Werner Kogler
ORF
Kogler zu ÖVP-Positionen

Sicherungshaft „juristisch sehr schwierig“

Mit dem deutlichen Votum des Bundeskongresses ist es seit Samstag fix – die Grünen koalieren mit der ÖVP. Doch das Unbehagen des Juniorpartners angesichts der vielen unterschiedlichen Positionen bleibt. Ein prominentes Beispiel für eine ÖVP-Position, die vielen Grünen Bauchweh bereitet, ist die präventive „Sicherungshaft“ für potenziell gefährliche Personen. Auch Parteichef Werner Kogler äußert Bedenken.

Für den grünen Bundessprecher und künftigen Vizekanzler ist die verfassungskonforme Umsetzung der Sicherungshaft „juristisch sehr schwierig“, wie er im Interview mit der ZIB2 am Sonntag sagte. Experten müssten sich anschauen, wie man das unter einen Hut bringen könne. Selbst die ÖVP spreche davon, „dass man Expertinnen und Experten einmal nachdenken lassen muss, ob und wie das möglich ist“, so Kogler.

Zum ÖVP-Argument, wonach auch andere EU-Länder eine Sicherungshaft hätten, verwies Kogler auf unterschiedliche Verfassungen. Es müsse nicht nur verfassungskonform, sondern auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und EU-Recht kompatibel sein. Und im Gegensatz zu der von Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl geplanten Form gehe es jetzt nicht um eine Präventivhaft aufgrund der Gesinnung, sondern die Sicherungshaft solle nur „aufgrund von Tatsachen“ verhängt werden können.

Kogler verteidigt Koalitionsabkommen

Werner Kogler verteidigt im ZIB2-Interview das Koalitionsabkommen und äußert sich zu einigen Punkten des Regierungsprogramms, bei denen ÖVP und Grüne durchaus weit auseinanderliegen.

Nulldefizit „im Krisenfall nicht halten“

Das vor allem von der ÖVP angestrebte Nulldefizit will der künftige Vizekanzler „im Krisenfall nicht halten“. Es gehe um ein ausgeglichenes Budget über den Konjunkturzyklus. Eine Anschaffung von Großwaffen für das Bundesheer sehe er nicht, so Kogler. Wenn es zum Ankauf von Abfangjägern komme, dann sei eine kostengünstige Lösung vereinbart.

Die Anschaffung von Hubschraubern hingegen stehe außer Frage. Im Infrastrukturbereich hänge der Ausbau von Straßen vom Verlauf der Verfahren und die Prioritätenreihung von der Finanzierung ab. Er werde jedenfalls darauf drängen, dass Schienenprojekte vorgezogen werden, betonte Kogler.

Kurz verteidigt Koalition – FPÖ übt Kritik

Während davor der frühere und künftige Kanzler, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, in den Sonntag-Ausgaben diverser Zeitungen das Übereinkommen mit den Grünen verteidigte, verschärfte der frühere Regierungspartner FPÖ seine Kritik weiter. FPÖ-Klubchef Kickl kritisierte, Kogler mache in Sachen Sicherungshaft „die Rolle rückwärts“, und die ÖVP betreibe „Wählerpflanzerei“. Parteiobmann Norbert Hofer sagte am Wochenende, diese „experimentelle Bundesregierung“ bringe einen Linksruck und gefährde die Sicherheit.

Am Sonntag appellierte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker gar an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die von den Grünen als Justizministerin vorgeschlagene Alma Zadic nicht anzugeloben. Hafenecker schrieb in einer Aussendung, dass Zadic erstinstanzlich verurteilt sei. Auf der anderen Seite habe der Bundespräsident den unbescholtenen Kickl als Minister ausgeschlossen. Van der Bellen solle nicht mit zweierlei Maß messen.

FPÖ fordert „streng objektive Kriterien“

„Der Bundespräsident wäre gut beraten, in dieser Frage nochmals in sich zu gehen, eine unabhängige und überparteiliche Vorgehensweise zu gewährleisten und Zadic nicht anzugeloben“, so Hafenecker. „Ich kann die Sympathien von Van der Bellen für seine grünen Parteifreunde menschlich nachvollziehen, aber bei einer Entscheidung mit einer solchen Tragweite für die Republik muss die persönliche Einstellung hintangehalten und nach streng objektiven Kriterien entschieden werden“, so Hafenecker.

Zadic war im November 2019 vom Wiener Straflandesgericht wegen übler Nachrede zu einer Entschädigungszahlung von 700 Euro verurteilt worden. Sie meldete dagegen Berufung an, das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sie hatte auf Twitter Fotos eines Burschenschafters geteilt, der Donnerstagsdemonstranten vom Fenster aus den Hitlergruß gezeigt haben soll. Sie kommentierte das Bild mit „Keine Toleranz für Neonazis, Faschisten und Rassisten“.

