Geöffnete Tür zum Untersuchungsausschusslokal VII
ORF.at/Carina Kainz
„Ibiza-Video“

Licht und Schatten im U-Ausschuss

Im „Ibiza“-U-Ausschuss geht es heiß her. Nicht, weil es im Sitzungslokal mangels Fenstern an Frischluft fehlt, sondern weil die Befragungen Licht in die teils verästelte Causa bringen. Die „Schattenaffäre“ und der Fund des gesamten „Ibiza“-Materials rückten die Ermittlungen in den Fokus. Dass ein Privatmann dem Ausschuss das „Ibiza-Video“ anbietet, macht die Aufklärung um eine Facette reicher.

Johannes Eisenberg, deutscher Anwalt des mutmaßlichen Drahtziehers des „Ibiza-Videos“ Julian H., hatte am Donnerstag erklärt, dass weder die Sonderkommission „SoKo Ibiza“ noch eine Staatsanwaltschaft je bei seinem Mandaten um das Video angesucht hätten. Er würde dieses aber der Justizministerin Alma Zadic (Grüne), dem Vorsitzenden des U-Ausschusses, Wolfgang Sobotka (ÖVP), und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zur Verfügung stellen – unter der Bedingung, dass das Video nicht öffentlich zugänglich ist. Gerichte, Staatsanwaltschaften und U-Ausschuss-Mitglieder könnten es sehen.

Für die Abgeordneten sind das erfreuliche Nachrichten. Seit Wochen warten sie auf das vollständige Material, das die „SoKo Ibiza“ Ende April in einer Wohnung in Wiener Neustadt beschlagnahmte. Ende Mai wurden die Öffentlichkeit und Teile der Justiz via Pressemitteilung darüber informiert. Gefunden wurde laut Ermittler und Ermittlerinnen Video- und Audiomaterial im Ausmaß von knapp 21 Stunden. Eisenberg sagte, dass er das „Hauptvideo des ‚Ibiza-Videos‘“ übermitteln könnte, das sieben Stunden lang ist und auch der „Süddeutschen Zeitung“ und dem „Spiegel“ in dieser Form vorgelegen sei.

Am Ende entscheidet Sobotka

Freilich ist das die Wendung im Zuständigkeitenwirrwarr rund um das „Ibiza“-Material schlechthin, hat aber auch zu neuen Wegen geführt. Denn während das beschlagnahmte Material von der SoKo zunächst im Auftrag der Staatsanwaltschaft (StA) Wien ausgewertet werden musste und über die StA bzw. die WKStA, die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien und das Justizministerium an den Ausschuss übermittelt werden dürfte, kümmert sich das Parlament um das Angebot von Eisenberg. Es müsse geprüft werden, ob eine Privatperson dem Ausschuss das Video ohne Weiteres überlassen kann. Am Freitag lag ein Gutachten des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes (RLW) nicht vor.

Nationalratsptäsident und Vorsitz des „Ibiza“-Untersuchungsauschusses Wolfgang Sobotka (ÖVP)
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Die Entscheidung, ob das Angebot von Eisenberg angenommen wird, trifft am Ende Sobotka

Anfang der Woche wollen jedenfalls die Fraktionschefinnen und -chefs über das Angebot beraten. Am Freitag waren die Abgeordneten noch geteilter Meinung. Während NEOS und FPÖ dafür sind, das Video von H.s Anwalt anzunehmen, zeigte sich die SPÖ zurückhaltend, ÖVP und Grüne äußerten sich ablehnend. Bedenken gibt an der Herkunft und der Authentizität des Datenmaterials. „Natürlich wollen wir das Video“, sagte NEOS. Die FPÖ wolle dieses Video mit jenem Material der SoKo vergleichen. Am Ende liege die Entscheidung beim Ausschussvorsitz.

Das beschlagnahmte Material wollen alle Fraktionen für den Ausschuss haben. Dieses werde von Ermittlungsbehörden ausgewertet und überprüft. Auch die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten könnten so besser gewahrt werden. Ob mit der Weitergabe des „Ibiza“-Materials an den U-Ausschuss die Ermittlungen gefährdet werden, muss jedoch von der WKStA bewertet werden. Diese habe bereits Dateien von der SoKo erhalten, aber man bitte um genügend Zeit, da der Umfang sehr groß sei, hieß es auf ORF.at-Anfrage. Man müsse das Material in erster Linie für die strafrechtlichen Ermittlungen auswerten.

