Protest in Washington
APA/AFP/Olivier Douliery
Trotz Ausgangssperren

Proteste gegen Rassismus in USA halten an

Die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA halten an. Trotz lokaler Ausgangssperren kamen am Dienstag landesweit Zehntausende Menschen zu Kundgebungen zusammen. Die Demonstrationen blieben weitgehend friedlich. Das US-Militär verlegte rund 1.600 Soldatinnen und Soldaten an Stützpunkte um die Hauptstadt Washington.

Große Märsche fanden in Los Angeles, Philadelphia, Atlanta und New York und Washington DC statt. Auf dem Hollywood Boulevard in Los Angeles füllten Hunderte von Menschen die Straßen und marschierten an berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Andere versammelten sich vor der Hauptpolizeistation in der Innenstadt, umarmten Polizistinnen und Polizisten und reichten einander die Hände als Zeichen des Friedens. Auslöser ist die Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in der Stadt Minneapolis am 25. Mai.

Los Angeles’ Bürgermeister Eric Garcetti und Polizeibeamte knieten in einer symbolträchtigen Geste nieder, als sie sich mit Demonstranten trafen. Der Kniefall wird von vielen Protestteilnehmern praktiziert. Die Geste geht auf den Football-Star Colin Kaepernick zurück, der damit 2016 während des Spielens der Nationalhymne gegen Polizeigewalt demonstriert hatte.

Protest vor dem Weißen Haus in Washington
APA/AFP/Andrew Caballero-Reynolds
Auch vor dem Weißen Haus versammelten sich erneut Hunderte Menschen – trotz der Ausgangssperre

In New York marschierten Tausende friedlich die 86th Street hinauf, hielten Schilder mit der Aufschrift „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ und skandierten „Sag seinen Namen – George Floyd“, gefolgt von einer stillen Mahnwache. In Floyds Heimatstadt Houston versammelten sich 60.000 Menschen zu einem von seinen Freundinnen und Freunden und seiner Familie organisierten Marsch.

Mutter von Floyds Tochter fordert Gerechtigkeit

In Minneapolis forderte Roxie Washington, die Mutter von Floyds sechsjähriger Tochter Gianna, Gerechtigkeit und sagte, Floyd sei ein guter Vater und guter Mensch gewesen, der es nicht verdient habe, unter dem Gewicht von drei Polizisten mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehsteig zu sterben. „Am Ende des Tages können sie nach Hause gehen und bei ihren Familien sein“, sagte Washington. „Gianna hat keinen Vater mehr. Er wird sie nicht aufwachsen sehen, nicht bei ihrem Schulabschluss dabei sein. Er wird sie nie als Braut zum Altar führen können.“

Nach Einbruch der Dunkelheit schlugen die friedlichen Demonstrationen trotz der Ausgangssperre teilweise in Gewalt um: Es kam in mehreren Städten zu Ausschreitungen, Vandalismus, Brandstiftung und Plünderungen. Demonstrierende zertrümmerten Fenster und plünderten Luxusgeschäfte in der Fifth Avenue in New York und setzten ein Einkaufszentrum in Los Angeles in Brand.

In einigen Städten wurden Polizeibeamte mit Steinen und Gegenständen beworfen. In zwei Städten wurden nach offiziellen Angaben fünf Polizisten von Schüssen getroffen, einer wurde schwer verletzt. Vor dem Weißen Haus protestierten Hunderte und skandierten Slogans wie „Wir bewegen uns nicht“ und „Scheiß auf eure Ausgangssperre“.

Polizei in Minneapolis: Praktiken werden untersucht

Nach der Tötung von Floyd wird die Polizei in Minneapolis einer eingehenden Untersuchung wegen möglicher diskriminierender Praktiken unterzogen. Der Gouverneur des Bundesstaats Minnesota, Tim Walz, teilte am Dienstag (Ortszeit) mit, die Menschenrechtsabteilung seiner Verwaltung habe eine Bürgerrechtsklage gegen die Polizeibehörde der Großstadt eingebracht. Nun würden deren Richtlinien, Verfahren und Praktiken der vergangenen zehn Jahren untersucht, um herauszufinden, ob die Polizei in Minneapolis systematisch Minderheiten diskriminiert habe.

Demonstranten in Los Angeles
AP/Mark J. Terrill
Demonstrantinnen und Demonstranten in Los Angeles kurz vor ihrer Verhaftung wegen des Bruchs der Ausgangssperre

Mehrheit sympathisiert mit Protesten

Laut einer am Dienstag veröffentlichten Reuters-Ipsos-Umfrage sympathisiert eine Mehrheit von 64 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger mit den Protesten. Mehr als 55 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Umgang von US-Präsident Donald Trump mit den Protesten missbilligten, darunter 40 Prozent, die sein Vorgehen „stark“ missbilligten. Ein Drittel der Befragten steht laut der Umfrage hinter Trump.

Soldaten vor dem Lincoln Memorial in Washington
Reuters/James Harnett
Armee und Polizei vor dem Lincoln Memorial in Washington

Das US-Militär hat nach eigenen Angaben rund 1.600 Soldatinnen und Soldaten an Militärstützpunkte rund um Washington verlegt, um die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt angesichts der anhaltenden Proteste bei Bedarf unterstützen zu können. Die Militärpolizei und Infanterie stünden bereit, um gegebenenfalls unterstützend einzugreifen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Minister Mark Esper habe die Verlegung der Soldaten angeordnet, hieß es weiter.

