Szenenfoto von Fidelio Urfassung (Leonore)
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Staatsoper

Vor „Fidelio“ kam „Leonore“

Im Jubiläumsjahr zu Beethovens 250. Geburtstag feiert auch Otto Schenks „Fidelio“-Inszenierung ihren rekordverdächtigen 50. Geburtstag im Staatsopernrepertoire. Zu Ehren des Komponisten stellt man ihr dort nun die Neuinszenierung der Urfassung „Leonore“ an die Seite. Regisseurin Amelie Niermeyer erzählt im ORF.at-Interview, warum Beethovens Freiheitsutopie immer aktueller wird – und warum man sie deshalb bei ihr nicht im klassischen Kerker sehen wird.

Beethovens einzige Oper „Fidelio“ hat für die Wiener Staatsoper historisch eine besondere Bedeutung, wurde mit ihr doch auch die Eröffnung des Hauses nach dem Wiederaufbau 1955 gefeiert. Noch nie im Haus am Ring zu sehen war hingegen die erste Fassung des Werks, das am Samstag unter der musikalischen Leitung von Tomas Netopil mit dem Titel „Fidelio Urfassung (Leonore)“ Premiere feiern wird.

Bei der Uraufführung 1805 im Theater an der Wien hielt sich der Erfolg dieser Version stark in Grenzen. Auch Beethoven war unzufrieden und verpasste dem Werk eine Generalüberholung: Sowohl inhaltlich als auch musikalisch gestrafft, gekürzt und von drei Akten auf zwei umgearbeitet, wurde der heute bekannte „Fidelio“ erst 1814 uraufgeführt.

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Szenenfoto von Fidelio Urfassung (Leonore)
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Als Leonore gibt Jennifer Davis ihr Debüt an der Wiener Staatsoper und gleichzeitig ihr weltweites Debüt in dieser Partie. Ihr zur Seite steht die deutsche Film- und Theaterschauspielerin Katrin Röver als Leonores innere Stimme.
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Eine Bahnhofshalle aus den 1920er Jahren dient in der Staatsoperninszenierung als Gefängnisaußenstelle
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Gouverneur Pizarro (Thomas Johannes Mayer) will Leonores Mann Florestan verschwinden lassen
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Nur ein Traum: Ein Happy End zwischen Florestan (Benjamin Bruns) und Leonore (Röver) wird es an der Staatsoper nicht geben
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Kerkermeister Rocco (Falk Struckmann) verwehrt der als Fidelio verkleideten Leonore (Davis) den Zugang zu Florestan
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Leonore (Röver) wird erst auf der Suche nach ihrem Mann zur politischen Aktivistin

Aktuell, aber nicht konkret verortet

Die beiden Werke seien, vor allem musikalisch, sehr unterschiedlich, analysiert Niermeyer gegenüber ORF.at – die Handlung bleibe aber fast dieselbe: Leonore schleust sich als Fidelio verkleidet im Gefängnis ein, um ihren Mann Florestan zu finden, den sie dort als politischen Gefangenen vermutet. „Das Grundanliegen Beethovens“ sei aber in den beiden Fassungen sehr ähnlich, so die Regisseurin, für die die Inszenierung nun schon die zweite berufliche Begegnung mit dieser Oper ist.

Seit ihrer ersten Inszenierung von „Fidelio“ vor zwölf Jahren an der Deutschen Oper am Rhein habe sich viel verändert – „die politische Dimension der Oper ist heute wesentlich größer“, so Niermeyer. „Politische Gefangene gibt es nun auch in Europa. Die Presse- und Meinungsfreiheit wird immer weiter eingeschränkt durch den sich ausbreitenden Populismus – diese Gefahren müssen aufgezeigt werden.“ Mit Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau und Kostümbildnerin Annelies Vanlaere erfindet die Regisseurin eine zeitgenössische Welt der „Leonore“, die aber absichtlich nicht geografisch verortet ist.

