Demonstrationen gegen den weißrussichen Präsidenten Alexander Lukaschenko in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Weißrussland

Neue Demos, auch Lukaschenko mobilisiert

Weißrussland steht am Sonntag einmal mehr im Zeichen des Protests: Gegnerinnen und Gegner des Autokaten Alexander Lukaschenko sind wieder zu Zehntausenden auf die Straßen gegangen, im Vorfeld war die Rede vom größten Protest in der Geschichte des Landes. Doch der Staatsapparat will das Bild nach außen dem eigenen Sinne entsprechend zurechtrücken – mit Kundgebungen für Lukaschenko.

Erstmals seit dem Aufkommen der Proteste gegen die Regierung wurden Unterstützungsdemos für Lukaschenko organisiert. Tausende Menschen versammelten sich Sonntagmittag auf dem Unabhängigkeitsplatz in der Hauptstadt Minsk, wie auf Bildern und Videos zu sehen ist. Sie riefen „Für Lukaschenko“. Viele trugen T-Shirts, auf denen „Wir sind uns einig“ stand. Unabhängige Beobachter gingen von 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus. Die Staatsagentur Belta sprach von 50.000.

Auf Freiwilligkeit konnte dabei offenbar nicht gesetzt werden: Medien berichteten, dass Staatsbedienstete in vielen Teilen des Landes gedrängt wurden, in Minsk an den Demos für den Staatschef teilzunehmen. Auf Videos war zu sehen, wie Buskolonnen in Richtung der Hauptstadt fuhren. Die Kundgebung hatte jene Organisation initiiert, die den Präsidenten seit 2007 zum Beispiel bei Wahlkämpfen unterstützt. Es sollten alle Kräfte gebündelt werden, die den Staatskurs unterstützen, hieß es in dem Aufruf.

„Keine Wahlfälschung“

Auf Videos, die auf Twitter verbreitet wurden, ist zu sehen, wie Lukaschenko bei der Demo auftritt und sich für die Unterstützung bedankt. „Ich habe euch nicht hierher gerufen, um mich zu verteidigen. Vielmehr könnt ihr zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert euer Land und dessen Unabhängigkeit verteidigen“, sagte er.

Die Vorwürfe der Fälschung bei der Präsidentenwahl vor einer Woche wies er zurück. Bei Ergebnissen von mehr als 80 Prozent könne es keinen Wahlbetrug geben, sagte er der Staatsagentur Belta zufolge. „Ich stehe hier wie vor Gott.“ Zugleich lehnte er ein Neuwahl ab. „Litauen, Polen und die Ukraine befehlen uns, Neuwahlen abzuhalten“, sagte Lukaschenko.

„Wenn wir uns von denen am Gängelband führen lassen, dann geraten wir ins Trudeln. Dann gehen wir als Nation zugrunde.“ Zum ersten Mal seit 25 Jahren müssten das Land, die Familien, Kinder und Frauen beschützt werden. Lukaschenko regiert Weißrussland seit 26 Jahren mit harter Hand. „Ich bin das erste Mal in meinem Leben auf Knien vor euch“, sagte er in der Rede.

Trauerfeiern für Tote

In Minsk versammelten sich zudem Zehntausende Anhänger der weißrussischen Opposition zu einer der größten Kundgebungen der vergangenen Tage. Bei ihrem „Marsch der Freiheit“ riefen die Demonstranten Lukaschenko erneut zum Rücktritt auf.

Schon am Samstag waren in Minsk erneut Zehntausende Menschen gegen Lukaschenko auf die Straße gegangen. Einige legten Blumen an der Stelle nieder, wo vergangene Woche ein Demonstrant getötet worden war. Die Menge skandierte „Lukaschenko ist ein Mörder“ und „Verschwinde“.

In der Hand des Demonstranten soll nach Darstellung der Behörden ein Sprengsatz explodiert sein. Viele zweifeln an dieser Version. Unterdessen nahmen am Sonntag in der Stadt Gomel Hunderte Menschen Abschied von einem jungen Mann, der bei den Protesten gegen Lukaschenko festgenommen wurde und später im Krankenhaus starb.

Blumen wurden niedergelegt und Kerzen entzündet, wie auf Bildern zu sehen war. Seine Mutter macht die Polizei für den Tod verantwortlich. Der junge Mann, der eine Herzkrankheit gehabt habe, sei am Wahlsonntag auf dem Weg zu seiner Freundin festgenommen worden und in Polizeigewahrsam im Krankenhaus gestorben. Die Polizei bestätigte das erst am Mittwoch und teilte mit, die Gerichtsmedizin müsse die Todesursache klären.

Dialog mit Opposition abgelehnt

Seit der Präsidentenwahl vor einer Woche gibt es landesweit Proteste empörter Bürgerinnen und Bürger, die nicht an einen Wahlsieg Lukaschenkos glauben. Der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Lukaschenko hatte sich bei seiner inzwischen sechsten Wahl mit gut 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Viele seiner Gegnerinnen und Gegner, die im ganzen Land demonstrieren, fragen sich seit Tagen, wo diese 80 Prozent sind.

