Weiße Briefkästen
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Hunderte Firmen, eine Adresse

Was Wien für Briefkastenfirmen attraktiv macht

Wenn von Offshore-Firmen und Briefkastenfirmen die Rede ist, fällt das zumeist in Zusammenhang mit Steuerparadiesen auf Inselstaaten. Doch ähnliche Konstruktionen gibt es auch in Österreich – zumindest wenn es nach der Einschätzung von Experten für Geldwäscheermittlungen geht. An den Adressen einiger Steuerberaterfirmen in Wien residieren Hunderte Unternehmen. Das ist an sich freilich nicht illegal – gleich einige Faktoren machen es aber schwer, etwaige Finanzdelikte aufzudecken.

Dass an einer Wohnadresse Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Unternehmen ihren Sitz haben, mag an sich auffällig wirken, in vielen Branchen ist es aber gängige Praxis. Im Bau- und Immobiliengeschäft etwa wird zumeist für jedes Projekt ein eigenes Subunternehmen gegründet, um den Schaden einzudämmen, sollte das Projekt scheitern. Auch steuerliche Vorteile gibt es.

Auch Büroservices für Einpersonenunternehmen sind Beispiele für zahlreiche Unternehmen auf einem Fleck. Interessanter wird es, wenn Wirtschaftstreuhänder und Steuerberater die Gründung von Unternehmen anbieten – vor allem wenn sie in einem Paket auch anbieten, den Geschäftsführer der Firma zu stellen.

Begehrter Firmensitz in der City

Ein solches Service wird nach Recherchen von Ö1, der ZIB2 und ORF.at etwa an einer Adresse in der Wiener Innenstadt angeboten, die von mehreren Steuerberatern genützt wurde und wird. Im Eckhaus Börseplatz 4/Esslinggasse 2 sind nach einer Auswertung des Firmenbuchs durch den Kreditschutzverband von 1870 derzeit 124 aktive Firmen gemeldet. Acht davon befinden sich in Liquidation.

Und es herrscht ein größeres Kommen und Gehen: 293 Gesellschaften, die im Firmenbuch an dieser Adresse eingetragen waren, sind laut KSV gelöscht oder mit anderen Firmen verschmolzen worden. Zudem weist der KSV zusätzlich den Firmensitz aus, der als eigentlicher Standort der Aktivitäten gilt. Zieht man den heran, sind es laut KSV gar 340 gelöschte Unternehmen. Berechnet man diese mit, ist es die Adresse mit den zweitmeisten GmbHs im österreichischen Firmenbuch – und an keiner anderen Steuerberateradresse gibt es derart viele Firmen. Mehrmals gab es im Ausland Ermittlungen oder Hinweise auf Geldwäsche über diese Adresse.

„Steuerlast minimieren“

Einer der Steuerberater dort, Andreas Valsky, betont gegenüber Ö1, dass alles legal ablaufe und dass er als Steuerberater eben darum bemüht sei, „die Steuerlast für unsere Klienten zu minimieren. Als freier Beruf sind wir ja dazu da, die Rechte der Klienten mehr oder weniger zu vertreten, zu verteidigen. Und das tun wir aus nationaler und internationaler Sicht.“ Laut seinen Angaben seien an der Adresse nur noch 117 Unternehmen aktiv, 54 vertrete seine Firma CTS.

Mit Offshore oder österreichischen Offshore-Gesellschaften habe das „gar nichts zu tun“, „entsprechende Steuergestaltungen“ gebe es „seit Jahren nicht mehr“. Man betreue vor allem einerseits Gesellschaften, die als Privatstiftungen in der Regel als Familienholdings gar nicht operativ tätig sind, und andererseits Handelsgesellschaften von Unternehmern aus Drittländern, die mit einer österreichischen Niederlassung den Bezug zum EU-Wirtschaftsraum herstellen. Dass die Firmen nur als Durchlaufposten für Rechnungen verwendet werden, schließe er „zu 100 Prozent aus“, sagte er Ö1: „Wir betreuen so etwas nicht.“

Weiße Briefkästen
ORF/Bernt Koschuh
16 Briefkästen, deutlich mehr Briefkastenfirmen an einer Adresse

