Containerschiff auf See
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Mercosur-Abkommen

Abstimmung geht in heiße Phase

Die Abstimmung zum Mercosur-Abkommen geht in die heiße Phase. Derzeit wird der Abkommenstext zur Bildung der größten Freihandelszone der Welt noch in alle EU-Amtssprachen übersetzt, im Oktober soll er dann den EU-Ländern zur Genehmigung vorgelegt werden. Kritiker und Kritikerinnen befürchten, dass mit dem Deal aber nicht nur der Handel, sondern auch die Umweltzerstörung angekurbelt wird.

Mehr als 20 Jahre haben die Verhandlungen der EU mit den Mercorsur-Staaten gedauert – im Juni des vergangenen Jahres konnte dann eine Einigung über den Abkommenstext erzielt werden. Doch bevor das Abkommen nun endgültig in Kraft treten kann, muss es von allen EU-Mitgliedsstaaten sowie dem Europäischen Parlament ratifiziert werden. Und das könnte gar nicht so einfach werden, haben doch bereits die Niederlande, Frankreich und Österreich angekündigt, ihr Veto einzulegen.

„Unser klares Nein zu Mercosur werden wir auch weiter vertreten. Wir lassen uns unsere Lebensmittelstandards nicht untergraben“, hieß es dazu von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) Anfang August. Kritisiert wurde seitens des Landwirtschaftsministeriums vor allem eine EU-Studie zur Abschätzung der Folgen für die Nachhaltigkeit, bei der wichtige Aspekte wie die Auswirkung der Coronavirus-Krise nicht berücksichtigt wurden. Auch sollen veraltete Daten herangezogen worden sein.

Abholzung im brasilianischen Regenwald
APA/AFP/Mayke Toscano
Kritiker des Abkommens befürchten dramatische Folgen für die Umwelt – etwa eine fortschreitende Abholzung des Regenwaldes

Widerstand seitens EU-Agrarminister

Da „keine aktualisierte Nachhaltigkeitsprüfung vor dem Abschluss des Abkommens“ vorgelegt worden ist, brachten Menschenrechts- und Umweltorganisationen eine Beschwerde bei der EU ein und forderten, den Ratifizierungsprozess auszusetzen, bis die Auswirkungen auf die Umwelt geklärt seien. Schließlich habe die Kommission bei den Verhandlungen nicht darauf geachtet, dass das Abkommen nicht zu einer sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Verschlechterung oder zu einer Verletzung der Menschenrechte führt, kritisierten die Organisationen. Ergebnis der Beschwerdeuntersuchung liegt noch keines vor.

Mercosur

Mitglieder des Wirtschaftsbündnis „Gemeinsamer Markt Südamerikas“ sind Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay. Der Mercosur will nach dem Vorbild der Europäischen Union mit Zoll- und Reiseerleichterungen den gemeinsamen Austausch und Handel stärken.

Anfang September sprachen sich auch Agrarminister und -ministerinnen nahezu aller europäischen Länder gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommen aus. Wenn in Brasilien Regenwald gerodet werde, um möglichst schnell an Ackerland zu kommen und mit niedrigen Auflagen Futter- und Lebensmittel zu produzieren, „dann sei das eine Wettbewerbsverzerrung“, so die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Sie sehe das Mercosur-Abkommen „noch nicht ratifiziert“. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich skeptisch. Unter den derzeitigen Umständen könne sie sich nicht vorstellen, dass eine Unterzeichnung ein gutes Signal sei, so Merkel am Mittwoch.

Abkommen als „Klimakiller“

Auch Umwelt- und Klimaschützer zeigen sich ob der Folgen des Freihandelsdeals besorgt. Die globalisierungskritische Organisation ATTAC warnt ebenso vor der Zunahme der Abholzung des Regenwaldes, da steigende Fleischlieferungen zu mehr Rodungen für Weideflächen führen könnten. Das hätte widerum nicht nur mehr Brände, sondern auch einen höheren CO2-Ausstoß zur Folge. Weniger Artenvielfalt, laxere Lebensmittelkontrollen sowie mehr Pestizide seien zusätzliche Nebeneffekte des Abkommens.

ATTAC kritisiert außerdem das Kapitel zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit in dem Vertrag. Zwar verpflichte es die Staaten etwa zur Einhaltung der Pariser Klimaziele, allerdings gebe es keine Sanktionsmöglichkeiten, es könne somit keinen ausreichenden Schutz garantieren. ATTAC spricht vom Mercosur-Abkommen daher als „Klimakiller“. Nicht zuletzt seien auch die langen Transportwege in Zeiten der Klimakrise unverantwortlich, so Kritiker. Auch Greenpeace fordert, das Abkommen komplett neu aufzusetzen.

