Außenansicht der Synagoge in Halle
AP/Jens Meyer
Anschlag auf Synagoge

Stabile Tür rettete Dutzenden das Leben

Zwei Tote hat es am Mittwoch bei dem rechtsextremen Terroranschlag im deutschen Halle an der Saale gegeben. Der 27-jährige Stephan B. hatte eine Synagoge attackiert, er scheiterte allerdings an den Türen des Gotteshauses. Das verhinderte wohl ein Massaker: Rund 80 Gläubige befanden sich zum Feiertag Jom Kippur in der Synagoge. Nun werden die Ermittlungen fortgesetzt.

Im Fokus stehen unter anderem die Verbindungen des Mannes und ein „Manifest“, das der mutmaßliche Rechtsextremist verbreitet haben soll. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) will noch am Donnerstag über den Ermittlungsstand informieren. Ungeklärt ist bisher unter anderem die Identität der beiden Opfer, ein Mann und eine Frau. Zudem wurden am Vormittag weitere Spuren im 15 Kilometer entfernten Landsberg gesichert. Kurz nach den Angriffen war der Ort abgeriegelt worden. Mehrere Häuser sollen durchsucht worden sein. Der Täter war am Mittwoch bei seiner Festnahme von der Polizei angeschossen worden.

Laut einem Bericht des MDR soll zudem am Donnerstagvormittag eine Wohnung in Benndorf durchsucht worden sein. Dort soll nach Angaben eines Nachbarn des Vaters des mutmaßlichen Täters, der im nahe gelegenen Helbra wohnt, die Mutter von B. leben. Die Polizei in Sachsen-Anhalt bestätigte die Durchsuchung nicht. Das mutmaßliche Fahrzeug des Täters wurde abgeschleppt.

Dokument mit Tatplan aufgetaucht

Unbestätigt ist bisher, ob ein im Internet aufgetauchtes „Manifest“ tatsächlich von dem 27-Jährigen stammt. Darin wird unter anderem zum Mord an „Anti-Weißen“, vor allem Juden und Jüdinnen, aufgerufen. Zudem soll der Tatplan darin beschrieben sein. Das Dokument dürfte laut einem Bericht des „Spiegel“ authentisch sein – unter anderem sollen die beschriebenen und tatsächlich verwendeten Waffen übereinstimmen. B. hatte seine Waffen offenbar selbst gebaut, weswegen es immer wieder zu Ladehemmungen gekommen war. Auch das dürfte weitere Opfer verhindert haben.

Einschusslöcher in der Eingangtüre zur Synagoge in Halle
AP/Jens Meyer
Einschusslöcher an der Tür der Synagoge

Tat live gestreamt

Der Täter streamte das Attentat live. In dem insgesamt 36-minütigen Clip gibt er in schlechtem Englisch extrem antisemitische, ausländerfeindliche und frauenfeindliche Äußerungen von sich und leugnet den Holocaust. Er sagt auch immer wieder, dass er ein „Loser“ sei, etwa als er an der Tür der Synagoge scheiterte. Auch der Angriff auf das Gebäude und die Todesschüsse auf zwei Personen sind zu sehen.

Der Angriff hatte gegen Mittag begonnen. Der Mann aus Sachsen-Anhalt versuchte erst, in die Synagoge einzudringen. „Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen“, wurde der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, von deutschen Medien zitiert.

Morde vor Synagoge und Dönerimbiss

Der Angreifer soll zudem versucht haben, das Tor des benachbarten jüdischen Friedhofs aufzuschießen. Er deponierte zudem kleine Gebinde, vermutlich selbst gebaute Sprengkörper. In unmittelbarer Nähe zur Synagoge erschoss er zunächst eine 40-jährige Passantin, die ihn zuvor angesprochen haben soll. Einige hundert Meter weiter griff er einen Dönerimbiss mit einer Granate an. Der Versuch schlug fehl, daraufhin erschoss er einen 20-jährigen Mann in dem Lokal. Anschließend floh er mit einem Auto, zwischendurch schoss er noch auf Polizisten.

Polizeiaufgebot in Landsberg/Wiedersdorf, nahe Halle
Reuters/Marvin Gaul
Einsatzkräfte im nahe Halle gelegenen Wiedersdorf

Längere Zeit ging die Polizei von mehreren Tätern aus. Eine Großfahndung wurde eingeleitet, auch die Kontrollen auf Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland wurden verstärkt. Medienberichte hatten am Nachmittag eine unübersichtliche Lage mit mehreren Schauplätzen gezeichnet.

Erst am Abend konnte der Fluchtverlauf des Mannes einigermaßen rekonstruiert werden. Laut Medien fuhr der Täter nach dem Angriff in Halle mit einem Mietwagen nach Wiedersdorf bei Landsberg und erbeutete dort vor einer Autowerkstatt ein Taxi. In der Ortschaft schoss er auf eine 40 Jahre alte Frau und einen 41 Jahre alten Mann, die in dem Ort ein Geschäft betreiben. Das Ehepaar wird mit Schussverletzungen im Krankenhaus behandelt. Erst auf einer Bundesstraße wurde er laut „Bild“-Zeitung nach einem Unfall von der Polizei gestellt und angeschossen.

