zum Thema.

ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz und Cyber-Security-Experte Avi Kravitz
APA/Johannes Bruckenberger
Kurz informierte mit dem Cybersicherheitsexperten Avi Kravitz über den Datenabfluss bei der ÖVP

Die ÖVP argumentierte, dass man Ziel eines Hackerangriffs geworden sei – und die Daten gestohlen und vielleicht auch manipuliert worden seien. Bei den anderen Parteien wurden Zweifel an der Hack-Erzählung laut. Offen ist, ob – erst nach der Wahl – noch weitere Enthüllungen folgen. Wesentlich erfolgreicher liefen für die ÖVP die Touren durch Österreich, bei denen sich Ex-Kanzler Kurz direkt den Fans präsentierte.

FPÖ nach „Ibiza“ mit Doppelstrategie

Dass der Wahlkampf für die FPÖ nach der „Ibiza-Affäre“ nicht leicht werden würde, war klar. Man versuchte es mit einer Doppelstrategie: Der mittlerweile zum Parteichef gekürte Norbert Hofer versuchte – mit Freundlichkeit und Witz – im gesamten Wahlkampf, die ÖVP zu beschwören, die Koalition nach der Wahl doch fortzusetzen, während Ex-Innenminister Herbert Kickl im klassischen FPÖ-Stil bei den Themen Sicherheit und Migration auf einen harten Kurs setzte. Gleichzeitig betonte man, dass kein Blatt Papier zwischen beide Positionen passe.

FPÖ-Parteiobmann Norbert Hofer und Klubobmann Herbert Kickl
APA/Hans Klaus Techt
Hofer und Kickl im Wahlkampf mit verteilten Rollen

Identitären-Nähe und andere „Einzelfälle“

Doch diese Einigkeit wurde mehrmals auf die Probe gestellt, vor allem als Ursula Stenzel, nicht amtsführende Stadträtin der FPÖ, an einem Marsch der rechtsextremen Identitären – unwissentlich, wie sie sagte – teilnahm und eine Rede hielt. Hofer, der eine klare Abgrenzung von der rechtsextremen Gruppierung versprochen hatte, geriet in Erklärungsnot. Als nach einem der immer wiederkehrenden „Einzelfälle“ Hofer dann auch den niederösterreichischen Klubobmann Martin Huber wegen eines Facebook-Postings mit Glückwünschen am Hitler-Geburtstag aus der Partei warf, zeigte sich, dass ein Teil der FPÖ-Basis wenig von diesem harten Kurs hält.

Strache als Belastungsprobe

Zur größten Belastungsprobe wurde aber Ex-Chef Heinz-Christian Strache. Dessen Frau Philippa wurde auf der Wiener Landesliste so platziert, dass ihr ein Nationalratsmandat recht sicher scheint, dann wurde Strache der alleinige Zugriff auf seine mächtige, offizielle Facebook-Site teilweise entzogen. Im August folgte der erste Knalleffekt: Die Bestellung des FPÖ-Manns Peter Sidlo als Finanzvorstand der Casinos Austria von März rief die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft auf den Plan. Es gab Hausdurchsuchungen unter anderen bei Strache und dem Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus.

Zerreißprobe wenige Tage vor der Wahl

Wenige Tage vor der Wahl platzte die nächste Bombe: Von einem monatlichen Spesenkonto von 10.000 Euro für Strache war die Rede, von einem Mietzuschuss von 2.500 Euro und auch von angeblichen Zahlungen an seine Frau. Vorgeworfen wurde Strache auch, Privates auf Parteikosten bezahlt zu haben. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Untreue.

Sein ehemaliger Leibwächter, ein FPÖ-Funktionär, wurde vorübergehend verhaftet. Er soll belastendes Material über seinen Ex-Chef gesammelt – und bei der Einvernahme ausgepackt haben. Strache wies alle Vorwürfe zurück. Die Partei versucht, möglichst vor der Wahl nicht noch mehr Schaden zu nehmen – und das wäre sowohl der Fall, wenn sie sich vorbehaltlos hinter Strache stellt, also auch, wenn sie den Ex-Parteichef vor die Türe setzt.

