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APA/AFP/Kenzo Tribouillard
Einigung auf Finanzen

EU-Parlament fordert Nachbesserungen

Sowohl die EU-Staats- und Regierungschefs als auch EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich weitgehend erfreut über den am Dienstag verkündeten Deal zur Einigung auf die Finanzen der Union gezeigt. Doch das Europaparlament ist zum Teil anderer Meinung. Der Haushaltsansatz sei zu niedrig, weshalb die Abgeordneten Nachbesserungen fordern.

Die Verhandlungsgruppe des Parlaments begrüßte zwar, dass die 27 EU-Staats- und Regierungschefs eine Einigung auf die Finanzen der Union gefunden haben, forderte aber auch Änderungen, vor allem beim Haushaltsrahmen und beim Mechanismus für Rechtsstaatlichkeit. „Das Parlament kann nicht den neuen Rekordniedrigwert für den Haushaltsrahmen akzeptieren, weil dieser die langfristigen Ziele und die strategische Autonomie der EU gefährdet“, heißt es. Der EU-Gipfel hatte einen Haushaltsrahmen von 1,074 Billionen Euro bis 2027 beschlossen.

„Das Parlament ist zudem energisch dagegen, den Mechanismus zu verwässern, nach dem Zahlungen an Mitgliedstaaten reduziert und gestrichen werden können, wenn diese Rechtsstaatsprinzipien missachten“, so die Stellungnahme des Parlaments weiter. Darüber wolle man verhandeln.

Parlament muss zustimmen

Die Stellungnahme des Europaparlaments ist relevant, weil der Beschluss des EU-Gipfels noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments und auch der nationalen Parlamente braucht. Erst dann können die milliardenschweren Gelder aus dem geplanten Coronavirus-Aufbaufonds oder aus der ab 2021 beginnenden neuen siebenjährigen EU-Finanzvorausschau fließen. Ein Inkrafttreten wird bis Jahresende angepeilt. Dem Verhandlungsteam des Parlaments gehören sechs Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus verschiedenen Parteiengruppen an.

EU-Ratspräsident Charles Michel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die dänische Premierministerin Mette Frederiksen
Reuters/Stephanie Lecocq
Vier Tage lang war verhandelt worden

Aus diesem Grund plant das Parlament auch eine Sondersitzung am Donnerstag und unterbricht damit seine Sommerpause. Zuvor, am Mittwoch, soll es bereits Beratungen geben. Parlamentspräsident David Sassoli will auch schon erste Einblicke bekanntgeben. Die Abstimmung des Parlaments über den mehrjährigen Finanzrahmen soll voraussichtlich bei der nächsten regulären Plenarsitzung im September stattfinden.

Von der Leyen weist Kritik zurück

Aus dem Europaparlament wurde heftige Kritik laut, dass die neue Rechtsstaatsklausel unter dem Druck von Ländern wie Ungarn und Polen beim EU-Sondergipfel stark verwässert worden sei. Die Regierungen beider EU-Staaten erklärten sogar, die Koppelung der Auszahlung von EU-Geld an die Einhaltung von EU-Werten sei gestrichen worden. Von der Leyen wies die Kritik zurück.

„Wir haben hier ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat und zum Prinzip, dass die finanziellen Interessen der EU effektiv gewahrt werden müssen“, sagte von der Leyen. Zur Durchsetzung bekomme die EU-Kommission nun die nötigen Instrumente.„Der Europäische Rat hat grünes Licht gegeben, dass das europäische Budget im Lichte der Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden soll.“

Orban: Behauptungen „obskur“

Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban wies die Kritik an der rechtsstaatlichen Verfassung seines Landes als „obskur“ zurück. Die Vorhaltung, es gebe keine Pressefreiheit in Ungarn, sei ein „diffuser Vorwurf“, sagte Orban der „Bild“-Zeitung. Es sei „so obskur, dass es schwerfällt, überhaupt darauf zu reagieren“. Ungarn und andere mittel- und osteuropäische Länder hätten „ihre Freiheit nicht geerbt, sondern erkämpft“, sagte Orban weiter. Daraus resultierend sei „Rechtsstaatlichkeit für sie auch ein besonders wertvolles Gut“. Dieses könne und müsse „aber nur auf der Grundlage belastbarer und überprüfbarer Fakten diskutiert werden“.

