Regierungsprogramm von ÖVP und Grüne
APA/Hans Klaus Techt
Regierungsprogramm

Die großen Brocken für die Koalition

Am Donnerstag haben die Parteichefs von ÖVP und Grünen nach mehr als hundert Tagen Verhandlung ihr gemeinsames Regierungsprogramm präsentiert. Auf mehr als 300 Seiten skizzieren die künftigen Regierungsparteien darin ihre Vorhaben für die kommenden fünf Jahre. Wenngleich die künftigen Regierungsparteien nicht überall gleich ins Detail gehen und bisweilen gilt: je größer die Aufgabe, desto vager die Pläne.

Wie viel ÖVP und wie viel Grüne steckt nun tatsächlich im Regierungsprogramm? Über diese Frage wird sich auch in Zukunft trefflich diskutieren lassen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz und sein Grünen-Gegenüber Werner Kogler bemühten sich bei der Präsentation am Donnerstag jedenfalls darum, zu zeigen, dass beide Parteien ihre Handschrift in der Übereinkunft hinterlassen haben. Im Hinblick auf die im Papier genannten großen Ziele ist das auch nicht von der Hand zu weisen.

Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden: Wer diese Ansage als die ambitionierteste im gesamten Regierungsprogramm bezeichnet, lehnt sich nicht wirklich weit aus dem Fenster – ganz anders als ÖVP und Grüne mit ebendieser Ankündigung. Das Ziel ist noch ein gutes Stück ehrgeiziger als die Pläne der EU, die bisher 2050 als Datum nennt. Und es bedeutet weitreichende Veränderungen in fast allen Lebensbereichen.

Konkretes soll erst Taskforce liefern

Möglich machen soll das unter anderem ein neues Klimaschutzgesetz. Es soll verbindliche Reduktionspfade bis 2040 und ebenso verbindliche Zwischenziele bis 2030 festlegen. Und es wird relativ schnell fertig sein müssen: Das bisher gültige Gesetz läuft noch heuer aus. Aber nicht überall wird ähnlich aufs Tempo gedrückt. Zwar enthält das Regierungsprogramm ein Bekenntnis zur „Kostenwahrheit bei den CO2-Emissionen“. Realität werden soll diese aber erst 2022. Und wie CO2 dann bepreist werden soll, ist ebenfalls noch offen. Ausloten soll das in den kommenden zwei Jahren eine „Taskforce ökosoziale Steuerreform“ unter Leitung von Umwelt- und Finanzministerium.

Überschriften, die erst mit konkretem Inhalt gefüllt werden müssen, finden sich im Hinblick auf den Klimaschutz auch an vielen anderen Orten. Das macht zum einen deutlich, dass sich die Thematik wie ein roter Faden durch das Regierungsprogramm zieht. Es zeugt zum anderen aber auch von der Größe der Brocken, die sich die Koalition in ihrem Programm vorgenommen hat – und die von Verkehr über Wohnen und Heizen bis hin zur Stromproduktion reichen.

Bei Transparenz auf weitere Partei angewiesen

Dabei gilt: Es werden vor allem die Grünen sein, die sich von ihren Wählerinnen und Wählern an der tatsächlichen Umsetzung messen lassen werden. Das trifft wohl auch für eine weitere Großaufgabe zu, die sich relativ weit vorne im Regierungsprogramm findet. Als Teil eines „Kontroll- und Transparenzpaketes“ haben sich ÖVP und Grüne auf die Abschaffung des Amtsgeheimnisses geeinigt.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler
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Kurz und Kogler stellten am Donnerstag ein 326 Seiten starkes Regierungsprogramm vor

Stattdessen soll es ein einklagbares Recht auf Informationsfreiheit geben. Das soll auch gegenüber öffentlichen Unternehmen – so sie nicht an der Börse sind – gelten. Außerdem soll eine „Pflicht zur aktiven Informationsveröffentlichung“ verankert werden – und zwar in der Verfassung. Das Stichwort Verfassung verweist dabei aber bereits auf eine nicht unwesentliche Hürde für das Vorhaben: ÖVP und Grüne brauchen für die Umsetzung ihrer Pläne die Stimmen von SPÖ oder FPÖ. Betreffen die Änderungen doch auch Gesetze im Verfassungsrang.

Wiederaufnahme von ÖVP-FPÖ-Projekten

Die Verfassung spielt freilich auch noch auf andere Weise in das Regierungsprogramm hinein: Von einem „verfassungskonformen Hafttatbestand (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit)“ ist etwa im Unterkapitel Asyl zu lesen. Dass die Grünen einer bereits unter der ÖVP-FPÖ-Regierung ventilierten Haft für potenzielle Gefährder ihre Zustimmung geben, mag viele doch überrascht haben.

Es ist nicht das einzige Projekt der Vorgängerregierung, das die ÖVP auch mit den Grünen umsetzen kann. Auch ein Gutteil der geplanten Steuerreform hat Eingang in das Regierungsprogramm gefunden – inklusive Senkung der Körperschaftssteuer von 25 auf 21 Prozent. Und der unter ÖVP und FPÖ eingeführte Familienbonus wird noch einmal ausgeweitet.

Zumindest geprüft werden soll die Wiederaufnahme eines Vorhabens, dem der Verfassungsgerichtshof (VfGH) erst vor Kurzem einen Riegel vorgeschoben hat: „Prüfung der Schaffung einer verfassungskonformen Regelung zur Überwachung unter anderem für verschlüsselte Nachrichten im Internet unter Berücksichtigung des VfGH-Entscheids vom Dezember 2019“, ist im Unterkapitel Cybersicherheit und Digitalisierung zu lesen.

Grafik zum Regierungsprogramm
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Vage und ausgeklammerte Themen

Ein anderes vom VfGH gekipptes Gesetz findet hingegen im Regierungsprogramm keine Erwähnung: Eine Antwort auf die Frage, wie es mit der Mindestsicherung weitergeht, sucht man vergebens. Offen bleibt auch, wie sich die Regierung die künftige Finanzierung der Pflege genau vorstellt. Klar ist nur, dass auch hier eine „Taskforce“ die Arbeit aufnehmen soll. Zur anstehenden Neuanschaffung von Abfangjägern für das Bundesheer haben ÖVP und Grüne vorerst ebenfalls nur ein allgemeines Bekenntnis zur Luftraumüberwachung festgeschrieben.

Vage bleiben auch die Ausführungen zum Pensionssystem, wo sich die künftige Koalition jedenfalls keine große Reform auf die Fahnen geschrieben hat. Das faktische solle an das gesetzliche Antrittsalter herangeführt werden, heißt es kursorisch. Dafür wird grundsätzlich festgehalten: „Das österreichische Pensionssystem zeichnet sich durch Sicherheit und Klarheit aus. Es gibt zwar immer wieder Adaptionsbedarf, aber wir brauchen keine grundlegende Neuausrichtung.“

In einem anderen Bereich scheint die Einigkeit auf potenziell wackeligeren Beinen zu stehen. Für den Fall einer neuerlichen Flüchtlingskrise wurde ein koalitionsfreier Raum vereinbart. Kommt es innerhalb der Koalition zu keiner Einigung über das weitere Vorgehen, könnte sich eine der beiden Parteien im Parlament einen anderen Partner für entsprechende Gesetze suchen. Dermaßen festgeschrieben hat das bisher noch keine Koalition.