Eine Frau geht an einem ausgebrannten Kleinbus vorbei
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Nach Bagdadi-Tod

Furcht vor neuen IS-Terrorangriffen

US-Präsident Donald Trump hat am Sonntag den Tod des Anführers der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Bagdadi, verkündet. Seitdem herrscht jedoch nicht nur „große Erleichterung“, wie sie in vielen Ländern bekundet wurde, sondern auch Furcht vor Vergeltung und neuen Terrorangriffen. Denn das Ende von Bagdadi bedeute noch lange nicht das Ende der Terrormiliz, so der Tenor.

Frankreichs Innenminister Christophe Castaner warnte nach der Bekanntgabe des Todes von Bagdadi vor Racheakten. Er forderte am Sonntag in einem Schreiben an die französische Polizei, in das die Nachrichtenagentur Reuters einsehen konnte, erhöhte Wachsamkeit. Das gelte insbesondere für öffentliche Veranstaltungen in den kommenden Tagen.

Auch die mit den USA im Kampf gegen den IS verbündeten Kurdenmilizen in Nordsyrien rechnen mit Vergeltungsangriffen durch Schläferzellen des IS. Er stelle sich auch auf Angriffe auf Gefängnisse unter kurdischer Verwaltung ein, in denen Tausende IS-Kämpfer festhalten werden, sagte der Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Maslum Abdi.

Führer des Islamischen Staat, Abu Bakr al-Baghdadi im Jahr 2014
APA/AFP
IS-Anführer Badgadi galt als der meistgesuchte Mann der Welt – am Sonntag verkündete Trump seinen Tod

Ebenso werden auf den Philippinen Vergeltungsakte der Terrormiliz befürchtet. Die Streitkräfte des südostasiatischen Inselstaats waren wegen möglicher neuer Anschläge des IS am Montag in Alarmbereitschaft. Ein Militärsprecher, Brigadegeneral Edgard Arevalo, sagte: „Wir erwarten, dass sein Tod negative Auswirkungen auf die Führerschaft von Terroristen in verschiedenen Teilen der Welt hat.“ Auf den Philippinen sind IS-Verbündete wie die Terrorgruppe Abu Sayyaf aktiv.

„IS wird auch ohne Bagdadi weitermachen“

Der Tod Bagdadis könnte einige seiner Anhänger zwar entmutigen, es gebe aber andere, die seinen Tod rächen wollten, so der syrische Aktivist Omar Abu Layla gegenüber der „New York Times“ („NYT“). „Einige der Zellen in Europa und im Westen könnten versuchen, Angriffe durchzuführen, um zu zeigen, dass sie auch ohne Bagdadi weitermachen werden“, so Abu Layla.

Die Terrormiliz sei zudem stark dezentralisiert organisiert und werde daher auch in Zukunft weiter bestehen bleiben. „Zahlreiche Referenzen in der Propaganda des Islamischen Staates erinnern daran, dass seine Führer kommen und gehen können, aber die Bewegung bleibt“, so die „NYT“.

„Symbolischer Verlust“

Für den Nahost-Experten Jean-Pierre Filiu von der Universität Sciences Po in Paris ist der Tod Bagdadis „ein schwerer Schlag für die Organisation, zu deren ‚Kalif‘ er sich 2014 erklärt hat“. Allerdings spricht Filiu von einem eher „symbolischen Verlust“ für den IS. Es sei nicht sicher, dass die operative Führung der Miliz durch den Tod Bagdadis lange gelähmt werde.

Der renommierte irakische Dschihadistenforscher Hischam al-Haschemi glaubt, dass der Tod Bagdadis zu „einem Moment des Schweigens und einer Pause bei den Terroranschlägen führen wird“. Der Wissenschaftler aus Bagdad vergleicht die Lage mit der nach der Ermordung des früheren Al-Kaida-Chefs im Irak, Abu Omar al-Bagdadi, im Jahr 2010. Damals habe al-Kaida vier Monate gebraucht, um im Irak wieder aktiv zu werden.

Iran: Nicht Ende des Terrorismus

Auch der Tod von Anführern anderer Terrorgruppen habe in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass das nicht automatisch zum Ende der Organisation führe, schreibt die „NYT“. Ähnliches sagte der iranische Regierungssprecher Ali Rabiei am Sonntag in Teheran: „Genau wie mit dem Tod von (Osama, Anm.) bin Laden der Terrorismus nicht ausgetrocknet werden konnte, bedeutet Bagdadis Tod auch nicht das Ende des IS.“ Generalmajor Ismail Almahalawi, ein Veteran im Kampf gegen den Islamischen Staat und seine Vorgänger, sagte gegenüber der „NYT“: „Es ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer neuen Ära, eines neuen Zeitalters unter einem neuen Namen für eine neue Art von Terrorismus.“

US-Präsident Trump
Reuters/Jim Bourg
„Wir wollen nicht für die nächsten 200 Jahre Soldaten zwischen Syrien und der Türkei behalten“, begründete Trump den Abzug

Die Leiterin des auf die Überwachung extremistischer Websites spezialisierten US-Unternehmens SITE, Rita Katz, sagte, die Terrormiliz werde „sich den Tod ihres Anführers zunutze machen, um neue Anhänger zu rekrutieren und zu Angriffen aufzurufen“. Denn das oberste Ziel des Dschihads habe der IS-Führer erreicht: „als Märtyrer zu sterben“. Bisher habe der IS auf den Tod seines Anführers offiziell nicht reagiert, so Katz. IS-nahe Seiten zögen sein Ableben sogar in Zweifel. Ein möglicher Nachfolger für Bagdadi werde deshalb vermutlich auch nicht offiziell bekanntgegeben.