Der ungarische Regierungschef forderte die Kritiker in den Reihen der EU-Politiker auf, Fakten zu nennen, anstatt mit allgemeinen, nicht belegten Vorwürfen Stimmung zu machen: „Wer eine Diktatur erlebt hat, weiß nur zu gut, dass Anschuldigungen gern in diffusen Terminologien verpackt und nie richtig konkretisiert wurden“, äußerte er weiter. Es müsse „glasklar definiert werden“, worauf die Vorwürfe der Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien gegen sein Land basierten – „und ob sie begründet sind oder eben nicht“.

„Green Deal“ bleibt „Hauptpriorität“

Von der Leyen wies auch die Kritik von Klimaaktivistin Greta Thunberg zurück, dass die globale Erwärmung im Haushalt ignoriert worden sei. „Ich sehe das anders“, sagte die CDU-Politikerin. „Die Klimaziele – wie viel Geld muss dem Klima dienen – sind gestiegen von 25 auf 30 Prozent“, sagte von der Leyen. „Und für die Wiederaufbaupläne der Mitgliedstaaten ist der European Green Deal eine der Hauptprioritäten. Der Just Transition Fund wird im Vergleich zum ursprünglichen Plan sogar verdoppelt. Hier ist ein deutlicher Schwerpunkt beim Klima.“

Dass Polen EU-Geld bekommen soll, obwohl es das Klimaziel für 2050 nicht mitträgt, kommentierte von der Leyen mit den Worten: „Auch Polen weiß, dass Gelder aus dem Just Transition Fund auf die Hälfte runtergeschnitten werden, wenn das Bekenntnis zur Klimaneutralität 2050 nicht erfolgt. Das macht deutlich, dass sich jetzt alle bewegen müssen.“

1,8 Billionen schweres Paket

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten hatten sich außerdem nach viertägigen Verhandlungen auf ein 1,8 Billionen Euro schweres Paket geeinigt. Es soll helfen, die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise aufzufangen und den EU-Binnenmarkt zusammenzuhalten. In dem Paket sind 1.074 Milliarden Euro für den siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 vorgesehen und 750 Milliarden Euro als Konjunktur- und Investitionsprogramm.

Die gewährten Rabatte für die Nettozahlerländer wurden mit der Einigung als großer Erfolg auf nationaler Ebene verkauft: So wurde der Rabatt Österreichs vervierfacht, er beträgt jetzt 565 Millionen Euro. Und auch den anderen Nettozahlern wird ein deutlicher Nachlass gewährt. Eigentlich wollte die EU Rabatte abschaffen, die es vor allem wegen Großbritannien gab. In der Praxis wird der Nettobeitrag Österreichs aufgrund des Ausfalls von Großbritannien als großem Nettozahler aber trotz des erhöhten Rabatts steigen, vermuten Experten.

Deutschland zahlt künftig wesentlich mehr in EU-Haushalt

Unterdessen wurde bekannt, dass Deutschland künftig etwa zehn Milliarden Euro jährlich zusätzlich in das EU-Budget zahlen wird. Die Höhe der jährlichen Überweisungen werde damit bei etwa 40 Milliarden Euro brutto liegen, hieß es am Dienstag aus Regierungskreisen in Berlin. Mit eingerechnet seien Zölle und Zuckerabgaben, die Berlin für die EU erhebe. Nicht berücksichtigt ist allerdings, was Deutschland an EU-Geldern zurückerhält.

Nach Angaben der EU-Kommission hatte Deutschland zuletzt rund 25,5 Milliarden Euro pro Jahr in den EU-Haushalt eingezahlt. Hinzu kamen Zolleinnahmen in Höhe von durchschnittlich 4,05 Milliarden Euro. Deutschland bekommt allerdings auch EU-Gelder aus Brüssel. Wie viel die Mehrbelastung künftig unterm Strich ausmacht, blieb zunächst offen. 2018 hatte Deutschland nach Angaben der Kommission rund 13,4 Milliarden Euro mehr in den EU-Haushalt eingezahlt, als es herausbekommen hatte.

„Deutlich mehr herausgeholt als realistisch“

Auch Österreichs Beitrag wächst, allerdings geringer als ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen. Von den 1,5 Milliarden Euro pro Jahr würden durch den Rabatt und die Reduktion des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) rund 700 Millionen pro Jahr übrig bleiben auf sieben Jahre gerechnet, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Gespräch mit der ZIB2. Generell verteidigte Kurz das Coronavirus-Milliardenpaket und den MFF. „Wir haben deutlich mehr herausgeholt, als zuvor realistisch gewesen wäre“, so Kurz. So sei es gelungen, Österreich erstmals in einer Gruppe einzubetten und so das Verhandlungsgewicht enorm zu erhöhen.

