Der Piazza del Duomo im Zentrum von Mailand.
APA/AFP/Miguel Medina
Coronavirus in der Lombardei

Über 100 Tote binnen eines Tages

In der norditalienischen Region Lombardei sind innerhalb eines Tages mehr als 100 Menschen am neuartigen Coronavirus gestorben. Das teilten die Regionalbehörden am Sonntagabend in Mailand mit. Demnach stieg die Gesamtzahl der Todesopfer der Coronavirus-Epidemie in der Lombardei seit Samstag von 154 auf 257.

Die Gesamtzahl der am Coronavirus gestorbenen Menschen in Italien erreichte am Sonntag 366. Das entspricht einem Anstieg von 133 Toten seit Samstag. Die Zahl der Infizierten kletterte um 1.326 auf 6.387, 622 Personen seien inzwischen wieder genesen. Die Zahl der -Todesopfer ist durchschnittlich älter als in China. 60 Prozent der Todesopfer sind älter als 80 Jahre.

Die meisten Todesopfer, die über 70 Jahre alt sind, hätten an einer oder an mehr chronischen oder akuten Krankheiten gelitten, sagte Silvio Brusaferro, Leiter von Italiens oberstem Gesundheitsinstitut ISS, am Sonntag. Brusaferro rief die Italiener auf, Menschenansammlungen zu vermeiden, um sich und ihre ältere Angehörige nicht anzustecken. „Jugendliche haben die Verantwortung, ihre Eltern und Großeltern zu schützen“, sagte Brusaferro. Die starke Mobilität in einigen Regionen Italiens sei ein „kritisches Element“, das zur Bekämpfung der Epidemie reduziert werden müsse.

Drastische Maßnahmen in Norditalien

Die italienischen Behörden hatten am Sonntag drastische Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus verhängt und ganze Regionen und Städte in Norditalien abgeriegelt. In der Lombardei leben zehn Millionen Menschen, davon knapp 1,4 Millionen in der Hauptstadt Mailand. Die Region ist das wirtschaftliche und industrielle Herz Italiens. Das Problem in der Lombardei betrifft auch das Gesundheitssystem. Es ist offenbar überfordert.

Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten des lombardischen Gesundheitssystems könnten Patienten auch auf Krankenhäuser anderer Regionen verteilt werden, hieß es am Sonntag. Die Regierung bemühe sich um neue medizinische Einrichtungen, hieß es seitens der Regierung zudem. Damit soll die Zahl der Plätze auf den Intensivstationen erhöht werden. Die Produktion von Atemschutzmasken in Italien wird aufgestockt.

Medizinisches Personal im Ruhestand wird aktiviert

Denn das Personal in den lombardischen Spitälern wird immer knapper: Viele von ihnen hätten sich infiziert oder seien unter Quarantäne, hieß es. Davor hatten die auf den Intensivstationen eingesetzten Krankenpfleger gewarnt, dass sich trotz des großen Engagements des sanitären Personals die Epidemie weiterhin ausbreite.

Zur Stärkung des Gesundheitswesens sagte das Kabinett zuvor die Einstellung von Personal für 20.000 Stellen zu, darunter Fachärzte und Krankenschwestern. Auch soll medizinisches Personal im Ruhestand wieder aktiviert werden, wie es hieß. Außerdem sollen Behörden bis zum Ende des Coronavirus-Notfalls sowohl medizinische Güter als auch Möbel etwa für Menschen in Quarantäne einziehen dürfen. Dafür soll an Eigentümer ein vor der Krise marktüblicher Preis gezahlt werden, hieß es.

16 Millionen Menschen in Norditalien in Quarantäne

Mit Sonntagfrüh schränkte die italienische Regierung die Bewegungsfreiheit von rund 16 Millionen Bürgern in Norditalien drastisch ein. Ministerpräsident Giuseppe Conte verkündete Sonntagfrüh via Twitter, dass die wirtschaftsstarke Lombardei und 14 andere Gebiete weitgehend abgeriegelt würden. Er habe das entsprechende Dekret unterschrieben.

Domplatz in Mailand
Reuters/Flavio Lo Scalzo
Militär auf dem Platz vor dem Mailänder Dom

Davon betroffen sind die Millionenstadt Mailand und die Touristenhochburg Venedig ebenso etwa wie Parma in der Region Emilia-Romagna. Außerdem bestätigte beziehungsweise verhängte die Regierung den Angaben nach Einschränkungen für ganz Italien wie den Stopp für Kinos, Theater, Museen, Demonstrationen und viele andere Veranstaltungen. Die neuen Sperrgebiete sollten von sofort bis zunächst zum 3. April gelten.

