Plakat zum EU-Austritt in Dover
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Briten verlassen EU

Riesiger Abschiedsgruß von Brexit-Gegnern

Des einen Leid, des anderen Freud: Der Abschied von Großbritannien aus der EU um Mitternacht hat am Freitag unterschiedliche Aktionen hervorgerufen. So haben etwa Brexit-Gegner in der britischen Hafenstadt Dover ein riesiges Banner mit der Aufschrift „We still love EU“ („Wir lieben die EU noch immer“) installiert.

Der Organisator und scheidende EU-Parlamentarier Antony Hook veröffentlichte auf Twitter eine Drohnenaufnahme, auf der das knapp 150 Quadratmeter große Transparent oberhalb der berühmten Klippen von Dover zu sehen war. Das „love“ war dabei durch eine britische Nationalflagge in Herzform stilisiert.

Das Banner sei unter anderem „für diejenigen, die unsere Beziehung zur EU wertschätzen“, sowie für die drei Millionen EU-Bürger, die in Großbritannien zu Hause seien, erklärte Hook. Demnach haben sich mehr als 800 Menschen an einer Crowdfunding-Kampagne beteiligt, um das Geld für die Aktion zusammenzubekommen.

Plakat zum EU-Austritt in Dover
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Das Banner wurde auf den Klippen von Dover angebracht

Londoner Bürgermeister: Ihr seid hier willkommen

Gekostet hat sie laut Kampagnenwebseite mehr als 10.000 britische Pfund (rund 11.900 Euro). Mit der Aktion solle die wichtige Botschaft an die Welt gesendet werden, dass Großbritannien nicht nur das Land von Brexit-Befürwortern wie Nigel Farage und Premierminister Boris Johnson sei. Dover liegt direkt am Ärmelkanal. Vom Hafen der Stadt fahren regelmäßig Fähren in die EU-Länder Frankreich und Belgien.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan sicherte den Europäern und Europäerinnen in seiner Stadt seine Unterstützung zu. „An die eine Million EU-Bürger, die so viel beitragen zu unserer Stadt: Ihr seid Londoner, ihr seid hier willkommen. Und das wird sich niemals ändern“, schrieb Khan Freitagfrüh auf Twitter. Großbritannien verlasse zwar die EU. London bleibe aber weiter „ein Leuchtturm für fortschrittliche Ideen, liberale Werte, Anstand und Vielfalt“.

Queen erlebt Brexit in Sandringham

Der Chef der Brexit Party, Farage, gab sich am Freitag ausgelassen und zufrieden. Der Brexit sei „ein großer Sieg des Volkes gegen das Establishment“, twitterte er in der Früh. „Endlich kommt der Tag, an dem wir uns befreien.“

Die britische Königin Elizabeth II. wird indes den Moment des EU-Austritts ihres Landes auf ihrem Landsitz Sandringham erleben. Auf dem Anwesen in der Grafschaft Norfolk verbringt die Queen derzeit ihre jährliche Winterauszeit. Ein offizielles Statement an die Nation ist nicht vorgesehen – die Monarchin mischt sich in der Regel generell nicht in politische Angelegenheiten ein.

Brexit-Partei-Abgeordnete feiern „Brexodus“ aus Brüssel

Die EU-Abgeordneten der Brexit-Partei hingegen feierten ihren „Brexodus“ aus Brüssel. Gemeinsam marschierten die Parlamentarier Freitagfrüh mit ihren Rollkoffern vom Europaparlament zum nahen Bahnhof am Place du Luxembourg im Europaviertel der belgischen Hauptstadt.

Brexit-Partei feiert EU-Ausstieg

Die EU-Abgeordneten der Brexit-Partei haben am Freitag ihren Auszug aus dem EU-Parlament gefeiert. Endlich sei Großbritannien wieder frei, so der Tenor. (Videoquelle: EBU/APF)

„Heute ist der Tag, an dem Großbritannien nach mehr als 40 Jahren wieder frei wird“, sagte die Abgeordnete Ann Widdecombe in einer kurzen Ansprache. „Heute feiern wir den Anfang unserer Unabhängigkeit, unserer Möglichkeiten, unsere eigenen Gesetze, unsere eigenen Handelsabkommen, unsere eigenen Grenzen zu kontrollieren. Und wir glauben, dass Großbritannien frohlockend in die Zukunft schreiten kann.“ Ihr Land könne nun „vorwärtsgehen“ und eigenständig sein. „Unsere Pflicht ist erfüllt!“, rief die 72-Jährige, die erst seit der Wahl im Mai 2019 im EU-Parlament saß, unter „Yeah“-Rufen ihrer Kollegen und Kolleginnen.

Was werden die kommenden Monate bringen?

Die Briten gehen – aber die offenen Fragen bleiben. Was bedeutet das für die kommenden Monate? Verena Gleitsmann berichtet aus London, Veronika Fillitz aus Brüssel.

