Eine Auswahl von Krimis liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
ORF.at/Christian Öser
Empfehlungen

Die Krimis unterm Christbaum

Nicht nur spannend, sondern auch durchaus gesellschaftskritisch und überaus gut erzählt sind die Krimis und Thriller dieser Saison. Von Tel Aviv über die USA bis nach Berlin werden Mörder gejagt und literarische Genregrenzen gesprengt.

Mord im Marschland

Wer in den Weihnachtsfeiertagen dem hiesigen Winter entkommen will, kann mit „Der Gesang der Flusskrebse“ in die heiße Sumpflandschaft North Carolinas fliehen. Dort lebt das „Marschmädchen“ Kya, das allein in der Wildnis aufwächst, als junge Frau einen Mann kennenlernt und eines Tages des Mordes verdächtigt wird. Die Mischung aus Krimi, Liebesgeschichte und Entwicklungsroman mit hypnotisch einprägsamen Naturschilderungen von Delia Owens ist eine der literarischen Entdeckungen des Jahres und eine perfekte Ferienlektüre. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Hanser blau, 464 Seiten, 22,70 Euro.

Darling, du darfst bleiben

Sie wollten einen Geburtstag feiern, in einer Hotelbar am Hamburger Hafen. Frische Drinks stehen auf dem Tisch, alte Liebschaften liegen in der Luft. Dann stürmen zwölf Schwerbewaffnete die Bar – und Chastity Riley, trinkfeste Staatsanwältin mit Vorliebe für Männer mit Geschichte, ist mitten im nächsten Fall. Unter Fans wird dem Krimi schon per Hashtag gehuldigt, was an der Formulierfreude der Verfasserin liegt: „Kill Your Darlings“ lautet eine alte Schreibregel, jene Sätze, die eine Autorin besonders liebt, müssen raus. Buchholz killt zwar gnadenlos, aber ihre Darlings dürfen bleiben. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Simone Buchholz: Hotel Cartagena. Suhrkamp Nova, 226 Seiten, 16,50 Euro.

Mit Drogen gegen Flower Power

Er war ein hochbegabter junger Mann mit einem Hang zum Illegalen und wurde im New York der frühen 60er wegen Einbruchs festgenommen. Im Gefängnis bot man ihm an, an einem LSD-Experiment teilzunehmen, anstatt die Strafe abzusitzen – und so wurde Jay Dark zum Werkzeug einer Strategie, um die amerikanische Linke zu destabilisieren: Der Autor Giancarlo De Cataldo, Richter am Berufungsgericht in Rom, ist Spezialist für Geschichten nahe an der Wirklichkeit. „Der Agent des Chaos“ ist nur die jüngste, „Suburra“ die bekannteste davon. (Magdalena Miedl, für ORF.at)

Giancarlo De Cataldo: Der Agent des Chaos. Aus dem Italienischen übersetzt von Karin Fleischanderl. Folio, 256 Seiten, 22 Euro.

Babylon Berlin

Bei der Eröffnungsgala der Berlinale wird zum Entsetzen aller Gäste ein Snuff-Movie gezeigt, und eine Gruppe von Prominenten rund um den Berliner Bürgermeister gerät ins Visier der Polizei. Tom Babylon vom LKA und die Psychologin Sita Johanns ermitteln unter Hochdruck und halten sich dabei selbst nicht immer an die Gesetze. Bis zum Schluss bleibt „Zimmer 19“ von Marc Raabe ungeheuer spannend, erzählt sowohl vom heutigen Berlin als auch von der Zeit nach der Wende und macht Lust darauf, den Vorgängerband „Schlüssel 17“ ebenfalls zu verschlingen. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Marc Raabe: Zimmer 19. Ullstein, 528 Seiten, 15,50 Euro.

Eine Auswahl von Krimis liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
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Maximum Street Credibility – yo

Viel beachtet war diese Saison Selim Özdogans Buch „Der die Träume hört“. Nicht so sehr wegen des Krimiplots, der eh ganz okay ist, wenn auch aufgrund der dauernden Rückblenden mitunter ordentlich verwirrend – besprochen wurde das Buch vor allem, weil es tiefe Einblicke in die deutsch-türkische Welt des Hip Hop biete, und auch gleich noch die besonders dunklen Ecken des Darknet ausleuchtet. Da weiß jemand, wovon er spricht – das wird bei der harten, durchaus auch unterhaltenden Lektüre klar. Rödelheim ist überall. (Simon Hadler, ORF.at)

Selim Özdogan: Der die Träume hört. Edition Nautilus, 288 Seiten, 18,50 Euro.

Der Nahost-Konflikt als Krimi

Pierre Pouchairet war früher Polizist in Frankreich und ist später nach Israel übersiedelt. Genau diese beiden Fakten machen seinen knochentrockenen Krimi „Unheiliges Land“ so wertvoll. Es geht bei ihm um Crystal-Meth-Deals zwischen Frankreich und den Palästinensergebieten, und Pouchairet scheut sich nicht, die enervierende Polizeiarbeit realistisch darzustellen – und den alltäglichen Wahnsinn des Zusammenlebens in Israel und den Palästinensergebieten. Ein Krimi, von dem man mehr über internationales Verbrechen und auch über den Nahost-Konflikt lernt als von so manchem Sachbuch. An dieser Stelle ein Hoch auf den kleinen Polar-Verlag, von dem man fast jeden Krimi ungeschaut kaufen kann. (Simon Hadler, ORF.at)

Pierre Pouchairet: Unheiliges Land. Aus dem Französischen übersetzt von Ronald Voullie. Polar, 286 Seiten, 22,70 Euro.