Schwierige Strafverfolgung

Elena Scherschneva, bis 2018 Leiterin der Geldwäschemeldestelle im Bundeskriminalamt, weist im Gespräch mit dem ORF auf die strukturellen Hindernisse hin, die es für Behörden schwierig machen, etwaige Rechtsverstöße zu erkennen. In Sachen Geldwäsche werde es in Österreich erst mit Wissentlichkeit relevant, wenn also „der, der die Handlungen ausführt, weiß, dass es sich um kriminelles Geld handelt und dass er Geldwäsche begeht“. Je weniger man als Dienstleister nachfragt, desto weniger schöpft man Verdacht. Sollte das dennoch der Fall sein, müsste man den Verdacht den Behörden melden. Das geschah im Vorjahr bei Wirtschaftstreuhändern genau gerade in einer Handvoll Fällen.

Für die Behörden gibt es laut Scherschneva große Hürden, sie sieht Verbesserungsbedarf bei der Strafverfolgung. Für einen Anfangsverdacht und damit Ermittlungen sei ein bekannte „Vortat“ die Voraussetzung. Nur: Bei Geldwäsche geht es ja genau darum, die kriminellen Geschäfte zu verschleiern. Die Expertin verweist darauf, dass andere Länder bei Geldwäsche die Beweislast umgekehrt haben: Eigentümer größerer Vermögenswerte müssten nachweisen, dass das Geld aus einer legalen Quelle stammt.

Auch Marcus Schmitt, Oberstaaatsanwalt bei der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft (WKStA), sieht das Erfordernis einer spezifischen Vortat als Haupthindernis von Geldwäscheermittlungen. Und Scherschneva fordert auch, dass gegen diese Dienstleister ermittelt werden könne und nicht nur gegen die unmittelbaren Täter. Für die Finanz seien solche Briefkastenfirmen kaum relevant: Ohne Geschäftstätigkeit müssen sie hier keine Steuer abführen.

Prüfung nur durch Kammern

Auch der Geldwäsche-Sachverständige Rudolf Kellermayr spricht gegenüber dem ORF sehr wohl von einer „Art Offshore-Firma“ bei so manchen derartigen Firmenkonstrukten. Kriminelle nutzen laut Kellermayr oft das Service von Steuerberatern, Anwälte und Notaren, um über Firmen illegale Einnahmen reinzuwaschen.

Die überwiegende Zahl an Verdachtsmeldungen zu Geldwäsche an die Behörden werde von Banken erstellt: Diese seien am besten in der Lage, solche Machenschaften zu erkennen. Allerdings liege das vor allem daran, dass die zuständige Finanzmarktaufsicht (FMA) „intensivst bei den Banken geprüft hat und durch strenge Prüfungen und Strafen dafür gesorgt hat, dass hohe Standards bestehen“. Rechtsanwälte, Notare und Wirtschaftstreuhänder bzw. Steuerberater würden hingegen von ihrer jeweiligen Kammer geprüft. Inwieweit die Prüfungen „Tiefe und Strenge haben, kann ich nicht beurteilen“, so Kellermayr.

Gestellter Geschäftsführer „heikel“

Auch der Steuerberater und Honorarprofessor für Finanzrecht am Wiener Juridicum, Bernhard Vanas, sieht einen Teil der Firmen an derartigen Adressen kritisch: „Natürlich sind das Gesellschaften, die in Österreich nicht wirklich Geschäfte betreiben, und in dem Sinn sind sie natürlich offshore – weil die sind in der österreichischen Volkswirtschaft nicht echt tätig.“

Problematisch werde es eben dann, wenn Steuerberaterfirmen für ausländische Kunden eine Geschäftsführertätigkeit übernehmen, ohne zu wissen, was diese Gesellschaft macht. Vielen Steuerberatern sei das zu heikel. Er kenne einen Fall, bei dem der Geschäftsführer einer angeblich vermögenslosen Briefkastengesellschaft plötzlich eine 200-Millionen-Klage zugestellt bekommen habe. „Aber vielleicht machen es manche auch, weil es ein lukratives Geschäft ist, für jemanden als Strohmann zu gehen“, so Vanas zu Ö1.