Großbritannien war mit insgesamt 73 Abgeordneten im Europaparlament vertreten. Mit dem Brexit in der Nacht zum Samstag verlieren sie ihr Mandat. Ein Großteil der Abgeordneten gehört EU-freundlichen Parteien an, die den Austritt des Landes bedauern.

Schottland: Trauer über Brexit „mit Wut gefärbt“

Die schottische Regierung will nun die Stimmung gegen den Brexit in Schottland für die Unabhängigkeit nutzen. Die Trauer über den Brexit sei in Schottland „mit Wut gefärbt“, so die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon. Ein unabhängiges Schottland hätte eine „andere, bessere“ Zukunft vor sich, sagte die Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP). „Unsere Aufgabe ist es, eine Mehrheit der Menschen in Schottland davon zu überzeugen“, so Sturgeon mit dem Blick auf ein mögliches Unabhängigkeitsreferendum.

Vorerst ändert sich nicht viel

Nach unzähligen Diskussionen, Verhandlungen, Verschiebungen und auch Streits ist es so weit: Um Punkt Mitternacht wird der Brexit vollzogen. Ändern wird sich vorerst aber trotzdem nicht viel.

Erzwingen kann Sturgeon ein Referendum aber nicht, sie braucht die Zustimmung Londons. Dass die Zentralregierung den Schotten ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum verwehre, sei kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche, sagte Sturgeon dazu am Freitag.

EU-Spitzen: Neue Stärke und Einigkeit

Die EU-Spitzen boten Großbritannien indes zum Abschied am Freitag eine enge Partnerschaft an. Klar sei aber, dass Großbritannien Vorteile der Mitgliedschaft in der EU verlieren werde, schrieben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Parlamentspräsident David Sassoli in einer am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung.

Britische Zeitungscovers am 31. Jänner 2020
Reuters/Simon Dawson
Ein Blick über die Titelseiten britischer Zeitungen am Brexit-Tag

Gleichzeitig sprachen sie von neuer Stärke und Einigkeit der EU. Auch für Europa werde mit dem Brexit eine neue Zeit anbrechen, schrieben die drei Präsidenten. „In den letzten Jahren sind wir enger zusammengewachsen – als Nationen, als Institutionen und als Menschen.“ Allen sei wieder bewusst geworden, dass die EU mehr sei als ein Markt oder eine Wirtschaftsmacht. Man vertrete gemeinsame Werte und sei zusammen einfach stärker. Die Botschaft setzte die EU am Freitag auch in einem auf Twitter veröffentlichten Werbefilm zum Brexit um.

Brexit leicht verständlich

Der ORF Teletext bietet zum Austritt Großbritanniens aus der EU eine Brexit-Spezial-Ausgabe in Leichter Sprache. Ab Seite 570 und 580 und auch online werden die Geschehnisse der vergangenen Jahre in den Sprachstufen B1 und A2 leicht verständlich und übersichtlich erklärt. Die Meldungen sind dabei in kurzen Sätzen verfasst, auf schwierige Wörter wird nach Möglichkeit verzichtet, oder diese werden in einer Ergänzung erklärt – die Meldungen dazu in teletext.ORF.at (B1) und in teletext.ORF.at (A2).

Gleiche Wettbewerbsbedingungen eingefordert

Die Präsidentin und die zwei Präsidenten bekräftigten die EU-Position vor den bevorstehenden Verhandlungen mit London. Mit gutem Willen werde man eine „dauerhafte, positive und sinnvolle Partnerschaft“ aufbauen können. Aber: „Ohne gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Umwelt, Arbeit, Steuern und staatlichen Beihilfen kann es keinen qualitativ uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt geben. Die Vorteile der Mitgliedschaft sind nur als Mitglied zu haben.“

Nach dem EU-Austritt Großbritanniens sollen in etwa vier Wochen Verhandlungen über die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen beginnen. Zur Klärung hat man nach jetzigem Stand bis zum Jahresende Zeit. So lange gilt laut Brexit-Vertrag eine Übergangsfrist, in der sich im Alltag, beim Handel und beim Reisen nichts ändert. Denn vorerst bleibt Großbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion.

Dublin will harten Kurs bei Gesprächen

Die Regierung in Dublin will bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen Brüssel und London einen harten Kurs fahren. Das sagte der irische Premierminister Leo Varadkar dem Rundfunksender RTE. Hart will er vor allem auch beim Thema Fischerei bleiben, wie der irische Regierungschef, der sich in der kommenden Woche einer Neuwahl stellt, sagte.

In Österreich plädiert man für gute und enge Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien. Bundespräsident Alexander Van der Bellen schrieb auf Twitter: „Wir müssen nun alles tun, dass es zu dauerhaft stabilen, freundschaftlichen und guten Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union kommt. Sowohl wirtschaftlich aber auch menschlich.“ Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schrieb auf Twitter: „Je enger wir in Zukunft zusammenarbeiten, desto besser für uns alle.“ Es sei wichtig, den bilateralen Kontakt aufrechtzuerhalten und die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU zu sichern.