Arbeiter mit gesichtsmaske in der Börse von Shanghai
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Coronavirus

620 Mrd. Euro an Chinas Börsen „vernichtet“

Die drastischen Maßnahmen in China gegen das Coronavirus setzen nun den chinesischen Börsen zu: Durch einen Kursrutsch wurden am ersten Tag nach den verlängerten Neujahrsferien am Montag rund 620 Milliarden Euro „vernichtet“. Die Schanghaier Börse meldete am Montag einen Kursrutsch um 7,72 Prozent und verlor damit innerhalb eines Handelstages allein 2,8 Billionen Yuan an Wert, umgerechnet etwa 360 Milliarden Euro.

Der zweite Aktienmarkt des Landes im südchinesischen Shenzhen brach um 8,45 Prozent ein, was einen Verlust von zwei Billionen Yuan (260 Mrd. Euro) bedeutete. Die Verluste waren so groß wie seit der Börsenkrise 2015 in China nicht mehr. Viele Aktien fielen gleich zu Beginn um die zehn Prozent, die als Handelslimit festgelegt sind.

Um Panik zu verhindern, hatte Chinas Regierung vorher noch demonstrativ versucht, das Finanzsystem zu stärken und die Auswirkungen der Epidemie abzufedern – unter anderem mit einer ungewöhnlich hohen Geldspritze. Die Zentralbank stellte den Geschäftsbanken 1,2 Billionen Yuan (rund 156 Mrd. Euro) Liquidität zur Verfügung. Es fielen aber nicht nur die Aktienkurse, sondern auch die chinesische Währung: Der Yuan-Kurs sank gegenüber dem Dollar um 1,5 Prozent.

Experte warnt: Kein rascher Umschwung

Fachleute sprachen bei dem Börseneinbruch von einem Nachholeffekt, da die chinesischen Aktienmärkte wegen des Neujahrsfestes die gesamte vergangene Woche geschlossen waren und auf den Ausbruch des Coronavirus nicht reagieren konnten. Positiv werteten sie die Geldspritze der chinesischen Notenbank zur Stützung von Börsen und Wirtschaft.

Ein rascher Stimmungsumschwung sei aber nicht in Sicht, warnte Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. „Es ist noch immer schwierig einzuschätzen, wie weit sich das Virus ausbreiten und welche wirtschaftlichen Folgen eine Epidemie schlussendlich haben wird.“ Commerzbank-Analyst Hao Zhou prognostizierte allerdings, dass auf eine deutliche Abschwächung des chinesischen Wachstums eine rasche Erholung folge.

Chinesische Notenbank: Irrationale Faktoren

Die chinesische Notenbank betonte, die Folgen der Epidemie auf Chinas Wirtschaft sollten nur begrenzt und temporär sein. Die Finanzmärkte würden sich langfristig wieder normalisieren, heißt es in einem Kommentar der „Financial News“. Die gesunde langfristige wirtschaftliche Basis werde durch den Ausbruch des Virus nicht verändert.

Die Aktienmärkte seien wegen einiger irrationaler Faktoren eingebrochen, heißt es weiter. Als Beispiel werden durch einen „Herdentrieb“ ausgelöste Panikverkäufe genannt. Ökonomen des Bankhauses Citigroup revidierten indes die Gesamtjahresprognose für Chinas BIP-Wachstum auf 5,5 Prozent von zuvor 5,8 Prozent.

Unterdessen setzen die Austrian Airlines aufgrund des Coronavirus die China-Flüge zumindest bis zum 28. Februar aus. Zunächst waren sie bis zum 9. Februar gecancelt worden, hieß es in einer Aussendung der Lufthansa Group am Montag – mehr dazu in wien.ORF.at.