Kollektive Paranoia in düsteren Bildern

Klassischer Krimi ist dieser Comic keiner. Dafür bietet er aber nicht nur aufreibenden Thrill, sondern auch ein so dystopisch-treffsicheres Gesellschaftspanorama und eine – im Wortsinn – so „unheimlich“ stimmige Bildsprache, dass die Jury des Booker Prize letztes Jahr eine Ausnahme machte und zum ersten Mal eine Graphic Novel nominierte. In kühlen Farben erzählt „Sabrina“ vom grausamen Mord an der Titelheldin, viel mehr aber noch von einem Netz aus Verschwörungstheorien und politischer Stimmungsmache, das sich daraufhin entfaltet. (Paula Pfoser, für ORF.at)

Nick Drnaso: Sabrina. Aus dem Englischen übersetzt von Daniel Beskos und Karen Köhler. Blumenbar, 208 Seiten, 26,40 Euro.

Die Tote am Strand

Fans von Jussi Adler-Olson muss man das Kopenhagener Sonderdezernat Q und sein Ermittlerteam rund um Carl Morck nicht vorstellen. In seinem achten Fall soll der Kommissar den Tod einer Frau aus dem Nahen Osten aufklären, die an einem zypriotischen Strand aus dem Wasser gezogen wird. Die Geflüchtete ist nicht ertrunken, sondern wurde ermordet. Was das alles mit Dänemark, Morcks direktem Umfeld und der europäischen Flüchtlingskrise zu tun hat, erfährt man auf knapp 600 Seiten brandaktuellem Nervenkitzel. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Jussi Adler-Olsen: Opfer 2117. Aus dem Dänischen übersetzt von Hannes Thiess. Dtv, 592 Seiten, 24,70 Euro.

Eine Auswahl von Krimis liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
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Drei Frauen und ein undurchsichtiger Typ

Orna erholt sich von einer üblen Scheidung und versucht, ihr Kind allein großzuziehen und dabei noch etwas vom Leben zu haben. Emilija ist auf der Suche nach einer neuen Stelle als Altenpflegerin. Ella braucht Ablenkung vom anstrengenden Familienleben. Bei all dem soll ein Mann helfen: der charmante, undurchsichtige Gil. In dem in Tel Aviv angesiedelten „Drei“ von Dror Mishani steht einmal nicht der Täter, ja nicht einmal das Verbrechen im Mittelpunkt. Zur sensiblen Figurenzeichnung gesellen sich eiskalte Plot-Twists. (Johanna Grillmayer, ORF.at)

Dror Mishani: Drei. Aus dem Hebräischen übersetzt von Markus Lemke. Diogenes, 336 Seiten, 24,70 Euro.

Mehr als ein Krimi

Kunstvoll und poetisch, spannend und erhellend – „All die unbewohnten Zimmer“ von Friedrich Ani ist mehr als „nur“ ein Krimi. Der preisgekrönte deutsche Autor lässt vier ungewöhnliche Ermittler zwei rätselhafte Mordfälle aufklären und stößt zugleich eine Debatte um angeblich unfähige Polizisten, geflüchtete Kinder und den Graben zwischen West- und Ostdeutschland an. Ani legt seine Figuren liebevoll und komplex an und verlangt dem Leser einiges an Konzentration ab, um den roten Faden nicht zu verlieren. Wer also eine besondere Kriminalgeschichte sucht, ist mit diesem Gesellschaftsroman bestens bedient. (Sonia Neufeld, ORF.at)

Friedrich Ani: All die unbewohnten Zimmer. Suhrkamp, 494 Seiten, 22,70 Euro.

Selbst in der Hölle soll es barmherziger zugehen

Es ist das Jahr 1942, als Isaak Rubinstein, ein jüdischer Antiquar, widerwillig in die Rolle des Sonderermittlers Adolf Weissmann schlüpft, um der Widerstandsgruppe Fränkische Freiheit als Spitzel zu dienen. Er fungiert als Kriminalist in einem mysteriösen Mordfall und soll die Gestapo ausspionieren. Gewieft und heldenhaft begibt sich Isaak in diese äußerst gefährliche Situation, immer auf Messers Schneide stehend. Nach dem Riesenerfolg mit einer Trilogie zum Ersten Weltkrieg zeigt Autorin Alex Beer nun im Zweiten Weltkrieg durch ihren Protagonisten, dass mit der unbändigen Kraft der Liebe das Böse nicht unbesiegbar erscheint. (Antonia Skolle, ORF.at)

Alex Beer: Unter Wölfen. Limes, 368 Seiten, 16,50 Euro.

Wettlauf gegen die Zeit

Ein Strafverteidiger, der an die Grenzen seiner moralischen Grundfesten gerät: Pal Palushi muss den Entführer der 21-jährigen Lara Blum verteidigen – obwohl der weiterhin nicht verrät, wo die junge Frau ist. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Hält sich Palushi an seine Anwaltspflicht und wirft damit seine Grundsätze über Bord? Oder rettet er Lara? Autorin Petra Ivanov führt die stets packende Meyer- und Palushi-Reihe fort und bringt den Leser zum Innehalten: Wie weit würde man selbst gehen, um das Leben einer anderen Person zu retten? (Antonia Skolle, ORF.at)

Petra Ivanov: Entführung. Unionsverlag, 384 Seiten, 26,80 Euro.

Eine Auswahl von Krimis liegt auf weihnachtlichem Christbaumschmuck
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