Medizinischer Checkpoint in Brescia, Italien
Reuters/Flavio Lo Scalzo
CoV-Sondertreffen

EU-Staaten sichern Italien Hilfe zu

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben die Gesundheitsminister der EU dem besonders betroffenen Italien am Freitag Unterstützung versprochen. Laut Minister Rudolf Anschober (Grüne) wollen die Staaten etwa mit medizinischen Ressourcen und Arzneimitteln Hilfe leisten. Für Debatten sorgten allerdings die von Deutschland und Frankreich beschlossenen Exportbeschränkungen für Schutzmaterial.

Bei dem zweiten Sondertreffen der Gesundheitsministerinnen und -minister seit Mitte Februar ging es am Freitag in Brüssel um die Eindämmung der Epidemie sowie um mögliche Hilfeleistungen für einzelne Staaten. Im Falle Italiens müsse laut Anschober der tatsächliche Bedarf aufgelistet werden, dann könne man „über die Details der Umsetzung reden“.

In EU-Kreisen hieß es, Italien könnte die EU-Staaten auch um Aufnahme von Coronavirus-Patienten bitten. Zum Zug kommen könnten dabei jene Gegenden, in denen das Gesundheitssystem keine Kapazitäten mehr habe. Am Freitag sei darüber aber nicht gesprochen worden, so Anschober. Er lobte die jüngsten „offensiven“ Maßnahmen, die Rom durch das Verbot öffentlicher Veranstaltungen gesetzt habe. „Die Situation in Europa wird sich auch in Italien mitentscheiden.“ Er sehe insgesamt eine starke Dynamik in Europa.

Coronavirus: EU kauft Schutzausrüstung

In Brüssel haben die Gesundheitsminister das weitere Vorgehen besprochen: Grundsätzlich entscheidet jeder Staat in Gesundheitsfragen selbst, allerdings will man gemeinsam Schutzausrüstung kaufen.

Heftige Kritik an Deutschland

Für Debatten unter den Ministerinnen und Ministern dürfte hingegen die etwa von Deutschland und Frankreich beschlossene Exportbeschränkung bei Atemschutzmasken und Schutzmaterialien gesorgt haben. Die deutsche Regierung hatte am Mittwoch ein Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung wie Atemmasken, Handschuhe und Schutzanzüge ins Ausland bekanntgegeben. Ausnahmen sollen nur noch unter engen Voraussetzungen möglich sein, unter anderem im Rahmen internationaler Hilfsaktionen.

Neben der deutschen Maßnahme beschäftigt sich die Kommission auch mit der Ankündigung Frankreichs, alle Schutzmasken zu beschlagnahmen und nur noch an medizinisches Personal und auf Rezept auszugeben. Auch mit Tschechien, Litauen und Italien sei man wegen staatlicher Eingriffe in den Markt wegen des Coronavirus in Kontakt.

Kettenreaktion befürchtet

Der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza kritisierte diese Maßnahmen am Freitag. Er rief die Union zu Zusammenarbeit auf: „Wir dürfen uns zwischen europäischen Staaten keinen Krieg liefern, das würde nur die Preise für diese Gegenstände in die Höhe treiben.“ Kritik an den Exportbeschränkungen kam auch von Anschober: „Das ist aus meiner Sicht ein Problem und nicht die Entwicklung, die ich mir wünsche.“ Immer wenn ein Land vorpresche, führe das zu einer Kettenreaktion.

Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza und Gesundheitsminister Rudolf Anschober
APA/AFP/John Thys
Italiens Gesundheitsminister Speranza und Anschober

Laut Anschober sollte allerdings die gemeinsame Beschaffung von Schutzausrüstung durch die EU-Kommission das Problem eindämmen. Für diese Beschaffung hätten sich 20 EU-Staaten angemeldet, darunter Österreich. Nächste Schritte erwarte er bereits nächste Woche. Laut einer Sprecherin der EU-Kommission soll eine Ausschreibung aber erst im April erfolgen.

Dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zufolge wird es wegen ausbleibender Lieferungen aus China Schwierigkeiten bei der Versorgung etwa mit Schutzmasken geben. Die EU-Kommission hatte bereits im Februar angekündigt, eine gemeinsame Beschaffung zu organisieren. „Aber bisher gibt es keine Ergebnisse“, beklagte der tschechische Gesundheitsminister Adam Vojtech. „Wir haben nicht genug Masken.“

Spahn verweist auf Preismechanismus

Der deutsche Minister Jens Spahn konterte, bisher klappe die Verteilung nicht: Die Schutzkleidung komme nur dahin, wo die höchsten Preise gezahlt würden. Exporte aus Deutschland seien nicht verboten, müssten aber einzeln genehmigt werden. Er habe die EU-Kommission aufgefordert, ein Exportverbot für Drittstaaten in Kraft zu setzen. „Wir können nationale Maßnahmen herunterfahren, wenn es eine Maßnahme der Europäischen Union gibt“, sagte Spahn.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte, in den kommenden Wochen sei in den EU-Staaten mit einem raschen Anstieg der Fallzahlen zu rechnen. Das werde zum Test für die Gesundheitssysteme in der EU. Sie appellierte an die Bürger, Hygienemaßnahmen einzuhalten, und dankte dem medizinischen Personal. „Wir müssen ruhig und fokussiert bleiben“, sagte Kyriakides.