Provisorisches Krankenhaus in Wuhan (China)
Reuters/China Daily CDIC
In Wuhan, wo das Coronavirus erstmals aufgetreten ist, geht am Montag das neue Krankenhaus für Coronavirus-Patienten in Betrieb, das in nur acht Tagen gebaut worden ist

Chinesische Führung: Fehler und Schwierigkeiten

Chinas Führung räumte am Montag „Fehler“ im Umgang mit der Coronavirus-Epidemie ein. Der Ständige Ausschuss des Politbüros der regierenden Kommunistischen Partei erklärte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, die Reaktion auf die Coronavirus-Epidemie habe „Fehler und Schwierigkeiten“ beim nationalen Notfallmanagement offengelegt. Das System müsse daher verbessert werden. Der Ständige Ausschuss forderte außerdem eine verstärkte Überwachung von Märkten. Der illegale Handel mit Wildtieren müsse streng verboten werden, die Behörden müssten hart dagegen vorgehen.

Es wird vermutet, dass der Erreger der Lungenkrankheit auf einem Markt in der zentralchinesischen Stadt Wuhan von einem Wildtier auf den Menschen übergegangen ist. Auf dem mittlerweile geschlossenen Markt wurden außer Meeresfrüchten und Geflügel auch Tiere wie Krokodile, Schlangen und Füchse angeboten.

Staatschef Xi Jinping sagte bei der Sitzung des Politbüros, eine Eindämmung der Coronavirus-Epidemie werde einen „direkten Einfluss“ auf die wirtschaftliche und soziale Stabilität Chinas „und auch auf Chinas Öffnung“ haben. Angesichts der rasanten Ausbreitung des Erregers hat in China die Wut auf die Behörden immer mehr zugenommen. Vor allem den Behörden in Wuhan wurde vorgeworfen, Informationen zu dem Virus zu lange zurückgehalten zu haben.

Mehr Tote in China als bei SARS

Unterdessen wurde erneut ein Rekord bei Infektionen und Todesfällen bekanntgegeben. Die Gesundheitskommission in Peking meldete am Montag den bisher stärksten Anstieg innerhalb eines Tages. Erneut starben 57 Menschen an der Erkrankung. Damit stieg die Gesamtzahl auf 361 Tote – mehr als es durch das Schwere Akute Atemwegssyndrom (SARS) 2002/2003 in China gegeben hatte. Weltweit waren damals 774 Tote zu beklagen gewesen.

Karte von Italien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Die Zahl der bestätigten Infektionen in China kletterte sprunghaft um 2.829 auf 17.205 Fälle. Die Gesundheitskommission sprach zudem von mehr als 20.000 Verdachtsfällen. Zudem teilte China mit, dass der Höhepunkt der Epidemie erst bevorstehe. Erwartet werde er „in zehn Tagen bis zwei Wochen“, sagte der Chef des nationalen Expertenteams im Kampf gegen das Coronavirus, Zhong Nanshan, nach Angaben chinesischer Staatsmedien vom Montag. Dafür müssten aber vorbeugende Maßnahmen verstärkt werden. „Wir dürfen in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen.“

Damit korrigierte der bekannte Experte seine bisherige Vorhersage von vor einer Woche, als er den Höhepunkt noch für Ende dieser Woche vorhergesagt hatte. Warum er den Zeitpunkt jetzt doch weiter in die Zukunft verschieben musste, sagte Zhong nicht. Die Sterblichkeitsrate bezifferte er bei dem Statement auf 2,4 bis 2,5 Prozent. Zuletzt gab es allerdings immer wieder Zweifel an den Angaben aus Peking.

Zuletzt wurde erstmals auch eine Stadt außerhalb der Provinz Hubei de facto unter Quarantäne gestellt. In der Neun-Millionen-Einwohner-Metropole Wenzhou an der Ostküste dürfe nur noch ein Mensch pro Haushalt alle zwei Tage auf die Straße, um das zum Leben Notwendige einzukaufen, teilten die örtlichen Behörden mit. Sie setzten den öffentlichen Verkehr aus und schlossen 46 Autobahnmautstellen.

Atemmasken werden knapp

Offenbar werden auch die Atemmasken knapp. „Was China momentan dringend braucht, sind Atemmasken, Schutzanzüge und Schutzbrillen“, so die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Nach Angaben des Industrieministeriums können chinesische Fabriken pro Tag nur rund 20 Millionen Atemmasken produzieren – bei voller Auslastung. In vielen Fabriken läuft die Produktion nach den Ferien zum chinesischen Neujahrsfest aber gerade erst wieder an.

