Pensionistin in Pflegeheim
ORF.at/Christian Öser
Pflegeheime

Gratwanderung bei Schutz vor Coronavirus

In Österreichs Pflegeheimen steigt die Zahl der Coronavirus-Fälle. Um die weitere Ausbreitung des Erregers zu verhindern, setzen die Einrichtungen auf strenge Regeln. Doch Maßnahmen wie Besuchsverbote erweisen sich als Gratwanderung. Auf der einen Seite steht der Schutz der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, auf der anderen drohen gerade ältere Menschen noch tiefer in die soziale Isolation zu rutschen.

Berichte aus Altersheimen in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland haben weltweit für Entsetzen gesorgt. In den österreichischen Pflegeheimen ist die Situation derzeit zwar weit weniger prekär. Die Zahl der CoV-Infektionen und der Todesopfer in den Einrichtungen nimmt aber auch hierzulande zu, und das nicht nur in den Coronavirus-Hotspots im Westen des Landes. In Oberösterreich sind einer Recherche des Ö1-Morgenjournals zufolge mindestens zwölf Pflegeheime betroffen, in Wien zehn der 30 städtischen Einrichtungen und aus steirischen Häusern werden ebenfalls zahlreiche Fälle gemeldet – Audio dazu in oe1.ORF.at.

Für ältere Menschen, vor allem jene mit chronischen Erkrankungen, stellt das Virus eine besondere Gefahr dar. Das Durchschnittsalter der an Covid-19 Verstorbenen liegt in Österreich bei 80 Jahren, wie eine Auswertung der ersten 89 Todesfälle durch das Gesundheitsministerium zeigt. Wie viele Bewohnerinnen und Bewohner sowie Beschäftigte in den heimischen Pflegeeinrichtungen mit SARS-CoV-2 infiziert sind, dazu gibt es keine Zahlen. Ein wenig Licht ins Dunkel bringen soll die gezielte Testung von Pflegeheimpersonal, die diese Woche angelaufen ist.

Die Angst vor dem Mensch mit der Maske

Unabhängig von den Ergebnissen haben Österreichs Pflegeheime bereits seit einiger Zeit den Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner verstärkt. „Die wichtigste Maßnahme – zusätzlich zum häufigen Händewaschen und der verstärkten Desinfektion von Oberflächen – ist das Tragen von Masken und Handschuhen“, sagte Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), gegenüber ORF.at. Dabei gehe es nicht um „Hochsicherheitsschutzkleidung“, sondern um einfache Masken. Sie bilden eine Barriere vor Mund und Nase und verhindern so Tröpfcheninfektionen.

Nicht nur das Pflegepersonal, auch die Bewohnerinnen sollten im Alltag Schutzmasken aufsetzen und Handschuhe anziehen, so Frohner. Aber bereits bei diesen auf den ersten Blick einfachen Maßnahmen können sich in der Praxis Probleme auftun. „Ältere Menschen, die an Demenz leiden, können Personen mit Gesichtsschutz als Bedrohung wahrnehmen“, so Frohner. Auch das Befolgen von Hygienemaßnahmen sei gerade für Menschen mit Demenz „de facto nicht umsetzbar“: „Ein dementer Menschen kann sich nur wenige Minuten merken, dass er sich seine Hände desinfizieren oder sich nicht ins Gesicht greifen soll. Oder eine Maske richtig aufsetzen und dann auflassen soll.“ Weiters gilt auch in Pflegeheimen die Regel, einen Meter Abstand zu halten. In der Praxis sei sie aber oftmals nur schwer umsetzbar, so Frohner.

Soziale Isolation

Eine weitere zentrale Maßnahme sei das Fernhalten von Besucherinnen und Besuchern aus Pflegeheimen, sagte Frohner. „So bitter es ist: Nur durch das Einschränken der sozialen Kontakte haben wir eine Chance, Infektionsketten zu minimieren oder gar zu unterbrechen“, so die ÖGKV-Präsidentin. Nicht alle Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, entwickeln Symptome. Den Erreger weitergeben können sie trotzdem. Angehörige könnten das Virus in die Pflegeheime tragen, ohne es selbst zu bemerken.

