Ein Demonstrant mit Megafon in Los Angeles
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Nach Trump-Drohung

Verteidigungsminister gegen Militäreinsatz

US-Verteidigungsminister Mark Esper hat sich gegen einen Militäreinsatz bei den derzeitigen Protesten ausgesprochen, wie ihn Präsident Donald Trump angedroht hat. 1.600 Soldaten stehen allerdings in Washington bereit. Während drei weitere US-Polizisten im Fall George Floyd angeklagt werden, schwappen die Proteste auch nach Europa über.

Der Einsatz von Berufssoldaten im Inland sollte nur das „letzte Mittel“ in den „dringlichsten und äußersten Situationen“ sein, sagte Esper am Mittwoch im Pentagon. „Wir befinden uns derzeit nicht in einer solchen Situation.“ Er sei deswegen gegen einen Rückgriff auf das Aufstandsgesetz („Insurrection Act“), das dem Präsidenten einen Einsatz der Streitkräfte im Inland erlaubt, sagte Esper.

Das US-Militär verlegte nach eigenen Angaben rund 1.600 Soldaten auf Militärstützpunkte rund um Washington, um die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt angesichts der anhaltenden Proteste bei Bedarf unterstützen zu können. Die Militärpolizisten und Infanteristen stünden bereit, um gegebenenfalls unterstützend einzugreifen, erklärte das Verteidigungsministerium am Dienstagabend (Ortszeit).

US-Präsident Donald Trump
Reuters/Tom Brenner
Trump drohte, „Abertausende“ Berufssoldaten zu entsenden, um den Ausschreitungen Einhalt zu gebieten

Trump-Sprecherin reagiert reserviert auf Esper-Aussage

Nachdem Esper sich gegen den Einsatz des US-Militärs ausgesprochen hat, deuten Äußerungen von Trumps Sprecherin Kayleigh McEnany nun darauf hin, dass die Äußerungen des Pentagon-Chefs beim Präsidenten nicht auf große Begeisterung gestoßen sind. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, sagte am Mittwoch in Washington, der Präsident habe die alleinige Befugnis, das Aufstandsgesetz zu aktivieren.

Es sei definitiv ein Instrument, das ihm zur Verfügung stehe. „Wenn nötig, wird er es einsetzen.“ Auf die Frage von Journalisten, ob der Präsident angesichts von Espers Äußerungen noch Vertrauen in seinen Verteidigungsminister habe, reagierte McEnany auffallend reserviert. „Wenn er das Vertrauen in Minister Esper verliert, werden Sie sicher alle als Erste davon erfahren“, sagte sie.

Konkrete Pläne für Militäreinsatz vorhanden

Trump hatte am Montag in einer Ansprache damit gedroht, das Militär einzusetzen, um gegen die Unruhen am Rande von Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus vorzugehen. Sollten Städte und Bundesstaaten angesichts der Ausschreitungen nicht die nötigen Gegenmaßnahmen ergreifen, werde er das Militär entsenden und „das Problem schnell für sie lösen“.

Das sorgte für scharfe Kritik. Die oppositionellen Demokraten warnten davor, US-Soldaten und -Soldatinnen gegen US-Bürgerinnen und -Bürger einzusetzen. Im Einsatz ist allerdings bereits an vielen Orte die Nationalgarde, die aus Reservisten besteht. Verteidigungsminister Esper sagte am Mittwoch, die Nationalgarde sei seiner Meinung nach am besten geeignet, im Inland die zivilen Behörden in solchen Situationen zu unterstützen.

Die Nachrichtenagentur AP berichtete, dass Espers Ministerium Pläne dazu, wie aktive Militärangehörige entsandt werden könnten, ausgearbeitet habe. Jene Pläne hätten gezeigt, dass Soldaten der Armee das Weiße Haus und andere Bundesgebäude schützen sollten, falls sich die Situation in Washington DC verschlimmere und die aus Reservisten bestehende Nationalgarde den Schutz nicht gewährleisten könne. AP berichtete aber auch, dass das Interesse an einem Militäreinsatz im Weißen Haus nach Kritik und Bedenken aus den eigenen Reihen wieder abgenommen habe.

„Rassismus ist eine Realität in Amerika“

Trump hatte zuletzt erklärt, „Abertausende“ Berufssoldaten – und damit nicht mehr „nur“ Reservisten – einsetzen zu wollen, um Ausschreitungen am Rande der friedlichen Proteste nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis einen Riegel vorzuschieben. Trump forderte wiederholt ein hartes Vorgehen gegen Randalierer. Auf die Umstände der Tötung – der Polizist kniete minutenlang mit dem Knie auf Floyds Nacken – ging Trump kaum ein.