Holpriger Wahlkampfstart für SPÖ

Für die SPÖ verlief vor allem der Start in den Wahlkampf mehr als holprig. Nach den „Ibiza-Enthüllungen“ schien sogar unklar, wie fest Parteichefin Pamela Rendi-Wagner tatsächlich im Sattel sitzt. Inhaltliche Querschüsse kamen zunächst vor allem von SPÖ-Burgenland-Chef Hans-Peter Doskozil, für Negativschlagzeilen sorgte auch der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer.

Erst langsam begannen sich die Wogen zu glätten, Kommentatoren konstatierten Rendi-Wagner auch, bei TV-Debatten im Vergleich zu eher verunglückten vorherigen Auftritten deutlich an Sicherheit und Überzeugungsfähigkeit gewonnen zu haben. Im Onlinewahlkampf setzte man auf die zentrale Botschaft Menschlichkeit und schaffte es damit zumindest, den in vorigen Wahlen deutlich wahrnehmbaren Rückstand gegenüber ÖVP und FPÖ in den Sozialen Netzwerken zu verkleinern.

SPÖ-Spitzenkandidatin Pamela Rendi Wagner
ORF/Hans Leitner
Rendi-Wagner fand Sicherheit in den TV-Debatten

Umgekehrt konnte die SPÖ mit ihren Schwerpunkten Soziales, Gesundheit und Wohnen nur bedingt die wichtigsten Themen im Wahlkampf setzen. Und Rendi-Wagners Ansage, man wolle Platz eins erreichen, wie auch das Ausrufen einer „Aufholjagd“ war wohl eher der Mobilisierung der Stammwähler geschuldet. Als ganz realistisch und überzeugend wurden die Aussagen angesichts der Umfragewerte eher nicht gedeutet. Und Ungemach könnte noch nach der Wahl drohen, weil die SPÖ durch Gewerkschaftszuwendungen wohl gegen die Spendenobergrenze verstoßen hat.

Grünen fiel Wahlkampfthema in den Schoß

Wesentlich einfacher hatten es die Grünen: Mit der Klimakrise wurde ihnen das wohl größte Wahlkampfthema quasi als vorgezogenes Willkommensgeschenk für die Rückkehr in den Nationalrat geschenkt. Auch wenn Spitzenkandidat Werner Kogler immer wieder betont, die Wahl müsse erst geschlagen werden, sehen sämtliche Umfragen die Grünen klar wieder im Parlament – auch weil die SPÖ und JETZT, die ihnen 2017 viele Stimmen abluchsten, deutlich schwächer seien als vor zwei Jahren. Kogler machte im Wahlkampf recht rasch vergessen, dass er eigentlich erst im Mai ins EU-Parlament gewählt worden wäre.

Grünen-Spitzenkandidat Werner Kogler
APA/Hans Punz
Aufgekrempelte Ärmel wurden zum Markenzeichen Koglers

Unangenehm wurde es für die Grünen im Wahlkampffinish, als die Spendenaffäre rund um den ehemaligen grünen Gemeinderat Christoph Chorherr deutlich Fahrt aufnahm. Chorherr hatte teils hohe Spenden für einen karitativen Verein lukriert – und das ausgerechnet von Immobilienfirmen, während die Grünen in Wien unter anderem für Flächenwidmungen zuständig waren. Chorherr bestreitet, dass es politische Gegenleistungen gab, trat aber aus der Partei aus. Auch wenn noch völlig unklar ist, inwieweit die Vorwürfe gerechtfertigt sind und welche Folgen sich ergeben, bekamen das Image der Grünen als korruptionsfreie Aufdeckerpartei ein paar Flecken ab.

NEOS stabil

Wenig Unvorhergesehenes passierte NEOS im Wahlkampf. Gab es bei dem überraschenden Rücktritt von Parteigründer Matthias Strolz im Mai des Vorjahrs noch Bedenken, die Partei könnte ohne ihn ins Trudeln geraten, konnte seine Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger relativ rasch in – und aus – seinen Fußstapfen treten. Der Parteichefin wurde auch im Wahlkampf von Beobachterinnen und Beobachtern souveränes Auftreten konstatiert – selbst in Momenten, in denen einige der NEOS-Modelle wie die CO2-Steuer bei konkreten Berechnungen doch ihre Tücken aufwiesen. Und NEOS musste im Wahlkampf vor allem versuchen, als potenzieller Koalitionspartner nicht zu sanft zur ÖVP zu sein – und sie trotzdem nicht vor den Kopf zu stoßen.