Bis Freitagmorgen hatte die EU-Behörde ECDC für die EU, Island, Liechtenstein, Norwegen und Großbritannien 5.544 Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und 159 Todesfälle registriert. Weltweit wurde die Marke von 100.000 Infektionen am Freitag überschritten.

Fast 200 Tote in Italien, Durchschnittsalter bei 81 Jahren

Italien ist das Land in Europa, das am stärksten von der Infektionswelle durch den Erreger betroffen ist. Die Zahl der Toten stieg am Freitag von 148 auf 197, das sind 49 mehr als am Donnerstag. Die Zahl der Infizierten kletterte um 620 Fälle auf 3.916, sagte Italiens Zivilschutzchef Angelo Borrelli bei einer Pressekonferenz in Rom. 523 Personen sind inzwischen wieder genesen.

Das Durchschnittsalter der Todesopfer lag bei 81 Jahren. Die Toten litten in fast 90 Prozent der Fälle bereits an einer oder an mehreren anderen Krankheiten. Die Sterberate in Italien liege bei 4,25 Prozent, die Rate der Genesenen bei 11,2 Prozent, sagte der Zivilschutzchef

Grafik zu Coronavirus-Schutzmaßnahmen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Rom beschloss in den vergangenen Tagen weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. So sind etwa bis 15. März in ganz Italien Schulen, Kindergärten und Universitäten seit Donnerstag geschlossen. Die Sperre könnte auch verlängert werden. „Ich bin bereit, auch die radikalsten Beschlüsse zur Eingrenzung der Epidemie zu unterstützen“, so Infrastrukturministerin Paola De Micheli im Interview mit dem TV-Sender Sky.

Auch mehrere Großveranstaltungen, etwa das für 18. bis 22. März angesetzte Skiweltcup-Finale in Cortina d’Ampezzo, der Radsportklassiker Mailand – Sanremo und der Rom-Marathon, wurden abgesagt. Die Regierung in Rom hatte weiters am Mittwoch ein Dekret unterzeichnet, wonach alle Sportveranstaltungen bis Anfang April ohne Publikum stattfinden müssen.

Partielle Reisewarnungen für Italien

Seitens Österreichs besteht eine partielle Reisewarnung der Stufe fünf für die gesamte Lombardei und die Gemeinde Vo Euganeo in Venetien. In den Ortschaften Codogno, Castiglione d’Adda, Casalpusterlengo, Fombio, Maleo, Somaglia, Bertonico, Terranova dei Passerini, Castelgerundo und San Fiorano in der Lombardei sowie Vo Euganeo in Venetien wurden von den italienischen Behörden Ein- bzw. Ausreisesperren verhängt.

Auch Südtirol wurde am Freitag für mehrere Stunden auf die Liste der Risikogebiete gesetzt. In Tirol sorgte diese Entscheidung für Verwirrung bei Konzertbesuchern. In Deutschland ist diese Einstufung nach wie vor aufrecht – mehr dazu in tirol.ORF.at.

USA behalten Geldscheine ein

Harte Maßnahmen zur Eindämmung des Virus trafen zuletzt auch andere Staaten. US-Präsident Donald Trump gab am Freitag 8,3 Milliarden Dollar für Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Epidemie in den USA frei. Die USA lagern zudem Dollar-Scheine aus Asien für sieben bis zehn Tage ein. Erst danach würden sie bearbeitet und wieder in den Geldkreislauf eingespeist, sagte eine Sprecherin der US-Notenbank Fed. Es handle sich um eine Vorsichtsmaßnahme. Auch Südkoreas Notenbank verschärft offenbar ihre Vorschriften, abgenutzte Geldscheine aus dem Verkehr zu ziehen.

In Saudi-Arabien sorgen die drastischen Sicherheitsvorkehrungen für Leere im muslimischen Wallfahrtsort Mekka. In der Kaaba, der Pilgerstätte im Inneren der Großen Moschee von Mekka, herrschte am Freitag nahezu Leere. Auch im Irak sorgt das Coronavirus für den religiösen Ausnahmezustand. Erstmals seit 17 Jahren fiel die Freitagspredigt des obersten Schiitenführers des Landes, Ajatollah al-Sistani, aus. Israel riegelte Bethlehem ab. Allen Israelis und Palästinensern sei es „verboten, die Stadt zu betreten oder zu verlassen“, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Kaaba ohne Besucher
AP/Amr Nabil
Saudi-Arabien erließ strenge Einschränkungen bei Wallfahrten

WHO: Kein Medikamentenengpass

Leichte Entwarnung seitens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es zuletzt hinsichtlich der Medikamentenversorgung. Diese sei weltweit nicht gefährdet. Das gelte, obwohl viele Bestandteile in China hergestellt würden und die Produktion dort zeitweise unterbrochen war, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Freitag in Genf. In manchen Ländern gebe es aber einen Mangel an Ventilatoren und Systemen zur Sauerstoffversorgung.

Nach Angaben von Tedros sind für den Kampf gegen das SARS-CoV-2 jetzt 20 Impfstoffe in der Entwicklung. Der leitende Notfallexperte der WHO, Mike Ryan, bezeichnete es unterdessen als „falsche Hoffnung“, dass das Virus wie eine Grippe im Sommer einfach so verschwinden werde.