Ein Arzt nimmt einen Abstrich zur Untersuchung eines Patienten auf das Coronavirus.
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Coronavirus

Das Ringen um die Daten

Der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie wird ganz entscheidend mit Daten geführt. Nur wenn es verlässliche Daten etwa über die Zahl der Infektionen und die Ansteckungswege, die Erkrankten und Toten, aber auch über so scheinbar simple Dinge wie Beamtmungsgeräte und Intensivbetten gibt, kann die Bekämpfung des Coronavirus überhaupt gelingen. Und genau in diesem Bereich gab es zuletzt mehrere Unklarheiten, Fehler und Widersprüchlichkeiten.

Gerade im Gesundheitsbereich ist der Föderalismus stark, sprich die Kompetenzen liegen in weiten Teilen bei den Ländern. Das Ministerium hatte frühzeitig per Verordnung Coronavirus-Infektionen und -Erkrankungen nach dem Epidemiegesetz als meldepflichtig erklärt. Und per Erlass vom 28. Februar wurden die Grundlagen für ein österreichweit einheitliches Vorgehen gelegt – inklusiver einheitlicher Erfassung der Daten.

Die Ausführung liegt allerdings bei den Ländern. Das Gesundheitsministerium hat ein eigenes Dashboard entwickelt, aber allein, dass die Länder täglich andere Zahlen als der Bund vermelden, sorgt für Verwirrung.

Im Scheinwerferlicht

Erschwerend kommt im Fall Tirol dazu, dass hier die Interpretation der Daten auch politisch brisant und möglicherweise strafrechtlich relevant ist. Bekanntlich hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen in der Causa Ischgl eingeleitet. Darüber hinaus muss die Tiroler Tourismusindustrie im Gefolge der verzögerten Einstellung des Skibetriebs einen Imageschaden befürchten.

Die Branche, die gerade in diesem Bundesland enormes, auch politisches, Gewicht hat, steht nach dem Fall Ischgl national und international im Scheinwerferlicht und wehrt sich nach Kräften gegen den Vorwurf, kurzfristige wirtschaftliche Interessen vor die Gesundheit der Skigäste gestellt zu haben.

Und dann ein Übertragungsfehler

Einen Hinweis darauf bietet die Aussendung der AGES, also der staatlichen Gesundheitsagentur. Deren Chef für den Bereich Humanmedizin, Franz Allerberger, hatte die Aussage, dass der erste Fall am 5. Februar aufgetreten war, korrigiert. Dieses Datum müsse um einen Monat auf den 5. März verschoben werden, hieß es Donnerstagnachmittag kurz nach der gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).

Pressekonferenz „Aktuelles zum Coronavirus“ mit Bernhard Benka von der Coronavirus-Taskforce, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Franz Allerberger von der AGES.
APA/Hans Punz
Die Angaben aus der Pressekonferenz mussten Stunden später revidiert werden

Die Falschmeldung wurde mit einem „Übertragungsfehler“ begründet – das Datum wurde also in die Datenbank falsch eingegeben. Wenn man bedenkt, dass derzeit Tausende Datenfelder österreichweit zumindest einmal von Hand eingegeben werden, ist das letztlich nicht so verwunderlich, wenn auch gerade im Fall Ischgl besonders aufsehenerregend.

„Laborbestätigter Fall“ versus „Erkrankung“

Die AGES betonte in ihrer Aussendung von Donnerstagabend zudem explizit, dass der erste „laborbestätigte Fall am 07.03.2020 ermittelt wurde und demnach erst zu diesem Zeitpunkt den Behörden bekannt wurde“. Dabei handelt es sich eben um den deutschen Kellner im Apres-Ski-Lokal „Kitzloch“. Der nächste Satz deutet darauf hin, dass die Aussagen der AGES in Tirol für Aufregung gesorgt hatten: „Die AGES weist nochmals darauf hin, dass auch während der Pressekonferenz keine Kritik an den lokalen Behörden getätigt wurde.“

Anschober versuchte schließlich Donnerstagabend in der ZIB2, gleichzeitig die internen Wellen und die öffentliche Konsternation abzufangen. Er kündigte an, dass die Ischgl-Zahlen „aufgearbeitet“ würden.