Eine Bahnhofshalle als Ausweichgefängnis

Statt in einem klassischen Kerker wird Leonore ihren Mann Florestan in einer Bahnhofshalle suchen. Gerade in autoritären Systemen seien Gefängnisse oft überfüllt, „man sucht Ersatzorte wie Stadthallen, Turnhallen oder eben eine Bahnhofshalle zur Unterbringung von Gefangenen. Unsere Bahnhofshalle ist aus den 20ern – ein öffentlicher Ortm der umfunktioniert wurde und dadurch zeitlos wirkt.“

Von Schenks „Fidelio“ wird sich Niermeyers „Leonore“ jedenfalls naturgemäß stark unterscheiden. „Otto Schenk empfindet seine Inszenierung auch als sehr alt“, weiß Niermeyer, die mit Schenk erst im Dezember an der Josefstadt arbeitete, wo er in ihrer Inszenierung von Anton Tschechows „Kirschgarten“ zu sehen war. Ausgetauscht hätten sich die beiden Regisseure natürlich – ohne gegenseitige Kritik oder wohlmeinende Ratschläge, „mehr in Freundschaft“.

Hinweis

„Leonore“ ist an der Staatsoper am 1., 5., 8., 11. und 14. Februar zu sehen. Die Premiere am 1. Februar ist live in Ö1 zu hören – mehr dazu in oe1.ORF.at.

Die doppelte Leonore

Ein zentrales Anliegen war es Niermeyer, die Texte zu ändern – „die werden zu Recht kritisiert, weil sie einfach nicht die Qualität haben, die die Musik hat“. Tatsächlich werden die Dialoge von Regisseurinnen und Regisseuren gerne extrem gekürzt. Frei nach Beethoven, der anlässlich einer Aufführung der Oper in Prag schrieb: „Macht mit dem Text, was ihr wollt“, erarbeitete Moritz Rinke für Wien nun eine neue Textfassung, die sich auf einen „inneren Dialog der Leonore“ fokussiert. „Sie redet mit sich selber, ihre eigenen Zweifel und die Beweggründe ihres Handelns stellt sie infrage und versucht ihrer großen Utopie zu folgen.“

Neben der irischen Sopranistin Jennifer Davis, die ihr Rollen- und Hausdebüt gibt, wird Schauspielerin Katrin Röver als zweite Leonore und Dialogpartnerin zu sehen sein. „Leonore wird anfangs aus privaten Gründen zur Kämpferin. Ihr Mann ist verschwunden, und sie sagt: Mir ist alles egal, ich will meinen Mann finden. Ich brauche nicht gleich die ganze Welt zu retten“, so Niermeyer.

Auch Marzelline hat ausgebügelt

„Auf diesem Weg wird ihr klar, dass es nicht ausreicht, nur ihren Mann zu retten“, plötzlich gehe es um ein System, das Leonore verändern wolle. „Sie verändert sich immer mehr hin zu einer politischen Kämpferin.“ Ein Frauenbild zu zeigen, wie man es aus alten Inszenierungen kennt – Stichwort „bügelnde Marzelline“, wie man die Tochter des Kerkermeisters in der Repertoire-Inszenierung sieht –, ist für Niermeyer keine Option.

Auch dem Happy End der Oper traut Niermeyer nicht ganz – „weil’s so plötzlich und unerwartet mit dem Auftritt des Ministers daherkommt. Auch musikalisch setzt Beethoven in beiden Fassungen einen großen Bruch. Leider lässt sich die Welt mit Liebe allein nicht so schnell verändern. Chorjubel und die Feier der „Retterin des Gatten“ fallen deshalb aber nicht aus – denn „Beethovens Idee, sein Anliegen – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – finde ich nach wie vor hoch aktuell“, sagt Niermeyer. „Der Schluss wird deshalb Leonores Utopie, ihr Traum von einer anderen Welt sein – während sie stirbt.“