„Neue Phase“ in der Terrorismusbekämpfung

Trump hatte am Sonntag den Tod von Bagdadi verkündet. Bagdadi sei bei einer Operation von US-Spezialkräften in Nordwestsyrien vor den Soldaten in einen Tunnel geflüchtet und habe eine Sprengstoffweste gezündet, sagte Trump im Weißen Haus. Trump betonte, er halte an seinem Ziel fest, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen. „Wir wollen nicht für die nächsten 200 Jahre Soldaten zwischen Syrien und der Türkei behalten.“

Nach dem Tod Bagdadis beginnt laut Nahost-Experte Guido Steinberg eine neue Phase in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. "Sie wird vor allem von dem Rückzug der USA aus Syrien geprägt werden und die Europäer zwingen, mehr für ihre eigene Sicherheit zu tun, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Beitrag des Wissenschaftlers von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

„The Times“: USA müssen sich weiter engagieren

Die britische Zeitung „The Times“ hingegen schreibt, die USA müssten sich weiterhin engagieren. „Die Tötung von Bagdadi sollte nicht als Chance betrachtet werden, sich aus einer problematischen Region zu verabschieden. Vielmehr sollte sie zu neuen Überlegungen führen, wie sich der Westen positionieren kann, um einen demokratischen Wandel im Nahen Osten zu fördern und gleichzeitig wachsam gegenüber dem Wiederaufleben des internationalen Terrorismus zu bleiben.“

Denn solange es in der arabischen Welt tiefe Missstände gebe, existiere immer „das Potenzial für eine Neuauflage von Bagdadis Terrororganisation, einem IS 3.0.“, so die „Times“. Rund 12.000 IS-Kämpfer sitzen zudem in Syrien in kurdischen Gefängnissen. Angesichts der türkischen Militärintervention in Nordsyrien besteht international die Befürchtung, dass die IS-Kämpfer fliehen und sich neu organisieren könnten.

Frankreich: Kampf gegen den Islamischen Staat geht weiter

Frankreich erklärte bereits nach dem Tod Bagadadis, weiterhin mit internationalen Partnern die Terrormiliz bekämpfen zu wollen. Das teilte Verteidigungsministerin Florence Parly am Sonntag via Twitter mit. Staatschef Emmanuel Macron äußerte sich ähnlich: „Der Tod al-Bagdadis ist ein harter Schlag, der gegen Daesch ausgeführt wurde, doch das ist nur eine Etappe.“ Mit Daesch benutzte er eine arabische Bezeichnung für den IS.

Nach den Worten von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu belegt der Militäreinsatz die „Entschlossenheit“ der von den USA angeführten „freien Länder“, die „Kräfte des Terrors, Terrororganisationen und Terrorstaaten“ zu bekämpfen. Bagdadis Tod sei ein „wichtiger Meilenstein, aber nur Teil eines längeren Kampfes, den wir gewinnen müssen“.

Auch IS-Sprecher vermutlich getötet

Nach dem Tod Bagdadis läuft der Einsatz in Syrien gegen hochrangige Vertreter der Terrormiliz weiter. Der SDF-Kommandeur Abdi sprach auf Twitter von „andauernden Operationen, um IS-Anführer zu jagen“.

Ziel eines Einsatzes nach dem Tod Bagdadis sei Abu al-Hassan al-Muhadschir gewesen, der Sprecher der Terrormiliz. Die Kurdenmiliz YPG, die die SDF dominiert, teilte mit, Muhadschir sei getötet worden. Abdi schrieb, die SDF habe dem US-Militär Informationen für die Operation geliefert. Bestätigung aus den USA für den Tod Muhadschirs gibt es noch keine, schreibt die „NYT“.

SDF-Sprecher Mustafa Bali teilte mit, die beiden US-geführten Operationen gegen Bagdadi und Muhadschir hätten die oberste Führungsebene des IS in Nordwestsyrien „faktisch ausgeschaltet“. Weitere IS-Anführer versteckten sich aber noch in der Gegend. Muhadschir gilt als einer der wichtigsten Figuren des IS. Er hatte Anhänger und Sympathisanten im Westen in mehreren Audiobotschaften dazu aufgerufen, Anschläge zu verüben.

Auf hoher See bestattet

Bagdadi wurde unterdessen auf hoher See bestattet. Das gab das Pentagon am Montag bekannt. Genauere Angaben zu Ort und Verlauf der Bestattung Bagdadis wurden aber nicht gemacht. Der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Mark Milley, hatte zuvor bei einer Pressekonferenz gesagt, die „Beseitigung“ von Bagdadis Überresten sei „angemessen“ gehandhabt worden und abgeschlossen.