Zwei Narrative – ein Videofund

Die Verfahren waren freilich auch im U-Ausschuss Thema Nummer eins. Während die einen über „Ermittlungspannen“ sprachen und vor allem die Arbeit der SoKo infrage stellten, betonten andere „Misstrauen“ in die Staatsanwaltschaft. Zu viel sei aus den „Ibiza“-Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gedrungen, hieß es. Die Quelle der Leaks ist unklar, weil auf Akten neben Ermittlern auch Anwälte und Beschuldigte Zugriff haben. Im Fokus stand aber die Frage: Wieso wurde die WKStA nicht über den Fund des vollständigen „Ibiza“-Materials informiert?

Um die Debatte über diese Frage zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Ermittlungsstränge. Ausgehend von den sieben Minuten des „Ibiza-Videos“, die der Öffentlichkeit bekannt sind, ermittelt die WKStA seit Mai 2019 wegen mutmaßlicher Korruption, die StA Wien gegen die Hinterleute des Videos. Die „SoKo Ibiza“ arbeitet diesen Behörden, die beide den Auftrag zur Sicherstellung des Materials gegeben haben, zu. Am 20. April 2020 wurden die Video- und Audiodateien beschlagnahmt. Die StA Wien wurde am selben Tag darüber informiert und konnte drei Tage später bereits erste Szenen sichten. Die WKStA erfuhr – wie Justizministerin Zadic – am 27. Mai von dem Fund.

Presseaufkommen im Lokal VII vor der Befragung von HC Strache
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Der Medienandrang war zu Beginn der Befragung enorm

Hier gehen die Narrative auseinander. Während es aus der Justiz heißt, dass die „SoKo Ibiza“ auch die WKStA hätte informieren müssen, sagt das Innenministerium, dass alles korrekt abgelaufen sei. Denn, so die Begründung, man habe sich im August 2019 mit der WKStA und der StA Wien darauf geeinigt, dass jene Beweise, die sichergestellt werden, nur der Staatsanwaltschaft zu übermitteln seien, die den konkreten Auftrag erteilt hat. Für die Hausdurchsuchung am 20. April in Wiener Neustadt sei die StA Wien zuständig gewesen – und man sei, so die „SoKo Ibiza“, davon ausgegangen, dass es justizintern weitergetragen werde.

Viel Kommunikation nach außen, wenig nach innen

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft sei „brüskiert“ gewesen, sagte der Oberstaatsanwalt Matthias Purkart im U-Ausschuss. „SoKo Ibiza“-Leiter Andreas Holzer entgegnete einen Tag später, er empfinde es „nicht als brüskierend“, wenn man Anordnungen so umsetze wie besprochen. Für Justizministerin Zadic hätte die Sonderkommission beide Behörden informieren müssen. Sie selbst habe von dem Fund ebenfalls erst am 27. Mai aus den Medien erfahren. „Also, die Medienberichte sind aufgeschlagen, und dann sind natürlich alle in mein Zimmer gestürmt“, so Zadic bei ihrer Befragung.

Ihr Regierungskollege und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wusste von der Beschlagnahmung vor jenem Ministerrat am 20. Mai Bescheid, als er Justizministerin Zadic von einer gemeinsamen Pressekonferenz über „Ermittlungserfolge“ überzeugen wollte. „Ich kann mich jetzt nicht erinnern, die Justizministerin über das Video explizit oder im Detail informiert zu haben“, sagte Nehammer. Zadic stimmte einer Pressekonferenz nicht zu, wusste nichts vom „Ibiza“-Material, betonte aber im Ausschuss: „Ich erwarte nicht vom Innenminister, dass er mich über das informiert, was die Sonderkommission sichergestellt hat.“

HC Strache gibt ein Statement vor den Medien ab
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Als eine der ersten Auskunftspersonen war Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geladen

Dass die StA Wien weder der WKStA noch Zadic den Fund mitteilte, ließ manche mutmaßen, dass es auch in der Justiz Konflikte gibt. Auch hier schritt Zadic entgegen und sagte, dass eine Staatsanwaltschaft nur dann verpflichtet sei, „nach oben zu berichten, wenn bedeutende Verfahrensschritte (…) gesetzt wurden“. Es sei gut, dass nicht jeder einzelne Schritt berichtet werden muss. Denn nur so könne die Staatsanwaltschaft unabhängig ermitteln, „ohne dass die Ministerin über jeden Schritt und Tritt informiert sei“.

