Gesundheitsminister Rudolf Anschober
ORF
Mehr Infizierte

Neue Reisewarnungen auf dem Prüfstand

Die Zahl Coronavirus-Fälle ist in Österreich erneut stark gestiegen: Weit über 200 Neuinfektionen wurden in den letzten 24 Stunden verzeichnet. Von einem exponentiellen Wachstum ist das noch weit entfernt, doch laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sind die Zahlen „alarmierend“. „Nachschärfungen“ im Bereich der Reisewarnungen würden intensiv geprüft – unter anderem für Kroatien.

Laut Anschober ist für Freitag eine Videokonferenz mit den Gesundheitsreferenten der Länder geplant, bei der potenzielle Verschärfungen diskutiert werden sollen. Am Abend würden dann die aktuellen Clusteranalysen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vorliegen, die auch für die weitere Vorgangsweise maßgeblich seien. Bis wann und wie schnell eine Entscheidung fallen werde, sei bisher nicht abzuschätzen. Von einem Tag könne man „keinen 100-prozentigen Schluss“ ziehen.

Schon am Donnerstag hatte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) Reisewarnstufe sechs für Kroatien als „diskutierenswert“ in den Raum gestellt. Auslöser dafür waren vermehrt positiv getestete Reiserückkehrer – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Über eine Mio. Tests seit Beginn der Krise

Faktum sei auch, so Anschober, dass man mit Freitag eine „historische Marke“ überschreite: Über eine Million Tests auf das Coronavirus seien in Österreich seit Beginn der Pandemie durchgeführt worden. „Eine der zentrale Ursachen dafür, warum wir steigende Zahlen haben, ist die steigende Anzahl an Tests“, so Anschober: „Noch nie ist so viel getestet worden wie derzeit.“ In der Analyse müsse man jetzt jedoch ins Detail gehen – die hohe Zahl könne man nicht bagatellisieren. Handle es sich um einen „einmaligen Ausrutscher nach oben“, oder stabilisiere sich der Peak. Erst nach der Clusteranalyse könne man sehen, ob die hohe Zahl mit der höheren Zahl der Tests zusammenhänge oder nicht.

Nach Phase eins mit exponentiellem Wachstum und großen Maßnahmen und Phase zwei mit den zehn Öffnungsschritten sei man nun in Phase drei angekommen. Wie erwartet hätten sich nach den Grenzöffnungen „kleinere und größere regionale Cluster“ gebildet, die sich bisher immer noch im Rahmen der Prognosen befänden – man habe gewusst, dass die Öffnung für den Tourismus ein Risiko darstelle, so Anschober. Infektionen im Ausland seien eine konstante Größe – „dazu gehört der Städteurlaub in Amsterdam genauso wie jemand, der seine Großeltern im Westbalkan besucht hat“. Auch umgekehrt gebe es Menschen, die sich im Österreich-Urlaub anstecken und in ihre Heimatländer zurückreisen würden.

Viele Cluster im Bereich der Familien

Ein weiterer Bereich, in dem viele Infektionen festgestellt würden, seien Familiencluster. So könne man gleich mehrere Cluster auf Familienfeiern zurückführen. Diese würden vor allem durch das Umfeldscreening entdeckt – es handle sich in großem Maße um asymptomatische Fälle, „die wir früher nicht erkannt hätten, weil wir sie nicht getestet hätten“, so Anschober. „Natürlich tut jeder Infektionsfall weh und ist mit ein Grund zur Sorge“, die Erkennung von asymptomatischen Fällen sei allerdings ein wichtiger Schritt bei der Vorbereitung auf den Herbst.

Eine Besonderheit, die sich in den letzten Wochen verstärkt habe, sei die völlige Veränderung der Altersverteilung. In den letzten sieben Tagen sei die dominierende Gruppe unter den Neuinfizierten jene der 15- bis 24-Jährigen gewesen. Der Altersschnitt in Österreich liegt damit im Moment bei 33,7 Jahren. Ein ähnlicher Trend lasse sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten – in Deutschland liege man im Moment bei 34 Jahren.

Über die Gründe dafür könne man nur mutmaßen, nach wie vor gebe es aber den Irrglauben, dass Junge nicht betroffen sein könnten. Fakt sei aber: „Niemand ist sicher“, das Risiko sei nach Alter unterschiedlich, aber betroffen können trotzdem alle sein. Mit der Veränderung der Altersstruktur lasse sich aber auch das Paradoxon erklären, dass bei steigenden Fallzahlen die Zahl der Hospitalisierungen sinke.

Folgewirkungen nicht zu unterschätzen

Dass das Virus auch für Junge dramatisch sein kann, bestätigte in der Pressekonferenz mit Anschober Harun Zwick, ärztlicher Leiter der ambulanten pneumologischen Rehabilitation der Therme Wien. Eine CoV-Infektion sei „kein harmloser Schnupfen“. Wirkliche Langzeitstudien könne es bei einer so jungen Krankheit nicht geben, aus chinesischen Publikationen habe man allerdings bereits erste Hinweise auf Folgewirkungen. Bei über 50 Prozent der Genesenen habe man auch einen Monat nach der Entlassung Veränderungen im Lungen-CT festgestellt, zwei Drittel hätten mit Lungenfunktionsverändungen zu kämpfen – „darunter auch leichte Fälle“. „Selbst bei vermeintlich milden Verläufen gibt es langfristige Beeinträchtigungen“, so Zwick.