Baukräne
Reuters/Charles Platiau
Einigung mit Ausnahme

„Corona-Bonds“ bleiben EU-Streitthema

Wochenlang hat die EU nach einer Antwort auf die schwere Wirtschaftskrise infolge der Pandemie gesucht. Zu einer Einigung fanden die EU-Finanzminister Donnerstagnacht. Das Gedankenspiel „Corona-Bonds“ – ein rotes Tuch für Österreich, Deutschland, Finnland und die Niederlande – wurde dabei allerdings ausgeklammert.

Mit einer halben Billion Euro sollen Mitgliedsstaaten, Unternehmen und Arbeitnehmerinnen wie Arbeitnehmer unterstützt werden. Gleichzeitig vereinbarten die EU-Finanzminister, an einem „Wiederaufbaufonds“ für die Zeit nach der Krise zu arbeiten. Da aber die Finanzierungsquellen des Fonds offen blieben, ist davon auszugehen, dass auch in den kommenden Wochen weiter eifrig diskutiert wird.

Von den nun beschlossenen Hilfen dürften vor allem Italien und Spanien profitieren. Enthalten sind drei Elemente: vorsorgliche Kreditlinien des Euro-Rettungsschirms ESM von bis zu 240 Milliarden Euro, die besonders von der Pandemie betroffenen Staaten zugutekommen könnten; ein Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investitionsbank (EIB), der 200 Milliarden Euro mobilisieren soll; und das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiterprogramm namens „Sure“ im Umfang von 100 Milliarden Euro.

Zu wenig?

Darüber hinaus wurde ein befristeter „Recovery Fund“ zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung vereinbart. Dieser soll die Solidarität mit den in der Pandemie am meisten betroffenen Euro-Staaten zum Ausdruck bringen und den außerordentlich hohen Kosten der Krisenbewältigung Rechnung tragen. EU-Budgetkommissar Johannes Hahn fasste auf Twitter zusammen: „Dies ist ein guter Tag für Europäische Solidarität.“

Telekonferenz der europäischen Finanzminister
picturedesk.com/ANP
Per Videokonferenz sprachen die Finanzminister miteinander

Doch die Mittel aus dem ESM, der EIB und der EU-Initiative für Kurzarbeit könnten viel zu wenig sein, wie Ökonominnen und Ökonomen befürchten. Auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni warnten zuletzt, dass es eine weitere Säule brauche. „Die Zeit ist knapp. Wir müssen kreativ sein“, so die beiden Kommissare. Hinzu kommt, dass etliche Länder, denen einst die Kredite aus dem ESM aus der Krise helfen sollten, bis heute nicht aus der Krise sind. Wenn ein Staat einen ESM-Kredit beantragt, wird er von Ratingagenturen schlechter bewertet, wodurch eine Verschuldung noch erschwert werden könnte. Als Sorgenkinder gelten Italien und auch Spanien sowie alle EU-Staaten mit hohen Schulden.

Für und Wider seit der Euro-Krise

Einige Staaten wollen dafür Gemeinschaftsanleihen ausgeben, während andere – darunter Österreich – „Corona-Bonds“ ablehnen. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) etwa sagte, es dürfe keine Hintertür für „Corona-Bonds“ geben. Bei dem Stichwort fühlen sich viele an die Euro-Krise von vor zehn Jahren zurückerinnert, wo ein ähnliches Prinzip diskutiert wurde, nämlich die Euro-Bonds. Euro-Bonds sind Wertpapiere mit einem festen Zinssatz. In der Theorie würden die EU-Länder so ihre gemeinsame Wirtschaftskraft nutzen können, um Kredite auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen. Das würde den meisten Staaten billiger kommen, als alleine Anleihen aufzunehmen.