Mann nicht amtsbekannt

Amtsbekannt ist der mutmaßliche Todesschütze laut Medienberichten nicht. Allerdings deutet viel daraufhin, dass er sich in einer rechtsextremen Onlinesubkultur bewegt hat. Beim Livestreamen des Videos dürfte er sich am Täter des rechtsextremen Terroranschlags in einer Moschee im neuseeländischen Christchurch orientiert haben. Auch dieser hatte sein Attentat live gestreamt. Das insgesamt 36-minütige Video soll auf der Plattform Twitch zu sehen gewesen sein und wurde laut Berichten umgehend von dort entfernt. Auch andere Plattformen versprachen, das Video zu löschen.

Eingangsbereich der Synagoge in Halle
APA/dpa/Jan Woitas
Die Polizei sicherte Donnerstagfrüh den Tatort

Zentralrat der Juden kritisiert fehlenden Schutz

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös“, sagte Schuster. „Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt.“ Nur glückliche Umstände hätten ein Massaker verhindert, sagte Schuster in Würzburg. Er kritisierte zudem, dass die Polizei zu spät am Tatort eingetroffen sei. „Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“

Hanna Sommersacher (ORF) über Angriff auf Synagoge

Die Polizei geht von einem rechtsextremen Täter aus. Hanna Sommersacher berichtet aus Halle über den Anschlag und seine Folgen.

Schuster sprach gegenüber dem Deutschlandfunk von einer „neuen Qualität des Rechtsextremismus“. Er forderte nun mehr Schutz. Prinzipiell schienen die technischen Sicherheitsmaßnahmen sehr gut gewesen zu sein, so Schuster. „Aber wäre hier ein Polizeiposten gewesen, hätte der Mann unschädlich gemacht werden können.“ Die Tür in der Synagoge war verriegelt gewesen. „Eine für Christen in Deutschland unvorstellbare Maßnahme: Für den Weihnachts- oder Ostergottesdienst wird die Tür zur Kirche nie verriegelt“, schrieb dazu die „Neue Zürcher Zeit“.

Bürgermeister verteidigt seine Stadt

Unterdessen verteidigte der Bürgermeister von Halle, Bernd Wiegand (parteilos), seine Stadt im ZDF als „bunt und vielfältig“. Der Rechtsextremismus sei „nicht zwingend ein Thema in unserer Stadt, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagte Wiegand. Halle sei „bedauerlicherweise“ zum Tatort geworden. „Wir müssen stärker einwirken“, zeigte sich Wiegand überzeugt und sicherte zu: „Dieser Aufgabe stellen wir uns.“

Zur Frage, warum es an der Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur keinen Polizeischutz gab, sagte Wiegand, das sei „Aufgabe der Polizei“. Er könne das „nicht beurteilen“ und wolle sich dazu nicht äußern. Die entsprechende Diskussion sei nun „vonseiten der Polizei“ zu führen.

Bayerns Innenminister kritisiert AfD

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gab der AfD eine Mitverantwortung an der Tat. „Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, vor denen wir uns schützen müssen, das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen“, sagte er im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

In Halle werden am Stadtplatz Kerzen angezündet
Reuters/Hannibal Hanschke
Gedenkveranstaltung in Halle an der Saale

Namentlich nannte Herrmann in diesem Zusammenhang den Thüringer AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke: „Höcke ist einer der geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten. Darüber müssen wir jetzt die politische Auseinandersetzung konsequent führen.“ Höcke selbst hatte auf Twitter gepostet, er sei angesichts der Tat bestürzt. „Was sind das nur für Menschen, die anderen Menschen so etwas antun?!“, schrieb er.

Die Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland und Alice Weidel, warfen anderen Parteien vor, den Anschlag „tagespolitisch zu instrumentalisieren“. „Wir sind erschüttert über dieses monströse Verbrechen“, schrieben sie in einer Aussendung.

Solidaritäts- und Gedenkveranstaltung

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wollte noch Donnerstagmittag das jüdische Gotteshaus in der Stadt in Sachsen-Anhalt besuchen. Geplant ist auch ein Treffen mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), wie das Bundespräsidialamt am Vormittag mitteilte.

Bereits am Mittwoch gab es eine Solidaritäts- und Gedenkveranstaltung in Halle. Am Abend nahm auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an einer Veranstaltung an der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin teil. Auch in anderen deutschen Städten versammelten sich Menschen in der Nähe von Synagogen und gedachten der Toten. In Halle legten Menschen auf dem Marktplatz Blumen und Kerzen nieder.