Teilzeitmitarbeiter leitet 30 Firmen

Solche Gefahren sieht Valsky offenbar nicht: „Wenn jemand einen Geschäftsführer braucht, gibt es bei uns einen Mitarbeiter, der diese Funktion erfüllt.“ Die gesamte Geschäftsgebarung werde aber von der Kanzlei überwacht und durchgeführt. Allerdings war ein Ex-Mitarbeiter der Kanzlei Geschäftsführer von 220 Firmen. Aktuell ist ein Teilzeitmitarbeiter Geschäftsführer von 30 Firmen, sagt Valsky. Ein Problem sieht er dabei nicht: Es werde im Team kontrolliert. „Und dieser eine Mitarbeiter hat sich vor längerer Zeit dafür bereiterklärt.“ Mit Scheingeschäftsführern wie bei der Kanzlei Mossack Fonseca, die Hunderte Firmen vertreten haben, sei das nicht vergleichbar. Mossack Fonseca stand im Zentrum der „Panama Papers“, Enthüllungen über Offshore-Firmen vieler Prominenter und Reicher, die 2016 Schockwellen durch die ganze Welt gesandt hatten.

Verwicklungen mit German-Pellets-Pleite

Aber risikolos scheint die Tätigkeit an dieser Adresse in der Wiener City in den letzten Jahren nicht gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft Rostock ermittelt gegen den Gründer des deutschen Unternehmens German Pellets, er soll über eine Stiftung und österreichische Firmen Millionen an Anlegergeldern in die USA geschleust haben.

Wolfgang Zronek, Steuerberater am Börseplatz, war Vorstand der PELE-Stiftung, die Teil der German-Pellets-Konstruktion war. Gegenüber Ö1 sagt er: „Wenn man viele Klienten hat, wird auch einmal ein schwarzes Schaf dabei sein. Das ist normal.“ Derzeit sitzt er in 30 Vorständen von Privatstiftungen, früher seien es mehr gewesen: „Das ist ja eine Riesenkanzlei, da ist es schon statistisch wahrscheinlich, dass es Fälle gibt.“

Verbindungen dementiert

Einige Geschäftspartner wie auch die Adresse tauchten in mehreren Ländern in Berichten über Geldwäsche- und Korruptionsermittlungen auf. Bis 2009 gab es am Börseplatz 4 eine Firma, über die Siemens-Schmiergelder in schwarze Kassen geflossen sein sollen. 2013 warnte das amerikanische Finanzministerium vor einem Mittelsmann einer russisch-eurasischen Mafia-Organisation, er hatte am Börseplatz eine Firma. Angesprochen auf einige dieser vor allem älteren Fälle, weisen sowohl Valsky als auch Zronek gegenüber Ö1 Verbindungen dazu zurück: Damit habe man nichts oder wenn, dann nur kurz, zu tun gehabt.

Warum Österreich?

Die Hürden bei der Strafverfolgung sind nur ein möglicher Grund, warum Österreich als Standort für Briefkastenfirmen attraktiv ist. Rechtlich gesehen unterscheidet sich Österreich eigentlich durch die 4. EU-Geldwäscherichtlinie nicht maßgeblich von anderen EU-Staaten.

Das Rechercheprojekt

Unter dem Titel „Offshore Austria“ untersucht das ORF-Rechercheprojekt Briefkastenfirmen und Offshore-Konstruktionen in Österreich. Beteiligt sind Ö1 (Bernt Koschuh, Petra Pichler), die ZIB2 (Peter Babutzky, Kaspar Fink, Jakob Weichenberger) und ORF.at (Christian Körber).

Scherschneva verweist als Grund vor allem auf die geografisch günstige Lage von Wien und die historisch gewachsene Drehscheibe zwischen Ost und West – inklusive Flughafen Wien-Schwechat. Auch der Umstand, dass Österreich ein gesundes Wirtschaftssystem und stabile Investitionsmöglichkeiten hat, wirke wie ein Magnet. Und über Österreich werde das Tor in die restliche EU geöffnet.

Finanzprofessor Vanas verweist auf einen weiteren Grund: Der Erwerb von Immobilien ist für Ausländer in Österreich grundsätzlich genehmigungspflichtig, aber in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Sobald man als Ausländer aber eine österreichische Gesellschaft hat, löst sich dieses Problem auf – real spätestens bei einer doppelstöckigen Konstruktion mit einer Mutter- und einer Tochterfirma.