Wirecard-Zentrale
Reuters/Michael Dalder
Wirecard

Neue Details im Milliardenskandal

Der Hauptverdächtige im Wirecard-Skandal ist weiter flüchtig, doch mehren sich die Spuren. So gibt es offenbar ein Chatprotokoll, in dem Jan Marsalek die Vorwürfe zumindest nicht dementiert. Die bereits inhaftierten Manager des Finanzdienstleisters wollen nun mit den Ermittlungsbehörden kooperieren. Unterdessen gab die deutsche Regierung zu, dass schon über einige Jahre Vorwürfe bekannt waren.

Diese Vorwürfe gegen den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler hätten sich über Jahre gestreckt, so das deutsche Finanzministerium am Freitag. Den „Vorwürfen ist nachgegangen worden“, sagte ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz in Berlin. „Es sind auch Maßnahmen getroffen worden.“ Der Sprecher verwies auf Bußgelder, Prüfungen und Durchsuchungen. Das gesamte Ausmaß sei erst jetzt bekanntgeworden.

Das deutsche Finanzministerium will sich nun die Aufsichtsstrukturen näher ansehen, reformbedürftig sei etwa das zweistufige System der Bilanzprüfung. Hier sollen der Finanzaufsichtsbehörde mehr Möglichkeiten gegeben werden. Außerdem müsse es eine effektivere Kontrolle der Wirtschaftsprüfer geben. Bis zum Jahr 2018 seien die Abschlüsse von Wirecard für in Ordnung befunden worden, bemängelte der Sprecher des Finanzministeriums.

Manager wollen mit Behörden kooperieren

Einer der wichtigsten Beschuldigten im Bilanzskandal um den mutmaßlichen Milliardenbetrug beim DAX-Konzern will unterdessen mit der Staatsanwaltschaft kooperieren. Das bestätigte der Anwalt des in Untersuchungshaft sitzenden Ex-Chefs der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East am Freitag. „Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht – im Gegensatz zu anderen – zu seiner individuellen Verantwortung.“ Der Strafverteidiger betonte, dass er nicht von einem Geständnis gesprochen habe.

Die Münchner Staatsanwaltschaft erklärte, dass sie die Vernehmung weder bestätigen noch Angaben dazu machen könne. Ebenfalls kooperieren will der frühere Vorstandschef, der Österreicher Markus Braun, ehemals Vertriebsvorstand. Die Cardsystems Middle East spielte eine zentrale Rolle bei den mutmaßlichen Scheingeschäften, mit denen die Wirecard-Bilanzen um 1,9 Milliarden Euro aufgebläht wurden.

Von 45 Firmen nur drei profitabel

Wie aus der Bilanz der Konzernmuttergesellschaft Wirecard AG für das Jahr 2018 hervorgeht, meldete dieses Unternehmen den Großteil der verbuchten Gewinne. Von den insgesamt 45 Gesellschaften gab es demnach überhaupt nur drei, die nennenswert profitabel waren: Die Cardsystems in Dubai steuerte 237 Millionen Euro bei – mutmaßlich in Gänze oder zumindest zum allergrößten Teil erdichtet.

Diese Gesellschaft ist mittlerweile aufgelöst, über sie lief das Geschäft mit einem großen Subunternehmer namens Al Alam, der angeblich Zahlungen im Auftrag von Wirecard abwickelte, aber gar keine Lizenzen der großen Kreditkartenfirmen hatte. Das hatte die britische „Financial Times“ im vergangenen Jahr publik gemacht. Wie aus dem öffentlich einsehbaren Handelsregister von Al Alam hervorgeht, wurde das Unternehmen 2013 eingetragen, mittlerweile ist es ebenfalls aufgelöst.

Abgesehen von den mutmaßlichen Scheingewinnen der Cardsystems wurde bei Wirecard nicht allzu viel Geld verdient: Die Wirecard Technologies, die die tatsächlich existierende Bezahlplattform des Konzerns betreibt, verbuchte 2018 einen Gewinn von 129 Millionen Euro, eine irische Tochter 62 Millionen. Die übrigen Gesellschaften inklusive der Wirecard Bank machten entweder nur sehr kleine Gewinne oder schrieben Verluste.

Flüchtiger Marsalek chattete über Skandal

Laut einem Zeitungsbericht widersprach der weiterhin flüchtige Ex-Vorstand Marsalek den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht. „Ich dementiere die Vorwürfe auch nicht“, zitierte das „Handelsblatt“ am Donnerstag aus einer privaten Kommunikation Marsaleks mit einem Vertrauten über den Messengerdienst Telegram. Der gebürtige Österreicher schrieb demnach in dem Austausch am 21. Juni: „Einer muss Schuld haben, und ich bin die naheliegende Wahl.“

Auf die Frage, ob Braun überrascht gewesen sei, textet Marsalek demnach: „Es wäre schlimm, wenn er das nicht gewesen wäre.“ Und weiter: „Es geht zunächst mal darum, die Firma, Mitarbeiter und Kunden zu schützen. Ein vereinfachter Narrativ hilft da.“ Er betonte: „Also einer muss schuld sein – und ich qualifiziere mich ganz ausgezeichnet dafür.“ Allerdings sei er gerade schwer zu erreichen, schrieb Marsalek, der womöglich einen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort gab. Er sei an einem Ort, an dem „immer noch dieselben Leute am Ruder wie vor 25 Jahren“ seien. Allerdings hat er bereits eine Reihe von falschen Fährten gelegt.

Der Aufenthaltsort des ehemaligen Wirecard-Vorstands ist weiter unbekannt. Marsalek hatte über seinen Anwalt erklären lassen, sich nicht der Justiz stellen zu wollen. Marsalek war bei Wirecard für das operative Tagesgeschäft zuständig. Er war seit 2011 „Senator“ des der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft mit Sitz in Wien, ebenso wie sein Wirecard-Kollege Braun.