Die britische Fahne wird in Brüssel entfernt
AP/Olivier Hoslet
Zukunft unklar

Nach dem Brexit ist vor den Verhandlungen

Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist seit Mitternacht endgültig Faktum. Geregelt sind die Beziehungen zwischen dem Königreich und dem Staatenbund aber noch lange nicht. Nach dem Brexit zeichnen sich für die kommenden Monate harte Verhandlungen ab.

Bis Ende des Jahres bleiben Großbritannien und die EU noch in einer Übergangsphase, während der sich praktisch kaum etwas ändert. Bis zum 31. Dezember „ergeben sich für die Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, Unternehmen, Investoren, Studenten und Forscher in der EU und im Vereinigten Königreich keine Änderungen“, hieß es von der Kommission. Damit haben beide Seiten nun elf Monate Zeit für eine Einigung. Ansonsten droht erneut ein harter Bruch. Die Frist ist allerdings sehr knapp bemessen. Eine Verlängerungsoption, die noch bis Juli offensteht, lehnt Premierminister Boris Johnson kategorisch ab.

Ob in dieser Zeit ein Abkommen erreicht werden kann, ist fraglich, zumal sich beide Seiten hart geben. „Wir werden sehr fair verhandeln, aber sehr hart“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitagabend dem ZDF. Die EU habe eine gute Ausgangsposition, weil sie bisher Absatzmarkt für fast die Hälfte aller britischen Exporte sei. Großbritannien habe großes Interesse am Zugang zu diesem Markt.

„Keine Rosinenpickerei“

Von der Leyen stellte auch klar, dass die EU alle strittigen Punkte bei den künftigen Beziehungen ausschließlich im Ganzen vereinbaren will. Dazu gehören nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern zum Beispiel auch Fischereirechte oder die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. „Erst wenn alles durchverhandelt ist, machen wir den Sack zu und eine Unterschrift darunter, es gibt keine Rosinenpickerei vorher.“ In einigen Punkten sei die EU ganz klar im Vorteil, etwa beim Finanzsektor. Unterm Strich sei die EU in einer sehr starken Position.

Das EU-Ratsgebäude in Brüssel
Reuters/Yves Herman
Die Briten haben seit Samstag keinen Sitz mehr in den EU-Gremien

Johnson will mit der EU ein Freihandelsabkommen nach dem Vorbild Kanadas aushandeln und damit die Notwendigkeit von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen weitgehend eliminieren. Doch Brüssel verlangt im Gegenzug einheitliche Standards für Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und staatliche Wirtschaftshilfen. Das kommt für Johnson nicht infrage. Souveränität steht über reibungslosem Handel, so lautet nach Angaben des „Telegraph“ das Credo des Premierministers. Am Montag will er sich in einer Rede zu seinen Verhandlungszielen äußern. Auch die EU-Kommission will dann ihre Vorschläge für ein Verhandlungsmandat vorlegen.

Mayer-Bohusch (ORF) über die Wirtschaft nach dem Brexit

Andreas Mayer-Bohusch (ORF) spricht über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits und die Übergangsfrist.

„Wenn wir am Ende des Jahres keinen Vertrag fertig haben, dann wird es für die britische Wirtschaft sehr schwer, ihre Waren rüber zu liefern, zu uns zum europäischen Markt“, warnte von der Leyen im Gespräch mit der dpa in Brüssel. Dann wäre Großbritannien nur „wie irgendein Drittland“. Ob Europa während der Verhandlungen zusammenhalte, liege nur an den Europäern selbst, sagte von der Leyen. „Europa ist nur so stark, wie wir es selber machen, und das ist eine Aufgabe, die ich für mich selber annehme.“

Johnson soll strenge Zollkontrollen planen

Allerdings dürfte auch europäischen Unternehmen ein Scheitern der Gespräche teuer zu stehen kommen. Wie der „Telegraph“ berichtete, plant die britische Regierung nun doch, EU-Waren vor der Einfuhr nach Großbritannien streng zu kontrollieren, sollte kein Abkommen zustande kommen.

„Wir planen vollständige Kontrollen auf alle EU-Importe – Zollerklärungen, Sicherheitsangaben, Kontrollen zur Tiergesundheit, und alle Supermarktwaren werden durch Grenzkontrollstellen gehen müssen“, zitierte die Zeitung ein ranghohes Regierungsmitglied. „Das wird die Herausforderung an der Grenze im Jänner 2021 praktisch verdoppeln“, hieß es weiter.

Ansicht des Hafens von Dover
Reuters/Peter Nicholls
Sollte es zu keiner Einigung kommen, könnten an den britischen Grenzen strenge Kontrollen drohen

Die Ankündigung sei eine radikale Abkehr von den Planungen vor der britischen Parlamentswahl vom Dezember 2019. Damals habe ein reibungsloser Warenhandel von der EU nach Großbritannien noch Priorität für Johnson gehabt, schreibt das Blatt. Bisher hatte es immer geheißen, Großbritannien werde selbst im Fall eines „No Deal“ auf Kontrollen verzichten, um Verzögerungen in der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu vermeiden.

EU-Vertretung nun Botschaft

Sichtbar wurde der Austritt Großbritanniens aus der EU bereits bei den diplomatischen Einrichtungen. An der britischen Vertretung bei der EU – seit dem Austritt Großbritanniens nun offiziell Botschaft eines Drittstaats – wehte schon am Freitagnachmittag keine EU-Fahne mehr.

Internationale Reaktionen auf den Brexit

Viele Staats- und Regierungschefs haben sich rund um den Brexit zu Wort gemeldet. Viele bedauern den Austritt der Briten und hoffen auf eine weitere gute Zusammenarbeit.

Durch den Brexit wurde auch die bisherige EU-Vertretung in London offiziell zur Botschaft. Sie nehme bereits an diesem Samstag in dieser Funktion ihre Arbeit auf, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der neue Botschafter Joao Vale de Almeida werde sich unermüdlich für eine reibungslose Zusammenarbeit mit Großbritannien einsetzen, versicherte Borrell. Die Botschaft werde auch eine große Rolle bei der Umsetzung des mit Großbritannien geschlossenen Austrittsabkommens spielen.