Wie der Ministeriumsvertreter Tian Yulong sagte, versuchen die chinesischen Behörden, zusätzliche Masken aus Europa, Japan und den USA zu besorgen. Nach Angaben des Außenministeriums haben zudem schon Länder wie Südkorea, Japan, Kasachstan und Ungarn medizinisches Material gespendet. Neben der Provinz Hubei, in der die am stärksten betroffene Stadt Wuhan liegt, haben noch mehrere andere Provinzen und Städte in China eine Maskenpflicht eingeführt, darunter die bevölkerungsreichste Provinz Guangdong sowie Sichuan, Jiangxi und Liaoning und die Stadt Nanjing. Zusammen haben sie mehr als 300 Millionen Einwohner.

Erster Toter außerhalb Chinas in Philippinen

Weltweit sind rund 180 Erkrankungen durch das Virus in zwei Dutzend anderen Ländern bestätigt. Den ersten Todesfall außerhalb Chinas gab es am Wochenende auf den Philippinen. Es handelte sich um einen eingereisten Chinesen aus Wuhan. Asiatische Staaten haben Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um eine Einschleppung des Coronavirus zu verhindern. Aus Angst vor einer Verbreitung schloss Vietnam sogar die Schulen in 26 von 64 Provinzen für eine Woche. 15 von 24 Millionen Schülern gehen damit nicht zum Unterricht. Das Nachbarland Chinas hat acht bestätigte Infektionen.

Flugreisende aus Wuhan (China) werden beim Verlassen des Flugzeuges mit Desinfektionsmittel besprüht
Reuters/Antara Foto Agency
Indonesische Reisende werden nach ihrer Ankunft aus Wuhan mit einem Antiseptikum abgesprüht

Auch die Finanzmetropole und chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong riegelte am Montag einen Großteil der Grenzübergänge zum chinesischen Festland ab, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Zehn von 13 Grenzübergängen würden geschlossen, teilt Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam mit.

WHO warnt vor falschen Informationen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte unterdessen vor der Informationsflut zum Coronavirus. Der Ausbruch des Erregers sei von einer „massiven Infodemie“, einer Überschwemmung an Informationen begleitet worden, teilte sie am Sonntagabend in Genf mit. Einige Informationen seien korrekt, andere nicht. Da die Flut an Informationen es vielen Menschen schwer mache, zwischen Mythen und Fakten zu unterscheiden, hat die WHO eine große Informationskampagne auf Facebook, Twitter und in anderen Sozialen Netzwerken gestartet.

Darin beantwortet sie Fragen über Infektionsweisen, angebliche Hilfsmittel und Schutzmaßnahmen. Auf einer gesonderten Website rät die WHO unter anderem zum regelmäßigen Händewaschen, auch wenn die Hände „nicht sichtbar dreckig“ seien. Erkrankte sollten in die Armbeuge oder in ein Taschentuch niesen und Letzteres in einen geschlossenen Mistkübel werfen.

In diesem Zusammenhang entferne Twitter die Finanzmarktseite Zero Hedge wegen eines Artikels zum Thema Coronavirus von seiner Plattform. Der US-Konzern habe den Schritt mit Verstößen gegen seine Regeln zu Missbrauch und Belästigung begründet. Zero Hedge hatte in einem Artikel nahegelegt, dass das Virus als Biowaffe entwickelt wurde. Facebook und die chinesische Plattform TikTok hatten angekündigt, gegen Fake News zum Coronavirus vorgehen zu wollen.

G-7-Staaten verabreden abgestimmtes Vorgehen

Vertreter der G-7-Staaten verständigten sich nach Angaben des deutschen Gesundheitsministeriums indes über Maßnahmen gegen die Coronavirus-Epidemie. „Die Minister verabredeten ein so weit als möglich abgestimmtes Vorgehen bei den Reisebestimmungen und Vorsichtsmaßnahmen, bei der Erforschung des neuen Virus und bei der Zusammenarbeit mit der WHO, der EU und China“, hieß es in der Mitteilung.

„Eine angemessene Reaktion auf das Virus kann nur international und europäisch abgestimmt erfolgen“, sagte der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn laut Mitteilung. Am Dienstag wollte sich der CDU-Politiker demnach mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien und Frankreich treffen.