Platter bedankt sich bei Anschober

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) bedankte sich bei Anschober für die „Klarstellung“, dass es sich um einen Übertragungsfehler handelte. „Irritationen“ hätten aber dazu geführt, dass „sofort der Vorwurf der Vertuschung gegeben war“.

Die AGES betonte allerdings in ihrer Aussendung zugleich, dass ihren Daten zufolge die erste Erkrankung sehr wohl bereits im Februar auftrat – und zwar am 8.2. bei einer dritten Person, einer Tirolerin. Tatsächlich kann mit den Abstrichtests das Vorhandensein des Virus auch Wochen nach der Infektion und einer etwaigen Erkrankung nachgewiesen werden.

Befragung der Getesteten

Das Erkrankungsdatum beruht auf der Befragung der getesteten Personen. Diese werden unter anderem gefragt, wann sie erstmals Symptome verspürten. Dieses Datum wird als Erkrankungsdatum angenommen, auch wenn deren Richtigkeit medizinisch nicht mehr nachgewiesen werden kann. Ein möglichst früher Zeitpunkt macht aus infektiologischer Sicht Sinn, um einen Infektionscluster möglichst umfassend rekonstruieren zu können.

In Tirol fürchtet man dagegen offenbar, dass dies viele als Bestätigung für die – aus eigener Sicht haltlosen – Vorwürfe sehen könnten. Das Land unterstrich daher einmal mehr, dass den Behörden erst am 7. März eine Infektion bekannt wurde. Das sind also zwei unterschiedliche Daten.

Der Sprung

Für Aufsehen hatte am Donnerstag ja der Sprung bei der Gesamtzahl der durchgeführten Tests von rund 60.000 auf 90.000 binnen eines Tages geführt. Der Grund dafür: Nur positive Testergebnisse müssen von den zuständigen Bezirksbehörden, etwa den Amtsärzten, gemeldet werden – und das so rasch wie möglich. Die Zahl der negativ verlaufenen Tests wird dagegen von den Labors selbst gemeldet.

Laborsituation in der AGES
APA/Hans Klaus Techt
Auch immer mehr kleine Labors testen mittlerweile

Das Gesundheitsministerium betonte gegenüber ORF.at, dass derzeit 40 Labors Tests auswerten, während es vor etwa zwei Wochen lediglich 20 waren. Die kleineren Labors können ihre Daten allerdings nicht direkt in das Elektronische Meldesystem (EMS) eintragen, da sie nicht an die Datenbank angeschlossen sind. Das führt zu Verzögerungen. Allerdings wurden Labors und Landesbehörden angewiesen, möglichst zeitnah einzumelden. Laut Ministerium haben sich die Zahlen zu negativen Tests am Freitag bereits verdoppelt, an der Verringerung der Zeitverzögerung werde aber weiter kontinuierlich gearbeitet.

Anschober verspricht Transparenz bei Daten

Anschober reagierte unterdessen positiv auf einen Aufruf zahlreicher Wissenchaftlerinnen und Wissenschaftler, die Epidemiedaten für Forschungszwecke zugänglich zu machen. Diese sollten Zugang zu den Modellrechnungen, die der Regierung als Entscheidungsgrundlage dienen, als auch zu den dahinterliegenden Basiswerten, erhalten. „Wir arbeiten seit Tagen daran, ein Modell zu finden, wie wir das unter Einhaltung der datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen gut schaffen können“, so der Minister. Freitagnachmittag wurden als erster Schritt die wöchentlichen Kurzfristprognosen auf der Website des Ministeriums publiziert.

Um „im öffentlichen Interesse“ die Beantwortung „bisher ungeklärter wissenschaftlicher Fragestellungen“ voranzutreiben, sollten Daten zur Verfügung gestellt „und entsprechende Studien in Auftrag“ gegeben werden, hatte es in dem Aufruf an den Minister geheißen.

Demnächst mehr Klarheit über Dunkelziffer

Mehr Gewissheit darüber, wie stark Österreich eigentlich von der Pandemie betroffen ist, dürfte es nächste Woche geben: Da sollen Vorabergebnisse einer repräsentative Testung und Befragung von 2.000 Haushalten durch SORA im Auftrag des Bildungsministeriums vorliegen. Sie wird es erlauben, erstmals seriös die Dunkelziffer (Wie viele sind infiziert, aber bemerken es nicht, weil sie keine oder schwache Symptome haben?) zu ermitteln.