Person steht vor Packeis
Getty Images/Philippe Turpin
Jonathan Safran Foer

Warum die große Klimapanik ausbleibt

Jonathan Safran Foer nimmt sich nach dem Fleischkonsum („Tiere essen“) nun des Klimas an. „Wir sind das Klima!“ postuliert er gleich im Titel und gibt damit die Stoßrichtung vor. Seine großen Fragen: Warum bleibt trotz der schrecklichen Fakten eine Massenpanik aus? Und bringt es überhaupt irgendetwas, wenn Individuen einen kleinen Beitrag leisten?

Seit rund 20, 30 Jahren sind die wichtigsten Fakten zum Klimawandel bekannt. Die drei verschiedenen Phasen des Klimawandels und seiner Manifestation in den Köpfen der Menschen sind, verkürzt gesagt, so verlaufen: Bis vor ein paar Jahren war der Klimawandel jedem egal – man konnte noch so spektakuläre Artikel darüber schreiben, sie wurden nicht wahrgenommen. Der Klimawandel war ein Nischenthema für Jesuspatschenträger und Reformladen-Asketinnen. Dann kam die Phase der angeblichen wissenschaftlichen „Diskussion“. Von Wirtschaftslobbys gedungene Wissenschaftler argumentierten gegen den Konsens.

Bei der Bevölkerung blieb übrig: „Wer weiß, ob es überhaupt einen menschengemachten Klimawandel gibt und falls ja, ob der überhaupt schädlich ist? Lasst uns einfach abwarten, bis die Experten da eine einhellige Meinung vertreten, bevor wir was tun.“ Das Wichtigste dabei war, dass man eine Ausrede hatte, noch immer mit dem Auto zu fahren, Produkte vom anderen Ende der Welt zu kaufen und in den Urlaub zu fliegen.

Hauptsache, noch immer nichts tun

Jetzt ist Phase drei angebrochen: Okay, der Klimawandel interessiert uns; außer ein paar Wirrköpfen, notorischen Verschwörungstheoretikern und bezahlten Business-Claqueuren bezweifelt niemand mehr, dass der Klimawandel erstens menschengemacht ist und sich zweitens allerhöchster Wahrscheinlichkeit nach extrem devastierend auf Pflanzen, Tiere und Menschen auswirken wird. Greta ist super, die „Fridays for Future“-Kids sind cool. Aber deshalb etwas an seinem Verhalten ändern? Nein, noch immer nicht.

Weil, und dieser Debatte widmet sich Safran Foer in seinem neuen Buch, weil es ja völlig irrelevant ist, was der Einzelne tut. Zumal hier in Europa. Es heißt: Große Stromkonzerne müssen auf Ökostrom umsteigen, die Industrie muss auf Ökostrom umsteigen – und überhaupt ist sowieso alles egal, solange China, Indien und die USA nicht einlenken. Hier in Österreich aufs Auto verzichten? Lächerliche Peanuts, das ändert nichts.

Menschen auf den Salomonen beim weltweiten Klimastreik
Reuters/Social Media
Vor allem Küstenregionen und Inselstaaten sind schon jetzt massiv von der Klimakatastrophe betroffen

Foer weiß, dass er im Glashaus sitzt

Ja und nein, vor allem aber nein, lautet darauf die Antwort von Safran Foer. Bevor er das ausführt, arbeitet er die Grundlagen der Debatte neu auf – und das ist der spannendste Teil in seinem neuen Buch. Denn, wie schon in „Tiere essen“, erweist er sich nicht als unfehlbarer Dogmatiker und Moralist, sondern als jemand, der selbst Auto fährt, fliegt und Fleisch isst, der also die Leserin und den Leser dort abholt, wo sie selbst stehen.

Die harten Fakten

Zunächst widmet er sich der Frage, warum die Menschen angesichts der Prognosen nicht viel hysterischer sind. Die Fakten würden das rechtfertigen: Selbst wenn das Wunder gelingt (kaum jemand glaubt noch daran), dass, wie im Pariser Abkommen festgelegt, die Temperatur bis 2050 um nicht mehr als zwei Grad Celsius ansteigt, bedeutet das:

Der Meeresspiegel steigt um einen halben Meter an. „Dhaka (18 Mio. Einwohner), Karatschi (15 Mio.), New York (8,5 Mio.) und Dutzende weiterer Großstädte werde praktisch unbewohnbar. 143 Millionen Menschen werden zu Klimaflüchtlingen.“ Und: „Die europäische Hitzewelle von 2003, die über 70.000 Tote gefordert, 13 Milliarden Euro durch ausgefallene Ernten gekostet und den Po, den Rhein und die Loire auf historische Tiefststände gebracht hat, wird zur Norm.“ Zahlreiche weitere, ähnlich alarmierende Fakten, listet Foer auf. Die Quellenlage ist erdrückend.

Buchcover „Wir sind das Klima!“
Kiepenheuer & Witsch

Buchhinweis

Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! Kiepenheuer & Witsch, 328 Seiten 22,70 Euro.

Keine Panik? Keine Panik

Warum also keine Panik? Zur Beantwortung dieser Frage holt Foer weit aus – und legt sie psychologisch an. Rational glaubt man die Fakten. Aber sie sind schlicht und einfach zu arg, um sie emotional verarbeiten zu können. Das gibt es immer wieder bei traumatischen Erkenntnissen von Individuen – aber es funktioniert auch für eine ganze Gesellschaft. Foer zitiert hochrangige Vertreter jüdischer Organisationen, die während des Holocausts sinngemäß gesagt haben: Auch wenn sie wüssten, dass es stimmt, könnten sie dennoch nicht glauben, was passiert.

Das ist ein Paradoxon: Man weiß, die Fakten stimmen, glaubt es aber irgendwie innerlich doch nicht; vor allem auch deshalb nicht, weil wenn es wirklich stimmen würde, dann würden doch alle etwas tun, dann würde es doch eine Massenpanik geben. Aber mit der Panik fängt eben keiner an, und Greta Thunberg wird ausgelacht, wenn sie vor der internationalen Politik schreit und weint.

Wider die geistige Trägheit

Über diesen Bogen kommt Foer zu seiner Antwort auf die Frage, ob man nun auf Kleinigkeiten im Alltag verzichten soll oder nicht. Er schlägt vor – einmal mehr – vor allem weniger Fleisch zu essen, auf Ökostrom umzusteigen, Müll zu trennen und weniger mit dem Auto zu fahren. Auch wenn man sich da mit seinem Beitrag im marginalen Bereich bewege, was die Einsparung von CO2 betrifft, so würde man doch in Summe ein Zeichen setzen, das dann die Politik versteht, entsprechende Gesetze verabschiedet und so auf die Unternehmen einwirkt.

Wer darauf wartet, dass Raffgier, Geiz und geistige Trägheit von selbst verschwinden, wird vergeblich warten – es braucht dazu die Grassroots-Bewegung, die „Fridays for Future“ und das Aktiv-Werden der Massen, die dann durch die Statistik (wenn etwa endlich weniger statt immer mehr Auto gefahren würde) ein Statement setzen. Safran Foers Vorschlag für den Anfang: Einfach morgens und mittags aufs Fleisch verzichten. Lächerlich? Auf jeden Fall viel, viel besser als nichts.