Verbraucherschutzorganisationen bemängeln, dass für das Abkommen die in Europa recht hohen Standards abgesenkt werden könnten, um den Exporteuren aus den Mercosur-Ländern den Marktzugang zu erleichtern. Befürchtet wird auch, dass Produkte aus Südamerika wie Fleisch die heimischen Preise senken und den Druck auf kleinbäuerliche Landwirtschaft erhöhen könnte.

Brasilien weist Bedenken zurück

Brasilien wies Ende August europäische Bedenken gegen das Abkommen indes zurück. Es sei „schwer nachvollziehbar“, welchen Vorteil eine Ablehnung des Abkommens für den Umweltschutz hätte, hieß es seitens des brasilianischen Außenministeriums, das auf die Umweltschutzklauseln verwies.

Auf europäischer Seite besteht die Sorge, dass sich südamerikanische Länder, wenn das Abkommen nicht zustande kommt, verstärkt China zuwenden könnten – und Klimaschutzstandards dann gar keine Rolle mehr spielen. Handelsabkommen würden daher die Möglichkeit eröffnen, bessere Sozial- und Umweltstandards in die Mercosur-Länder zu exportieren, so das Argument. Bereits jetzt ist Asien der wichtigste Exportpartner des Mercosur.

Befürworter: Potenzial für Krisenbewältigung

Befürworter betonen zudem die wirtschaftlichen Vorteile, die gerade in der aktuellen Situation großes Potenzial böten, die wirtschaftliche Krise besser bewältigen zu können. Brasilien sprach dabei etwa von „unzähligen Handels- und Investitionsmöglichkeiten“. Zudem wurde in der Vergangenheit immer wieder die große Chance für Betriebe und Arbeitsplätze hervorgehoben.

So schreibt etwa auch die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Kommentar: „Klar ist in jedem Fall, dass die EU mit Vertrag mehr bewegen kann als ohne. Denn solche Handelsabkommen bringen nicht nur Jobs und Wohlstand, sondern sind auch eines der wirksamsten Werkzeuge, um Einfluss zu nehmen und Europas Interessen auf anderen Kontinenten zu verteidigen.“

Ein Mann pflückt auf einem Feld Tabakblätter
APA/AFP/Juan Barreto
Die Mercosur-Staaten exportieren vor allem Nahrungsmittel, Getränke und Tabak in die EU

Größte Freihandelszone der Welt

Das Credo laute: internationale Zusammenarbeit statt nationaler Alleingänge. Der Vertrag würde mit 780 Millionen Menschen tatsächlich die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Das soll Unternehmen in der EU jährlich vier Milliarden Euro an Zöllen ersparen, die Exporte ankurbeln und den Verbrauchern eine größere Auswahl sowie niedrigere Preise verschaffen.

Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen – die südamerikanischen Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern. Kritiker halten dem entgegen, dass gerade die Coronavirus-Pandemie etwa durch Lieferengpässe gezeigt habe, dass die Globalisierung ohnehin bereits zu weit gegangen sei.

„Keine Chance“ auf Ratifizierung in der EU?

Auch in Südamerika selbst scheint man sich über das Abkommen nicht ganz einig zu sein: Während Brasilien, Uruguay und Paraguay für eine liberale Handelspolitik stehen und den Vertrag zügig ratifizieren wollen, setzt Argentinien unter der neuen linken Regierung eher auf den Schutz seiner Märkte und tritt auf die Bremse.

Während sich Argentinien aber trotzdem zum Wirtschaftsbündnis bekennt, herrscht in der EU nach wie vor Uneinigkeit. Zwar wird auch bereits über mögliche Zusatzvereinbarungen für den Deal „aus dem letzten Jahrhundert“, wie er von Greenpeace genannt wird, debattiert, allerdings würden diese von der brasilianischen Regierung bisher „rigoros“ abgelehnt. „Solange das so bleibt, gibt es in der EU keine Chance auf Ratifizierung“, so der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, gegenüber der „SZ“.

Doch selbst wenn nicht alle EU-Länder der Ratifizierung zustimmen, könnten Teile des Abkommens in Kraft gesetzt werden – nämlich jene, die ausschließlich in die Kompetenz der EU und nicht in die der einzelnen Länder fallen.