Reichere europäische Staaten, wie zum Beispiel Österreich, Deutschland, Finnland und die Niederlande, würden zwar gute Konditionen erhalten – also weniger Zinsen zahlen müssen –, müssten jedoch auch hoch verschuldete Staaten, etwa Italien und Spanien, unter ihre Fittiche nehmen. Hoch verschuldete Staaten könnten auf der anderen Seite zu erheblich günstigeren Konditionen Geld erhalten. Denn die Bonität der Gemeinschaftsanleihen wäre deutlich besser, wenn wirtschaftlich starke Länder mithaften würden.

Das Hauptargument gegen Bonds ist allerdings das Risiko, dass eventuell falsche Anreize gesetzt würden und dass nicht kontrolliert werden könne, wo die Nachbarn das Geld ausgeben. Das wirtschaftsstarke Deutschland fürchtet etwa, dann mehr Zinsen zahlen zu müssen als im Alleingang.

Vorschlag: Zweckgebundene „Corona-Bonds“

Zur Gründung der vor zehn Jahren diskutierten Euro-Bonds kam es nie, da wirtschaftlich starke Länder fürchteten, für die Schulden bereits hoch verschuldeter Staaten wie Griechenland oder Italien mithaften zu müssen. Stattdessen wurde der ESM zur Bankenstabilisierung gegründet. Argument gegen die Euro-Bonds war die Nichtbeistandsklausel (No Bailout), wonach kein EU-Staat für die Schulden eines anderen haftet.

Doch, und hierbei liegt der wesentliche Unterschied zwischen Euro-Bonds und „Corona-Bonds“, wären letztere nach den Vorschlägen ihrer Befürworterinnen und Befürworter zweckgebunden, dürften also nur genutzt werden, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise zu bekämpfen – und nicht etwa um Altlasten aus der letzten Finanzkrise zu bereinigen. Ähnliche Gemeinschaftsanleihen für einen bestimmten Zweck sind in der Tat nichts Neues. 1976 etwa dämpfte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Auswirkungen der Ölkrise für Italien mittels zweckgebundener gemeinschaftlicher Anleihen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
AP/Francois Lenoir
Von der Leyen forderte einen „Marshallplan für Europa“ – Bonds schließt sie nicht aus

Gerade die Nichtbeistandsklausel wirkt heute dehnbarer denn je. Selbst die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen meinte, zur Bekämpfung der Krise müsse man „alle Instrumente“ erwägen, auch „Corona-Bonds“ – etwas, das ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker nie durchsetzen hatte können. Von der Leyen hofft: „Wenn sie helfen, werden sie eingesetzt.“ Unter anderem Italien, Frankreich und Spanien sind für „Corona-Bonds“ und beharren weiterhin drauf.

„Sehe schwarz ohne gemeinschaftliche Krisenanleihe“

Doch sogar der einst extrem kritische Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sprach sich kürzlich in deutschsprachigen Medien klar für „Corona-Bonds“ aus. Vor zehn Jahren aber war er noch strikt dagegen gewesen und hatte drastische Worte gewählt: Euro-Bonds würden „einen europäischen Einheitsstaat vortäuschen“ und zu einem „vollständigen fiskalischen Haftungsverbund“ führen, so Hüther damals.

Komplett konträr der Ökonom heute: „Ohne eine gemeinschaftliche Krisenanleihe sehe ich schwarz für die Europäische Union“, warnte er in deutschen Medien. Man sollte sich einmal darauf einlassen – „es ist keine Dauerveranstaltung“, so der führende Wirtschaftsforscher. Doch woher der Sinneswandel? „Die Situation heute ist nicht vergleichbar mit 2011: Damals ging es um die Frage, ob man dauerhaft für die fiskalische Architektur der EU gemeinschaftliche Bonds zulassen will, heute geht es um eine befristete finanzpolitische Antwort auf die Corona-Krise“, sagte Hüther dem „Tagesspiegel“. Niemand sei für den Coronavirus-Schock verantwortlich: „Es geht um Solidarität, das war damals nicht der Fall.“