„Schattenaffäre“ beschäftigte U-Ausschuss

Über weitere Berichte und lesbare Beweismittel wäre jedenfalls die WKStA sehr erfreut, wie im U-Ausschuss Oberstaatsanwalt Purkart deutlich machte. Ein bei Casinos-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner sichergestellter Notizblock wurde durch den Scanvorgang der „SoKo Ibiza“ zum Teil unleserlich. Als die WKStA das Dokument bearbeitete, fanden sich unter dem schwarzen Streifen die Worte „Pröll redet mit Kurz am 2.10.“ Es wird vermutet, dass es um die Vorstandsbesetzung in der Casinos Austria AG gegangen sein soll. "Da hat es uns die Augen rausgehaut“, sagte der Oberstaatsanwalt. „Im Original war das aber sehr wohl lesbar.“

Laut Holzer wurde das Originalpapier (ein von Rothensteiner gemachtes Foto der Notiz, worauf auch der Schatten seines Handy zu sehen ist, Anm.) übergeben. Man habe sogar gesagt, dass der Scan, der in den digitalen Akt aufgenommen wird, schlecht sei. Purkart selbst betonte, er habe das Original als Vergleich herangezogen, weil die digitale Ausfertigung unbrauchbar war. Holzer beschwichtigte: Es sei eine Sicherungskopie gewesen. Dass die SoKo absichtlich diese Namen geschwärzt habe, falle unter die Kategorie „Verschwörungstheorie“.

Medienvertreter und Abgeordnete während des Kameraschwenks im Ausschusslokal VII
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Auskunftspersonen können entscheiden, ob von ihnen auf der Zeugenbank Fotos gemacht werden dürfen

Ein anderer Schatten hatte zuletzt auch die WKStA zu einer Klarstellung veranlasst. Der „Kurier“ hatte am Mittwoch berichtet, die Korruptionsstaatsanwaltschaft hätte Ermittler des Bundeskriminalamts beschatten lassen. „Zu viele Ermittler hätten in den Augen der WKStA eine Nähe zur ÖVP, weil das Innenministerium seit Jahrzehnten von ÖVP-Ministern geführt werde“, hieß es im Artikel. Die WKStA wies „die unrichtige Darstellung“ zurück.

WKStA führte Plausibilitätsprüfung durch

An der „SoKo Ibiza“ wurden seit Sommer 2019 Vorwürfe laut, dass sie parteiisch sein könnte. So kandidierte etwa der Ermittler Niko R. für die ÖVP bei einer Gemeinderatswahl, hatte in der Schredderaffäre weder das Mobiltelefon eines Kabinettsmitarbeiters von Bundeskanzler Kurz beschlagnahmt noch eine Nachschau am Laptop gemacht, und schrieb dem damaligen FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach dessen Rücktritt eine „Kopf-hoch-SMS“. Von der SMS wusste „SoKo Ibiza“-Leiter Holzer noch bevor die SoKo mit ihrer Arbeit begann. Eine SMS sei keine Befangenheit, so Holzer.

Die WKStA hatte im Sommer 2019 einen anonymen Hinweis erhalten, dass Ermittler der „SoKo Ibiza“ offenbar ÖVP-Mitglieder sind. Wegen Ermittlungen gegen ÖVP-Granden könnten sie befangen sein. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft teilte dem zuständigen Bundeskriminalamt den Verdacht mit. Weil es sich aber auch um einen anonymen Hinweis handelte, führte die WKStA eine sogenannte Plausiblitätsprüfung der Vorwürfe durch. Das bedeutet: Es wurde im Internet recherchiert, ob zum Beispiel Niko R. tatsächlich ÖVP-Mitglied war bzw. ist. Man habe die Vorwürfe grob geprüft, indem man öffentlich zugängliche Informationen durchgesehen habe, „umgangssprachlich googeln“, sagte ein WKStA-Sprecher zu ORF.at.

Generalsekretär Tomac zu „Ibiza“-Ermittlungen

Der Generalsekretär im Innenministerium, Helmut Tomac, spricht über die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Innenministerium bei den Ermittlungen in der „Ibiza“-Aufarbeitung. Verbesserungsbedarf gebe es bei der Zusammenarbeit mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Man müsse den Hinweisen nachgehen, weil man als WKStA für das Gesamtverfahren zuständig sei. Es sei aber nie jemand beschattet worden, wie es medial dargestellt wurde, betonte der Sprecher. Für das Innenministerium und den damaligen Justizminister Clemens Jabloner war das politische Engagement von R. allerdings kein Grund für Befangenheit. Trotzdem wurde der Beamte Anfang September einvernehmlich aus der Sonderkommission entfernt. Helmut Tomac, Generalsekretär im Innenministerium, erklärte, dass der Druck auf die Ermittlungen und auf die Privatsphäre von R. zu hoch wurde.