In den heimischen Pflegeheimen gilt bereits seit einiger Zeit ein absolutes Besuchsverbot. Telefongespräche oder Skypechats müssen persönliche Treffen ersetzen. Gerade bei Menschen mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen könne ein Anruf den für Ältere so wichtigen persönlichen Kontakt aber nur schwer ersetzen, so Frohner. Warum das so ist, erklärte Frohner am Beispiel einer 93 Jahre alten Frau aus ihrem persönlichen Umfeld. Die Dame leide an einer Form der Demenz, bei der ihr Worte entfallen. Wegen der Coronavirus-Pandemie kann sie nicht mehr in der Pflegeeinrichtung besucht werden. Seit der Kontakt nur mehr telefonisch erfolge, „vergisst sie die Wörter schneller und öfter“. Ein weiterer Punkt sei der durch die Krise veränderte Tagesrhythmus, der aber gerade für Menschen mit Demenz essenziell sei.

Rasche Ausbreitung im Pflegeheim

Trotzdem führt an der Beschränkung der sozialen Kontakte kein Weg vorbei. Wie schnell sich das Virus in Pflegeeinrichtungen ausbreiten kann, offenbart der Fall der privaten Parkresidenz Straßengel bei Graz. Von 22 Beschäftigten seien zwölf positiv auf SARS-CoV-2 getestete worden, berichtete das Ö1-Morgenjournal. Wer infiziert ist oder auch nur Kontakt einem Infizierten hatte, darf gemäß der von den Behörden ausgestellten Absonderungsbescheiden nicht arbeiten.

Die Pflegeleitung hatte erstmals am 16. März unter 1450 um Tests gebeten. Allerdings sei niemand der Beschäftigten in Italien gewesen, und „wenn kein direkter Kontakt zu bestätigten positiven Fällen ist, dann wurde nicht getestet“, sagte Eigentümer Hannes Schenk gegenüber Ö1. Außerdem habe zunächst kein Arzt auf Covid-19 getippt: „Grad bei den Senioren sind die Symptome wesentlich milder und anders, als sie beschrieben werden. Also die hatten kein hohes Fieber.“

Umgang mit der Krise

Der Umgang der älteren Menschen mit der Pandemie ist zwar von Person zu Person unterschiedlich, es lassen sich aber gewisse Muster erkennen. Manche reagieren mit Trotz. Für andere, die den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegskriegszeit bewusst erlebt und in dieser Zeit womöglich auch Gewalterfahrungen gemacht haben, könne es „das Wiedererleben einer dramatischen Krisensituation sein“, so Frohner. „Es gibt eine diffuse Bedrohung, die nicht vorhersehbar ist“, woraus sich gewisse Verhaltensweisen ergäben: „Manche Ältere ziehen sich ganz in sich zurück. Andere gehen sofort in den Modus des völligen Funktionierens. Alles, was man ihnen sagt, wird nicht hinterfragt und sofort übernommen.“

Auch für Angehörige ist die Situation belastend: Sollten sich die betagten Eltern, Großmutter oder Großvater mit dem Coronavirus anstecken, ist es im schlimmsten Fall nicht mehr möglich, persönlich Abschied zu nehmen. „In den Langzeitpflegeeinrichtungen gelten dieselben Quarantänebestimmungen wie für alle anderen“, sagte Frohner. Das betreffe die Isolierung von infizierten Bewohnerinnen und Bewohnern ebenso wie jene von Beschäftigten.

Trägerorgansationen fordern mehr Schutz für Personal

Die großen Trägerorganisationen im Sozial- und Pflegebereich – Caritas, Hilfswerk, Diakonie und Volkshilfe – haben sich unterdessen mit einem Hilferuf an Bund und Länder gewandt. „Unser Pflegepersonal hat nach wie vor nicht ausreichend Schutzbekleidung zur Verfügung. Wir appellieren, Pflege und Betreuung bei der Ausstattung mit Schutzbekleidung prioritär zu behandeln“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Prävention im Bereich der Langzeitpflege sei von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Infektionsrate, sagte Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie Österreich. Diese sei das Um und Auf, aber auch für den Pflegebereich gelte „Testen, testen, testen“. „Bleibt eine Infektion unerkannt, ist zu befürchten, dass sich rasch 50 bis 80 Prozent der Bewohner in einer Pflegeeinrichtung infizieren“, so Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin von Hilfswerk Österreich.