Ökonom befürchtet „Ende des europäischen Projekts“

Das Volumen der „Corona-Bonds“ sieht Hüther allerdings in enormem Ausmaß: „Es geht nicht um 100 Milliarden, sondern schon um 1.000 Milliarden.“ So gewaltig sei das aber auch wieder nicht, bedenke man, dass die Europäische Zentralbank (EZB) allein 750 Mrd. Euro für die Beruhigung der Staatsanleihenmärkte vorsehe, so der Ökonom im „Tagesspiegel“. „Die EU sollte helfen, Menschenleben in Italien und Spanien zu retten. Es geht um Leben und Tod und nicht um die Finanzierungen von Staudämmen in Mittelitalien“, sagte der IW-Direktor zur ARD und reihte sich damit ein in die Gruppe zahlreicher europäischer Ökonomen und Ökonominnen, die in der Coronavirus-Krise mehr sehen, als eine Wirtschaftskrise.

So auch der italienische Harvard-Ökonom Alberto Alesina zu ntv: „Das Argument, dass die Länder in der Vergangenheit Fehler in ihrer Finanzpolitik gemacht haben und deswegen ihre Bürger sterben müssen und ihre Wirtschaft wegen des Coronavirus zusammenbrechen muss, ist nicht nur unmoralisch, es ist auch ökonomisch sinnlos, denn der Zusammenbruch einiger Volkswirtschaften in der Euro-Zone wird auch sehr schlechte Auswirkungen auf die anderen haben. Es wäre das Ende des europäischen Projekts", warnte Alesina.

Ähnlich der EU-Experte Stefan Lehne vom Brüsseler Thinktank Carnegie Europe: Er sieht die Maßnahmen der Finanzminister als nicht ausreichend an und sprach sich ebenfalls für eine gemeinsame Schuldenaufnahme aus. „Die Maßnahmen sind nützlich, werden aber bei Weitem nicht ausreichen“, so Lehne. „Gemeinsame Schuldenaufnahme wäre zweckmäßig, nicht nur zur Bewältigung der Krise, sondern längerfristig auch zur Konsolidierung der Euro-Zone.“ „Angesichts der tiefen ideologischen Gegensätze“ sieht der Experte jedoch „derzeit wenig Chancen dafür“.

IWF vergleicht Einbruch mit Großer Depression

Selbst die EZB zeigte sich zuletzt nicht komplett gegen „Corona-Bonds“. Notenbankchefin Christine Lagarde hatte das den EU-Finanzministern nahegelegt, meinte aber in der französischen Zeitung „Le Parisien“ gleichzeitig, dass sie eine „Fixierung“ auf „Corona-Bonds“ nicht dezidiert befürworte. Zuvor hatte sich EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAZ“) vorsichtig pro „Corona-Bonds" geäußert. „Es kann einem Land nicht egal sein, was in einem anderen europäischen Land passiert – nicht nur aus Solidarität, sondern auch aus ökonomischen Gründen“, so Schnabel.

Die weltweiten Aussichten für die Zeiten nach der Coronavirus-Krise sind düster. Laut dem Münchner Ifo-Institut dürfte die Wirtschaftsleistung in der Euro-Zone im ersten Quartal um 2,3 Prozent geschrumpft sein. Für das Frühjahr wird mit einem Einbruch von 10,5 Prozent gerechnet. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet wegen der Pandemie mit einem katastrophalen Jahr für die Weltwirtschaft. Es werde wohl den stärksten Einbruch seit der Großen Depression vor fast 100 Jahren geben, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa. Ermutigend sei aber, dass Regierungen rund um den Globus bereits rund acht Billionen Dollar an Finanzhilfen bereitgestellt hätten.

Am Freitag berief die EU dann einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs per Videokonferenz am 23. April ein, wo es um die Bewältigung der Wirtschaftskrise wegen der Coronavirus-Pandemie gehen soll. Die EU müsse die Grundlage für eine „robuste wirtschaftliche Erholung“ nach der Krise schaffen, forderte EU-Ratspräsident Charles Michel.