Der als „letzter Diktator Europas“ kritisierte Lukaschenko zeigt sich bisher weitgehend unbeeindruckt von den Protesten. Er lehnt einen Dialog mit der Opposition oder eine Vermittlung aus dem Ausland ab. Den Sieg bei der Wahl beansprucht die 37-jährige, aus Sicherheitsgründen nach Litauen ausgereiste Swetlana Tichanowskaja für sich. Ihre Unterstützer fordern einen Rücktritt Lukaschenkos, die Freilassung aller Gefangenen und eine Neuwahl.

Swetlana Tichanowskaja
AP/Sergei Grits
Tichanowskaja reiste nach der Wahl aus Sicherheitsgründen nach Litauen aus

Der 65-jährige Lukaschenko hatte die Demonstrantinnen und Demonstranten als vom Ausland manipuliert, bezahlt sowie als Menschen mit krimineller Vergangenheit und als Arbeitslose bezeichnet. Danach traten auch Arbeitskollektive in vielen Staatsbetrieben in den Streik. Lukaschenko spricht immer wieder auch von einer Gefahr aus dem Ausland, ohne Details zu nennen.

Russland sichert Hilfe im Ernstfall zu

Zuletzt ordnete er die Verlegung von Fallschirmjägern nach Grodno im Westen des Landes an. In der Region sei die Lage gespannt, sagte er bei einer vom staatlichen TV übertragenen Sitzung des Generalstabs. Lukaschenko wies zudem das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie den Geheimdienst KGB an, keine „ungesetzlichen Aktionen“ im Land zuzulassen. Konkret planten seine Gegner eine Menschenkette vom EU-Land Litauen durch Weißrussland in die Ukraine. Diese Solidaritätsaktion für die Proteste müsse verhindert werden.

„Ich habe keine anderen Ziele, als einen unabhängigen und stabilen Staat zu erhalten“, sagte Lukaschenko. Er hatte auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat um Hilfe gebeten. Staatliche Medien korrigierten am Samstagabend Aussagen Lukaschenkos, wonach Russland militärisch einschreiten könnte.

Am Sonntag hieß es aus Moskau hingegen, dass Putin Lukaschenko militärische Hilfe zugesagt habe. Auf Weißrussland werde Druck von außen ausgeübt, erklärte das Moskauer Präsidialamt nach einem Telefonat Putins mit Lukaschenko. Russland sei daher bereit, im Rahmen des mit dem Nachbarland bestehenden Militärabkommens zu helfen. Woher der Druck von außen komme, habe Putin offengelassen. Lukaschenko selbst warf der NATO einen Truppenaufmarsch an seiner Westgrenze vor. Panzer und Flugzeuge stünden nur 15 Minuten von der Grenze entfernt, sagte Lukaschenko vor Tausenden seiner Anhänger in Minsk.

„Russland rettet keine stürzenden Regime“

Der weißrussische Analyst Artjom Schraibman hält eine russische Militärintervention zur Unterstützung Lukaschenkos für äußerst unwahrscheinlich. „Russland rettet keine stürzenden Regime mit Streitkräften“, teilte er mit. Möglich sei, dass ein Präsident herausgeholt werde aus dem Land. „Aber ein Regime retten, das keine Basis an Unterstützern mehr hat – nein.“ Schraibman meinte auch, Russland sei schon jetzt wegen des Ukraine-Konflikts mit Sanktionen belegt und habe kein Interesse an einer weiteren Eskalation auf internationaler Bühne.

Ähnlich sieht das die weißrussische Oppositionelle Maria Kalesnikawa. „Ich glaube nicht, dass Putin eingreift, es wäre auch ein dummer Schritt“, sagte sie der deutschen Zeitung „Bild am Sonntag“. „Die Unterstützung in Belarus ist groß, wir wollen in einem freien und europäischen Land leben.“ EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Misshandlung von Demonstranten lehnt die Oppositionelle unterdessen ab. Die Betreffenden müssten „nach belarussischem Recht“ bestraft werden, sagte die Oppositionelle der Zeitung. „Die Bestrafung muss hier stattfinden.“

EU brachte Sanktionen auf den Weg

Die EU hatte am Freitag wegen der Polizeigewalt in Weißrussland neue Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos in die Wege geleitet, es soll auch Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

Russland und Weißrussland sind traditionell verbündet. Doch vor der Wahl waren die Beziehungen angespannt, nachdem Russland Subventionen für Lukaschenkos Regierung gekürzt hatte. Putin dringt seit Längerem auf eine engere Verbindung in einem gemeinsamen Staat, was Lukaschenko bisher abgelehnt hat. Er wirft Russland vor, sein Land mit 9,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern schlucken zu wollen. Russland betrachtet Weißrussland als Puffer gegenüber der NATO und dem Westen.