ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler
ORF.at/Christian Öser
Pressestimmen

Ein Pakt mit zwei Handschriften

Lange hat Österreich auf eine Einigung zwischen ÖVP und Grüne warten müssen, etwas länger auf ein Regierungsprogramm. Im neuen Jahr ging es dann aber schnell, und die Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler stellten den ausverhandelten Pakt vor. Teils wurde er kritisiert, teils gelobt. Kommentatoren und Kommentatorinnen erwarten sich jedoch keinen „Paarlauf“ der künftigen Regierungsparteien.

Schon bei der Präsentation des Koalitionsvertrags betonte Kurz, dass es beiden Parteien gelungen sei, sich nicht auf „Minimalkompromisse“ herunter zu verhandeln. Es sei das „Beste aus beiden Welten“ vereint worden, man habe die zentralen Wahlversprechen der Parteien im Pakt eingehalten. Kogler sprach von „Kompromisslinien, die ungewöhnlich sind“, und sagte, dass „manche Bereiche eine türkise und andere wiederum eine grüne Handschrift“ tragen würden. Genauso sehen es Beobachter und Beobachterinnen der österreichischen Politlandschaft.

Für viele scheint das ein Novum zu sein: kein Kompromiss, der sich im ganzen Regierungsprogramm abzeichnet, sondern „Pflöcke“, die jede Partei für sich eingeschlagen hat, wie es die „Salzburger Nachrichten“ bezeichnete. Thomas Götz von der „Kleinen Zeitung“ beschrieb den ÖVP-Grünen-Pakt etwa als „neue Form des Kompromisses“. Kurz und Kogler hätten in „mühseligen Gesprächen einen Weg gefunden, der in Österreich noch nie begangen wurde“, so Götz. Jede Partei hätte ihren Part und ihre Aufgaben definiert.

„Ungewöhnlich stark abgezirkelt“

Ähnlich sehen es auch „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und „Kurier“-Chefredakteurin Martina Salomon in ihren Leitartikeln: ein Pakt mit zwei Handschriften. „Um sich gegenseitig nicht zu sehr in die Quere zu kommen, wurden die Bereiche ungewöhnlich stark abgezirkelt“, schrieb Salomon. Die Themen Migration und Entlastung gehörten der ÖVP, die Grünen punkteten hingegen beim Klimaschutz. „Sprengstoff“ berge diese „ungewöhnliche Konstellation“, aber auch die Chance, „ein internationales Vorzeigeprojekt zu sein“, so Salomon.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler
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ÖVP-Chef Kurz und Grünen-Bundessprecher Kogler präsentierten den Regierungspakt am Donnerstag

Für Nowak entspricht die nun vorliegende Übereinkunft zwischen ÖVP und Grünen einem „Programm einer alten Großen Koalition in ihren besseren Tagen“. Im Bereich Migration und Integration wolle man der FPÖ keinen Platz lassen, dafür gebe die ÖVP aber den Grünen Raum. „Statt eines ideologischen Bilds, eines großen Plans für den Marsch durch die Wüste gibt es viele Stationen eines nicht so ungemütlichen Wanderwegs“, schrieb der „Presse“-Chefredakteur.

„Kronen Zeitung“-Chefredakteur Klaus Herrmann erwartet sich angesichts des Programms auch keinen „Paarlauf“, wie es seiner Meinung nach bei Kurz und den Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache gewesen ist. „Es ist ein türkises Programm mit grünen Einsprengseln“, so Herrmann. Bei der ÖVP-FPÖ-Koalition sei es fast auf Augenhöhe gewesen, aber nun seien die Grünen Juniorpartner, und das sehe man eben im Übereinkommen. Die Grünen hätten aber auch einige „wichtige grüne Punkte“ einbringen können.

Koalitionsfreier Raum bietet Wahlmöglichkeit

Tatsächlich dürfte die ÖVP bei den Verhandlungen rund um die Bereiche Migration und Integration das Steuer in der Hand gehabt haben. Umgesetzt werden zahlreiche Vorhaben, die schon in der Koalition mit der FPÖ geplant waren, etwa ein Kopftuchverbot an Schulen bis 14 Jahren sowie eine Sicherungshaft für Gefährder, die Kogler als mit dem Europarecht vereinbar verteidigte. Im Asylbereich wurde sogar ein koalitionsfreier Raum eingezogen, nämlich für den Fall einer neuen Flüchtlingswelle. Da könnte sich eine der beiden Parteien für Maßnahmen auch andere Partner suchen.

Die Grünen feiern sich wegen des Klima- und des Transparenzkapitels. Bei Ersterem muss die Ökologisierung des Steuersystems erst erarbeitet werden, während die von ÖVP und FPÖ erarbeitete Tarifentlastung bereits fix dargestellt ist. Im Verkehrsbereich soll ein Österreich-Ticket etabliert werden, zwei Milliarden sollen in den Ausbau der „Öffis“ gesteckt werden. Abgeschafft, freilich mit Ausnahmen, wird das Amtsgeheimnis, Unternehmen sollen schon ab 25 Prozent Staatsanteil vom Rechnungshof geprüft werden dürfen.

Im Ausland wurde die künftige Regierungskonstellation als „politisches Experiment“ und „Zukunftsmodell für Europa“ bezeichnet. Für die deutsche „Zeit“ vereinen ÖVP und Grüne „die beiden wichtigsten Anliegen dieser Jahre: den Wunsch nach Sicherheit und den immer lauter werdenden Ruf nach ökologischer Erneuerung“. Angesichts der unterschiedlichen Prioritätensetzung gebe es jedoch das „Element der Unberechenbarkeit“, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb. „Sollten sich Einbrüche bei den Wählerumfragen abzeichnen, wird es mit der Harmonie rasch vorbei sein.“

Gernot Blümel (ÖVP) über das Regierungsprogramm

Gernot Blümel, einer der Chefverhandler der ÖVP, spricht über das mit den Grünen ausverhandelte Regierungsprogramm und dessen Inhalte.

Blümel: „Parteien sind sich entgegengekommen“

In der ZIB2 sagte der designierte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), dass seine Partei eben das im Regierungsprogramm umgesetzt habe, wofür sie gewählt wurde. Aber: „In beiden Parteien gibt es natürlich Bereiche, wo man sich entgegengenkommen ist“, sagte der ÖVP-Politiker. Manchmal sei es in den Verhandlungen „echt ruppig“ geworden, und man habe sich gefragt, ob eine Koalition zwischen ÖVP und Grünen überhaupt möglich sei. Am Ende sei es den Verhandlern und Verhandlerinnen allerdings gelungen.

Politstratege Lothar Lockl zu den Grünen

Politstratege Lothar Lockl spricht über die künftige Regierungsbeteiligung der Grünen und deren Anteil an dem vorgestellten Regierungsprogramm.

Dass die Grünen etwa bei einer „Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit“, die schon unter der ÖVP-FPÖ-Regierung geplant war, mitgehen werden, sei laut Lothar Lockl, Politstratege und ehemaliger Grünen-Generalsekretär ein „bitterer Wermutstropfen“, den die Partei ihren Funktionären erklären müsse. Auch er betonte, dass die Art und Weise, wie das Programm geschrieben wurde, neu sei. Es sei nicht in allen Punkten ein Kompromiss zu finden, sondern Standpunkte der Parteien.