Esper äußerte sich indes mit eindringlichen Worten über den Fall Floyd und soziale Ungerechtigkeit im Land. Was Floyd passiert sei, geschehe zu oft in den USA, beklagte Esper. „Rassismus ist eine Realität in Amerika.“ Es sei wichtig, dieses Problem offen anzusprechen, es zu erkennen, anzugehen und auszurotten. Auch UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet verurteilte am Mittwoch den „strukturellen Rassismus“ in den USA. „Die Stimmen, die ein Ende der Morde an unbewaffneten Afroamerikanern fordern, müssen gehört werden. Die Stimmen, die ein Ende der Polizeigewalt fordern, müssen gehört werden“, erklärte Bachelet.

Biden will „systemischen Rassismus“ bekämpfen

Der designierte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten, Joe Biden, kritisierte den Umgang von Amtsinhaber Trump mit der Tötung von Floyd durch einen Polizisten scharf. In seiner ersten großen Rede seit dem Vorfall in Minneapolis und den landesweiten Protesten gegen Rassismus sprach er von einem „Weckruf für die Nation“.

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden
AP/Matt Rourke
Biden: Trump hat „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“

Trump habe „dieses Land in ein Schlachtfeld verwandelt, das von alter Verbitterung und neuen Ängsten getrieben wird“, sagte der Ex-Vizepräsident am Dienstag bei einer Ansprache in Philadelphia. Trump glaube, dass ihm „Spaltung“ nütze. „Wir befinden uns in einer Schlacht um die Seele dieser Nation“, sagte Biden und wiederholte damit einen seiner Wahlkampfslogans. Für den Fall eines Sieges bei der Präsidentschaftswahl im November kündigte der einstige Stellvertreter von Präsident Barack Obama an, den „systemischen Rassismus“ im Land zu bekämpfen. Notwendig sei unter anderem eine Polizeireform.

Märsche in vielen US-Städten

Unterdessen fanden große Märsche in diversen anderen US-Städten statt, unter anderem in Los Angeles, Philadelphia, Atlanta und New York. Auf dem Hollywood Boulevard in Los Angeles füllten Hunderte von Menschen die Straßen und marschierten an berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Andere versammelten sich vor der Hauptpolizeistation in der Innenstadt, umarmten Polizistinnen und Polizisten und reichten einander die Hände als Zeichen des Friedens.

Los Angeles’ Bürgermeister Eric Garcetti und Polizeibeamte knieten in einer symbolträchtigen Geste nieder, als sie sich mit Demonstranten trafen. Der Kniefall wird von vielen Protestteilnehmern praktiziert. Die Geste geht auf den American-Football-Star Colin Kaepernick zurück, der damit 2016 während des Abspielens der Nationalhymne gegen Polizeigewalt demonstriert hatte.

Protest vor dem Weißen Haus in Washington
APA/AFP/Andrew Caballero-Reynolds
Auch vor dem Weißen Haus versammelten sich erneut Hunderte Menschen – trotz der Ausgangssperre

Blasio: „Überwiegend friedliche“ Proteste

In New York marschierten Tausende friedlich die 86th Street hinauf, hielten Schilder mit der Aufschrift „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ und skandierten „Sag seinen Namen – George Floyd“, gefolgt von einer stillen Mahnwache. In Floyds Heimatstadt Houston versammelten sich 60.000 Menschen zu einem von seinen Freundinnen und Freunden und seiner Familie organisierten Marsch.

Nach Einbruch der Dunkelheit schlugen die friedlichen Demonstrationen trotz der Ausgangssperre teilweise in Gewalt um: Es kam in mehreren Städten zu Ausschreitungen, Vandalismus, Brandstiftung und Plünderungen. Demonstrierende zertrümmerten Fenster und plünderten Luxusgeschäfte in der Fifth Avenue in New York und setzten ein Einkaufszentrum in Los Angeles in Brand. In der Nacht auf Mittwoch seien die Demonstrationen in New York nach Einschätzung von Bürgermeister Bill de Blasio „überwiegend friedlich“ verlaufen. Im Vergleich zu den Nächten davor sei es ein „ganz anderes Bild“ gewesen, sagte de Blasio am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

Mitglieder der Nationalgarde knien in Los Angeles Arm in Arm mit einem Demonstranten
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Auch zu solchen Szenen ist es in den vergangenen Tagen immer wieder gekommen: Einsatzkräfte protestieren Seite an Seite mit Demonstrierenden

Proteste auch in Europa

Zu Protesten kam es auch in Europa. In London versammelten sich Tausende Menschen am Mittwoch im Hyde Park und zogen zum britischen Parlament. Aufgerufen zu der Demonstration hatte die Initiative „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben Zählen). Einige Demonstrierende hielten Plakate in die Höhe mit Aufschriften wie „Großbritannien ist nicht unschuldig: weniger rassistisch ist immer noch rassistisch“. Manche der Demonstranten beschimpften Trump und den britischen Premierminister Boris Johnson in Sprechgesängen.