NEOS Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger
APA/Georg Hochmuth
Der NEOS-Wahlkampf war beinahe eine One-Woman-Show für Meinl-Reisinger

Pilz kämpft für und gegen Umfragen

Praktisch einen Kampf um das politische Überleben musste Peter Pilz für seine Partei JETZT führen. Mit dem Versuch, sich Kontrolle als Alleinstellungsmerkmal an die Brust zu heften, versuchte Pilz vor allem, in den TV-Debatten zu punkten. Er führte vor allem einen Kampf für und gleichzeitig gegen Umfragewerte: Die Chancen, die Vierprozenthürde zu überspringen, steigen dann, wenn auch potenzielle Wählerinnen und Wähler das für wahrscheinlich halten. Pilz konnte allerdings nur auf eine Umfrage verweisen, nach der ein Viertel der Befragten ihn im Parlament sehen wollen. Und er zitierte mehrfach eine Umfrage, deren Rohdaten JETZT deutlich über drei Prozent sahen.

Kaum Bewegung in Umfragen

In allen anderen Umfragen lag JETZT recht stabil bei zwei Prozent – wie überhaupt in den Sommermonaten – trotz aller Aufregung im Wahlkampf – relativ wenig Bewegung in den Daten sichtbar war. Die ÖVP pendelte sich nach höheren Werten im Frühsommer bei 34 bis 36 Prozent ein. Die SPÖ lag zuletzt stabil auf Platz zwei – bei 21 bis 23 Prozent. Dahinter sahen alle Umfragen die FPÖ bei rund 19 bis 21 Prozent. Den Grünen wird unisono der Wiedereinzug in den Nationalrat zugetraut, sie lagen bei elf bis 13 Prozent und damit vor NEOS, das zuletzt in Umfragen acht bis neun Prozent erreichte. Wandel und KPÖ, die ja ebenfalls bundesweit kandidieren, dürften das Wunder eines Nationalratseinzugs – wenig überraschend – wohl nicht schaffen.

Mobilisierung im Finish

Die großen Fragen sind: Wie treffsicher sind die Umfragen? Und: Welche Effekte haben die Ereignisse in den letzten Tagen vor der Wahl? Klassischerweise versuchten die Parteien in der letzten Wahlkampfwoche noch, mit ihren Kernthemen ihre Wählerschaft zu mobilisieren, Unentschlossene für sich zu gewinnen und im Pool der potenziellen Nichtwähler zu fischen.

ÖVP-Chef Kurz forcierte im Wahlkampffinish wieder verstärkt das Thema Migration und betonte immer wieder, dass es auf die Höhe des – erwarteten – Wahlsiegs ankomme. Für die SPÖ zeigte sich Rendi-Wagner zuletzt deutlich angriffiger, vor allem gegenüber Kurz. Das soll vor allem die SPÖ-Stammklientel ansprechen, birgt aber die Gefahr, andere potenzielle Wähler eher abzuschrecken.

Fragezeichen bei der FPÖ

Auch NEOS und Grüne brachten zuletzt ihre Leib- und Magenthemen noch einmal verstärkt in den Fokus: NEOS will eine „ehrliche, anständige Alternative zu Türkis-Blau sein“, die Grünen verwiesen auf ihre Expertise in Sachen Umwelt und Klima. Und Pilz kämpfte bis zuletzt – auch in der Causa FPÖ-Spesen –, um mit seinem Ruf als Aufdecker genügend Stimmen zu ergattern.

Liste-Jetzt-Spitzenkandidat Peter Pilz
ORF/Hans Leitner
Pilz versuchte, die TV-Debatten als letzten Rettungsanker zu nutzen

Das größte Fragezeichen steht hinter der FPÖ. Zunächst versuchte auch Parteichef Hofer im Finish, das Migrationsthema wieder stärker in den Fokus zu stellen. Doch seit den Enthüllungen der Spesen-Affäre muss die Partei Schadensminimierung betreiben. Der harte Wählerkern versicherte mit „Jetzt erst recht“-Parolen und dem Orten großer Verschwörungen der Partei die Treue. Welche Folgen die vergangenen Tage tatsächlich haben, wird erst der Sonntag weisen.