In Sozialen Netzwerken war Zadic zuletzt wegen ihrer bosnischen Herkunft und ihres angeblichen muslimischen Glaubens zum Teil heftigen Hasspostings ausgesetzt. Seitens der Wiener FPÖ wurde gemutmaßt, dass Zadic zur Ministerin gemacht wird, weil sie Muslima sei. Allerdings ist Zadic, wie von den Grünen am Sonntag erneut betont wurde, ohne religiöses Bekenntnis.

SPÖ vermisst „sozialen Ausgleich“

Kritik, wenn auch deutlich verhaltener, kam auch von SPÖ und NEOS: Nach Ansicht von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner haben die Grünen bei ihrem Bundeskongress „einem ÖVP-Regierungsprogramm mit grüner Tarnfarbe zugestimmt“. Türkis-Grün sei „ein Wagnis zulasten des sozialen Ausgleichs“. Leuchtturmprojekte für mehr soziale Gerechtigkeit, wie etwa eine Millionärsabgabe, die Verlängerung des Spitzensteuersatzes sowie die Bekämpfung der Kinderarmut seien „dem übermächtigen Koalitionspartner ÖVP zum Opfer gefallen“, sagte Rendi-Wagner.

NEOS sieht im Abstimmungsergebnis der Grünen einen „großen Auftrag“ für die grünen Minister: „Sie sind gefordert, im Handeln der kommenden Regierung auf die Rechtsstaatlichkeit zu achten und vor allem die vielen Absichtserklärungen im Programm rasch mit Leben zu erfüllen“, sagte NEOS-Generalsekretär Nikola Donig. Die Ansage vieler Grüner, die FPÖ in der Regierung verhindert zu haben, sei als Hauptzweck einer künftigen Koalition „mit Sicherheit zu wenig“.

Leonore Gewessler
APA/Barbara Gindl
Gewessler, ehemalige Chefin der Umweltorganisation Global 2000, hat bei den Grünen große Verantwortung

Gewessler guten Mutes

Hoch ist die Erwartung an die grüne Regierungsriege auch aus den eigenen Reihen – 99,25 Prozent der Delegierten beim Bundeskongress stimmten für das Team. Vor allem werden die Augen auf Leonore Gewessler gerichtet sein, die nicht nur das Verkehrsministerium übernimmt, sondern in ihrem als „Superministerium“ bezeichneten Ressort auch die Agenden Umwelt und Klimaschutz. Kritik der letzten Tage, wonach der Plan für eine ökosoziale Steuerreform im Koalitionsabkommen eher vage ist, widersprach Gewessler im Ö1-Sonntagsjournal entschieden – Audio dazu in oe1.ORF.at.

„Ich glaube, dass das Regierungsprogramm genau in diesem Punkt relativ klar ist“, sagte Gewessler. Die Steuerreform komme in zwei Schritten, Anfang 2021 werde eine Reihe von ökosozialen steuerlichen Maßnahmen umgesetzt. Schritt zwei ab 2022 sehe eine CO2-Bepreisung vor, „die auch wirksam ist und eine Steuerungswirkung hat, die will gut vorbereitet werden, und deswegen werden wir da rasch ins Arbeiten kommen in einer Taskforce“, so Gewessler in Ö1.

Dass die Landwirtschaft als zentrales Klimaschutzthema nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle, sei verkraftbar, so Gewessler: „Ich bin mir sicher, Elisabeth Köstinger (künftige Landwirtschaftsministerin, ÖVP; Anm.) und ich werden da eine gute Zusammenarbeit finden, um gemeinsam dem Klimawandel effektiv zu begegnen.“

Kurz: „Selbstverständlich ohne neue Schulden“

Kurz wiederum wies in diversen Interviews die Einwände der Opposition und von Wirtschaftsexperten zurück, dass sich die vereinbarten Mehrausgaben nicht mit dem angepeilten Nulldefizit vereinbaren ließen. Das sei auch bei der letzten Regierung behauptet worden, und dann habe man es doch erreicht. „Wir wissen genau, was wir uns vorgenommen haben, nämlich eine Senkung der Steuerlast und die Ökologisierung des Steuersystems, gleichzeitig Investitionen in den öffentlichen Verkehr und Umweltmaßnahmen. Wenn wir sorgsam mit Steuergeld umgehen und eine stabile Wirtschaft haben, ist das selbstverständlich ohne neue Schulden möglich.“