Die Regierung rief unterdessen alle einheimischen und ausländischen Touristen und Touristinnen zum Verlassen der Quarantänezonen in Norditalien auf. In den betroffenen Regionen sollen Reisen aus touristischen Gründen vermieden werden, hieß es am Sonntag in einem Schreiben des Verkehrsministeriums in Rom. Flughäfen und Bahnhöfe seien offen, Touristen und Touristinnen könnten somit nach Hause zurückkehren, hieß es in dem Dokument. Touristen und Touristinnen in anderen Regionen Italiens sollten sich an die Vorsichtsmaßnahmen der italienischen Gesundheitsbehörden halten.

„Wir werden es zusammen schaffen“

„Wir werden es zusammen schaffen“, sagte der Premier. Die Bevölkerung müsse jedoch aktiv zur Eindämmung des Virus kooperieren. Conte sagte, er übernehme die „politische Verantwortung“ für den in Europa beispiellosen Beschluss, die Lombardei und 14 Provinzen unter anderem in der Emilia-Romagna und Venetien im Norden unter Quarantäne zu stellen. Die Maßnahme gilt bis zum 3. April. Conte, der seine Maßnahmen als „mutig“ bezeichnete, dementierte, dass die Regierung ganz Norditalien zum Erliegen bringen wird.

Aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen werde man weiterhin reisen können. Die Polizei werde Personen jedoch aufhalten und sie nach dem Grund ihrer Reise fragen können. Die Jugendlichen rief Conte auf, zu Hause zu bleiben und damit die Gesundheit ihrer älteren Angehörigen zu schützen.

„Seit heute sind in Italien Kinos, Theater und Museen geschlossen. Das ist eine schmerzhafte, aber notwendige Maßnahme, die wir im Namen der öffentlichen Gesundheit ergreifen mussten“, sagte Kulturminister Dario Franceschini. Die öffentlich-rechtliche TV-Anstalt RAI bemühe sich, in den nächsten Tagen verstärkt Kulturprogramme zu senden.

Alitalia stellt Flüge nach Mailand-Malpensa ein

Bars und Restaurants dürfen in den Quarantänegebieten nur ihren Betrieb fortsetzen, wenn ein Mindestabstand zwischen den einzelnen Gästen und Mitarbeitern von einem Meter eingehalten wird. Diese Regelung betrifft auch religiöse Orte wie Kirchen, Zeremonien wie Taufen und Hochzeiten müssen verschoben werden.

Die staatliche italienische Fluggesellschaft Alitalia stellt ab Montag den kompletten Flugbetrieb auf dem zweitgrößten Flughafen des Landes, Mailand-Malpensa, ein. Am Montagvormittag werde mit einer Maschine aus New York das letzte Alitalia-Flugzeug auf dem größten Flughafen der norditalienischen Wirtschaftsmetropole landen, hieß es. Alitalia reduzierte zugleich den Flugbetrieb auf dem kleineren Mailänder Flughafen Linate und jenem Venedigs. Von Linate werde es nur noch nationale Flüge geben. Internationale Destinationen werden nur noch über Rom erreicht werden können. Auch aus Venedig werde es nur noch wenige Verbindungen geben.

Süditalien befürchtet Exodus aus Norden

Die süditalienischen Regionen ergreifen drastische Vorsichtsmaßnahmen, um eine Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Gewarnt wird vor einem „Exodus“ aus Norditalien. So müssen Personen, die die Sperrzone in Norditalien verlassen haben und nach Kampanien, Sizilien und Basilikata reisen, sich einer zweiwöchigen Heimquarantäne unterziehen, wie die Präsidenten der drei süditalienischen Regionen am Sonntag beschlossen.

Die Präsidentin Kalabriens, Jole Santelli, sagte, die Einrichtung einer Sperrzone in der Lombardei und in anderen norditalienischen Provinzen hätte zu einem „Exodus“ in Richtung Süditalien geführt. „Wir sind besorgt. Die ungeregelte Heimkehr vieler Bürger aus Norditalien bringt unsere Region in Gefahr“, betonte Santelli.

Kampanien: Reisende müssen sich identifizieren

Am Sonntag wurden laut Medienberichten Busstationen in der Lombardei von Menschen bestürmt, die in Richtung Mittel- und Süditalien reisen wollten. Auf dem Mailänder Flughafen Linate berichtete das Personal, dass viele Passagiere ihre für nächste Woche geplanten Geschäftsreisen vorverlegt haben. Der Airport Linate dient vor allem Binnenflügen.

Flug- und Bahngesellschaften sowie Autobahnbetreiber müssen der Region Kampanien die Namen der Reisenden zur Verfügung stellen. Reisende aus dem Norden sollen identifiziert und unter Heimquarantäne gestellt werden. Der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza drohte mit hartem Durchgreifen gegen Bürger, die die Vorsichtsmaßnahmen nicht berücksichtigen. „Jeder muss im Namen der kollektiven Gesundheit ein verantwortungsbewusstes Verhalten bewahren“, mahnte Speranza.