Biden: „Weckruf für die Nation“

Der designierte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, Joe Biden, kritisierte den Umgang von Amtsinhaber Trump mit der Tötung von Floyd durch einen Polizisten scharf. In seiner ersten großen Rede seit dem Vorfall in Minneapolis und den landesweiten Protesten gegen Rassismus sprach er von einem „Weckruf für die Nation“.

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden
AP/Matt Rourke
Biden: Trump hat „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“

Trump habe „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“, sagte der Ex-Vizepräsident am Dienstag bei einer Ansprache in Philadelphia. Trump glaube, dass ihm „Spaltung“ nütze. „Wir befinden uns in einer Schlacht um die Seele dieser Nation“, sagte Biden und wiederholte damit einen seiner Wahlkampfslogans.

Der 77-Jährige kritisierte zudem erneut Trumps Besuch einer Kirche in Washington am Montag, die bei Ausschreitungen beschädigt worden war. Die Sicherheitskräfte hatten eine friedliche Protestversammlung vor der nahe dem Weißen Haus gelegenen St.-John’s-Kirche unmittelbar davor gewaltsam und unter Einsatz von Tränengas aufgelöst, damit der Präsident medienwirksam zu dem Gotteshaus gehen konnte.

Kampf gegen „systemischen Rassismus“ versprochen

Das zeige, dass es Trump mehr um „Macht als um Prinzipien“ gehe, sagte Biden. Der Demokrat verwies zudem auf einen Moment, an dem Trump vor der Kirche eine Bibel in die Höhe hielt. „Ich wünschte, er würde sie ab und zu öffnen, statt mit ihr zu wedeln. Wenn er sie öffnen würde, könnte er etwas lernen.“ Das Land schreie „nach Führung, einer Führung, die uns vereinen kann“, so Biden.

Donald Trump vor der  St.-John’s-Kirche
AP/Patrick Semansky
Trump mit Bibel beim Fotoshooting vor der St.-John’s-Kirche

Für den Fall eines Sieges bei der Präsidentschaftswahl im November kündigte der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama an, den „systemischen Rassismus“ im Land zu bekämpfen. Er wolle sich für eine Aussöhnung zwischen Afroamerikanern und Weißen einsetzen. Notwendig sei unter anderem eine Polizeireform. „Wir können diesen Moment nicht verlassen und glauben, wir könnten uns erneut abwenden und nichts tun.“

Trump drohte mit Einsatz des Militärs

Von vielen Seiten wird Trump derzeit vorgeworfen, durch seine Äußerungen die Spannungen nach der Tötung Floyds durch einen Polizisten weiter gezielt zu verschärfen. Der Präsident forderte wiederholt ein hartes Vorgehen gegen Randalierer. Auf die Umstände der Tötung – der Polizist kniete minutenlang mit dem Knie auf Floyds Hals – ging Trump kaum ein. Bei einer Ansprache im Weißen Haus drohte er am Montag mit einem Einsatz des Militärs.

Biden versucht, sich als Gegenpol zu Trump zu positionieren. Er beschwört die Einheit des Landes, sucht den Dialog mit Afroamerikanern und versucht sich mitfühlend zu zeigen. Bei afroamerikanischen Wählern hat er großen Rückhalt – insbesondere wegen seiner acht Jahre als Vizepräsident Obamas. Umfragen sehen ihn fünf Monate vor der Wahl vor Trump, allerdings sind solche Zahlen nur bedingt aussagekräftig.

Trump-Besuch von Papst-Denkmal in der Kritik

Auch der jüngste Besuch Trumps bei einer kirchlichen Einrichtung, einem Schrein für Papst Johannes Paul II. in Washington, stieß nun auf scharfe Kritik. Der Erzbischof von Washington, Wilton Gregory, sagte am Mittwoch, er finde es „verwerflich“, dass eine katholische Einrichtung auf diese Weise missbraucht und manipuliert werde. Johannes Paul II. sei ein Verfechter von Menschenrechten gewesen, betonte der afroamerikanische Geistliche.

Donald Trump und Melania Trump
AP/Patrick Semansky
Donald und Melania Trump vor einer Statue von Papst Johannes Paul II.

Trump und First Lady Melania hatten am Dienstag einen Kranz am Denkmal des verstorbenen Papstes niedergelegt. Bezugnehmend auf den Auftritt Trumps vor der St.-John’s-Kirche sagte Gregory, Johannes Paul II. hätte den Einsatz von Tränengas gegen Demonstrantinnen und Demonstranten für einen Fototermin vor einer Kirche sicherlich nicht gutgeheißen.

Die Bischöfin der Episkopaldiözese Washington, Mariann Edgar Budde, hatte Trumps Vorgehen bereits am Montagabend kritisiert. Sie sagte dem Sender CNN, der Präsident habe eine der Kirchen ihrer Diözese „ohne Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft verwendet, die den Lehren Jesu und allem widersprechen, wofür unsere Kirchen stehen“. Er habe den Einsatz von Tränengas gebilligt, um den Weg zur Kirche zu räumen, und er ignoriere den Schmerz der Menschen im Land.

Neben Religionsvertreterinnen und -vertretern kritisierten auch Bibelwissenschaftler Trumps Auftritt. Der Präsident habe mit dem Auftritt „missbraucht, was vielen eine geschätzte geistige Quelle und ein Symbol ist“, und auch eine „heilige Stätte verletzt“, heißt es in einem offenen Brief der Society of Biblical Literature, der nach eigenen Angaben weltgrößten Fachgesellschaft für biblische Wissenschaften – mehr dazu in religion.ORF.at.