Bundeskanzler Kurz im ZIB2-Interview

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) spricht im ZIB2-Interview über die Einigung auf dem EU-Gipfel. Er äußert sich auch zur Kritik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an seiner Person.

Die Reduktion von 500 auf 390 Milliarden Euro hätten zuvor viele für undenkbar gehalten, und „beim mehrjährigen Finanzrahmen sind wir auch weit weg, von dem was zuvor vorgeschlagen wurde“. Zwar sei es richtig, dass Länder mit sehr hohen Staatsschulden gerne mehr Zuschüsse gehabt hätten, doch Österreich zahle für Zuschüsse auch mehr, sagte Kurz. „Am Ende des Tages ist das Paket ein Gutes“, betonte der Bundeskanzler, weil es derzeit in den Krisenländern kein Liquiditätsproblem gebe. „Wenn diese Länder die Kredite nicht wollten, gäbe es diese nicht“, so der Kanzler. Dass diese Länder Zuschüsse aber noch lieber hätten, sei ihm aber auch vollkommen klar. Es gelte aber die EU im Ganzen und die österreichischen Steuerzahler im Blick zu haben, „das ist hoffentlich unbestritten“.

Macron zeitweise „sehr angefressen“

Die Kritik, dass gerade beim Klimaschutz gekürzt worden sei, ließ Kurz wie auch schon davor die Kommissionspräsidentin nicht gelten, denn es werde „so viel Geld wie noch nie in den Klimaschutz investiert“, und insgesamt würden von den 1,8 Billionen 30 Prozent für den Kampf gegen den Klimawandel ausgegeben. „Werner Kogler wäre ein schlechter Grüner, wenn er nicht immer noch mehr für den Klimawandel fordern würde“, reagierte Kurz auf die Kritik seines Vizekanzlers. Die Wahrheit sei, dass es massive Steigerungen für Klimaschutz, Forschung und Erasmus gebe, nur seien diese nicht so hoch, wie es im Vorschlag der EU-Kommission vorgeschlagen worden sei, so Kurz.

Beim Thema Rechtsstaatlichkeit habe sich der ungarische Premier Orban „relativ stark durchgesetzt“, weil der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hier sehr stark Druck gemacht hätten. „Wir Frugale wären hier noch härter gewesen“, so Kurz. In Verhandlungen setze man sich nie zu 100 Prozent durch, doch entscheidend sei, dass jetzt eine neue Gruppe mit fünf Staaten entstanden sei mit gemeinsam so viel Gewicht wie früher Großbritannien. Er setze sich für ein wirtschaftsstarkes und schlankes Europa und den vorsichtigen Umgang mit Steuergeldern ein, so Kurz, daher habe er nichts gegen den Vergleich mit Großbritannien in dieser Frage.

Er verstehe aber, dass es für den französischen Präsidenten unangenehm ist, „dass jetzt auch kleine Länder mitreden“. Das könne man aber nicht ändern. Macron sei zeitweise „sehr angefressen“ gewesen, teils wegen Schlafmangels oder weil er seinen Kopf nicht durchgesetzt habe, so Kurz. Am Ende habe man den Bogen aber nicht überspannt, sondern nur die eigenen Interessen durchgesetzt.

Macron: Konkrete Auswirkungen auf Leben der Franzosen

Macron versprach indes, dass es für die Menschen im Land keine zusätzliche Steuer zur Finanzierung des Coronavirus-Pakets der Europäischen Union geben wird. Langfristig sieht Macron zum Beispiel eine Digitalsteuer für Internetgiganten auf europäischer Ebene, sagte er am Abend in einem TV-Interview. Das europäische Steuerwesen werde umgestaltet. „Es wird sich auf das Leben unserer Bürger auswirken“, sagte Macron über das Konjunktur- und Investitionsprogramm. Frankreich werde 40 Milliarden daraus erhalten. Damit könne man etwa Landwirtinnen und Landwirte unterstützen, gegen Jugendarbeitslosigkeit vorgehen und kleine und mittlere Unternehmen entlasten.

Macron lobte außerdem die deutsch-französische Zusammenarbeit – ohne sie wäre kein Kompromiss zustande gekommen, sagte er. „Dies ist das Ergebnis von drei Jahren Arbeit zwischen Frankreich und Deutschland“, sagte der französische Staatschef. Er bekräftigte noch einmal, dass der Kompromiss der wichtigste Moment seit der Schaffung des Euros sei.