Demonstranten stehen in London Polizisten gegenüber
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
„Black Lives Matter“ war auch auf den Schildern der Demonstrierenden in London zu lesen

Parallelen zu Fall in Frankreich

Unter dem Eindruck der Proteste in den USA waren am Dienstagabend auch in Frankreich Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Anlass für eine nicht genehmigte Kundgebung in Paris mit 20.000 Teilnehmern waren neue medizinische Befunde zum Tod eines schwarzen jungen Mannes 2016.

Die Demonstrationen in Paris und anderen Städten standen unter dem Motto „Gerechtigkeit für Adama Traore“. Der 24-Jährige aus der Pariser Vorstadt Beaumont-sur-Oise war in Polizeigewahrsam gestorben, nachdem er Widerstand gegen die Festnahme seines Bruders geleistet hatte. Am Mittwoch kündigte die Regierung mögliche Konsequenzen an. Innenminister Christophe Castaner sagte, „jeder Exzess“ und jede rassistische Äußerung eines Polizisten würden eine Untersuchung und Sanktionen nach sich ziehen.

Menschen in Stockholm auf der Straße

Trotz des Verbots von Versammlungen mit mehr als 50 Teilnehmern protestierten am Mittwochabend auch Tausende Menschen in Stockholm gegen Rassismus. Die Demonstranten versammelten sich zunächst auf dem zentralen Platz Sergels Torg, ehe die Polizei die Versammlung aufgrund der großen Menschenmenge aufzulösen versuchte. Die Protestteilnehmer zogen daraufhin über die größeren zentralen Straßen der schwedischen Hauptstadt und brachten ihre Solidarität mit Schwarzen und der Bewegung „Black Lives Matter“ zum Ausdruck. Zu Protesten und Ausschreitungen kam es auch in Athen und Rotterdam.

Alle beteiligten Polizisten werden angeklagt

In Minneapolis wird nach der Tötung von Floyd die Polizei einer eingehenden Untersuchung wegen möglicher diskriminierender Praktiken unterzogen. US-Senatorin Amy Klobuchar gab am Mittwoch bekannt, dass drei weitere Polizisten in dem Fall offiziell beschuldigt würden. Zugleich würden die Vorwürfe gegen den Polizisten Derek Chauvin verschärft, der Floyd minutenlang das Knie auf den Nacken gedrückt hatte. Anstelle eines „Mordes dritten Grades“ werde ihm fortan ein „Mord zweiten Grades“ zur Last gelegt. Somit wird gegen alle vier beteiligten und inzwischen entlassenen Polizisten Anklage erhoben.

Am Donnerstag findet eine Trauerfeier in Form eines Gedenkgottesdienstes für Floyd statt. Am Dienstag kommender Woche soll er nach Angaben der Familie in Houston beerdigt werden, wo er aufgewachsen war. Bei dem Polizeieinsatz in Minneapolis hatte einer von vier beteiligten Beamten Floyd fast neun Minuten lang sein Knie in den Nacken gedrückt – trotz aller Bitten des 46-Jährigen, ihn atmen zu lassen. Floyd war festgenommen worden, weil er verdächtigt wurde, mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben. Die vier Polizisten wurden nach Bekanntwerden von Videos des Einsatzes entlassen.

Amerika in der Krise

Hannelore Veith berichtet über ihrer Zeit als ORF-Korrespondetin in den USA. Derzeit befindet sie sich in Washington, wo sie die Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt beobachtet.

Trump: Räumung von Weg zu Kirche „nicht angeordnet“

Trump hat nach eigenen Angaben nichts mit dem Einsatz gegen Demonstranten zu tun gehabt, als er sich vom Weißen Haus mit Geleit zu Fuß auf den Weg zu einer Kirche machte und dort mit einer Bibel für Kameras posierte. Er habe die Räumung der Strecke nicht angeordnet, sagte Trump zwei Tage nach dem Vorfall in einem am Mittwoch gesendeten Radiointerview des Senders Fox News. Trump widersprach auch der Darstellung von Augenzeugen und Reportern, wonach gegen die friedlichen Demonstranten Tränengas eingesetzt wurde. Das sei nicht der Fall gewesen.

Zudem bestritt Trump, während der Anti-Rassismus-Proteste in Washington aus Sicherheitsgründen vorübergehend in den Bunker des Weißen Hauses gebracht worden zu sein. Er habe sich nur eine „winzige, kleine, kurze Zeit“ in dem Bunker aufgehalten, „und es war mehr eine Inspektion“, sagte Trump am Mittwoch in einem Interview mit dem konservativen Sender Fox News. Die „New York Times“ hatte berichtet, dass Trump am Freitagabend angesichts von Ausschreitungen nahe dem Weißen Haus von Personenschützern in den Bunker unter seinem Amtssitz gebracht worden sei.