Wiener Staatsoper: Großer Wurf zum Einstand

Wenn große Oper ein Gesamtkunstwerk sein will, dann ist die Wiener Staatsoper zum Einstand der neuen Direktion Bogdan Roscic/Philippe Jordan diesem Anspruch sehr, sehr nahe gekommen. Die Wiederaufnahme bzw. Adaption der erfolgreichen New Yorker Met-Inszenierung von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“ in der Regie des mittlerweile verstorbenen Filmfachmanns Anthony Minghella entpuppte sich gestern Abend als Glücksfall.

Puccinis Oper, die eigentlich nur aus holzschnittartigen Vorhofszenen zu einer unglücklichen Liebesbeziehung zwischen der Japanerin Cio-Cio-San (Asmik Griogian) und dem Yankee Benjamin Franklin Pinkerton (Freddie De Tommaso) besteht, war in der szenischen Handschrift Minghellas insofern das viel zitierte ‚große Kino‘, weil in dieser Inszenierung bis zum Selbstmord der unglücklichen Ex-Geisha nie der Spannungsbogen verloren ging – die ganze „Butterfly“ zum Nachschauen in tvthek.ORF.at.

Szene aus Madame Butterfly
ORF/Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Oper als großes Kino und Fest der Farben und Fantasien

Im Sog der Inszenierung

Die farbenfrohe, in atemberaubendes Licht gesetzte Inszenierung zog das Publikum von Anfang an in den Bann. Dass Philippe Jordan die Wiener Philharmoniker dazu so temporeich wie nuanciert führt und sich Steigerungen für den Entscheidungsteil offenhält, zeigt die Abgebrühtheit dieses 45-jährigen Maestros, der zwischen dem gerade für Puccini so wichtigen und mit den Philharmonikern so gut zu habenden Wohlklang und der gewitzten Ausstellung der teils exotischen Motivideen dieser Oper klug oszilliert. Jordan bringt auch die speziellen Klangfarben dieses sanft am Exotismus schnuppernden Werkes liebevoll zum Leuchten.

Alles ist natürlich auf die Arie „Un bel di, vedremo“ und das Strahlen von Asmik Grigorian als Star dieses Abends hinprogrammiert. Sie löst diese Aufgabe mit Bravour – und doch fragen sich am Ende einige, warum sie als Salome in Salzburg mehr überzeugt habe. Die Antwort ist einfach: Richard Strauss will von der Hauptdarstellerin mehr Expression – der Italiener Puccini natürlich Pathos in seiner Schmerz-Schmelz-Mischung; und da ist das Halten in den ganz hohen Lagen gefragt.

Szene aus Madame Butterfly
ORF/Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Asmik Grigorian als Cio-Cio-San und Boris Pinkhasovich als Sharpless überzeugen an diesem Abend am meisten

Es ist großer Mut, die „Butterfly“ so jung zu besetzen. Freddie De Tommaso als Pinkerton ist ein Newcomer auf der Opernbühne. Er ist in dieser Inszenierung perfekt geführt – und hat noch Luft nach oben, nicht zuletzt im Ausdruck (als Yankee ist er von starker Statur, aber doch auch ein wenig zu sanftmütig). So bleibt bei den Männerstimmen Sharpless der Gewinner dieses Abends. Boris Pinkhasovich ist als neues Ensemblemitglied der Staatsoper ein Gewinn für das Haus – und ein Fingerzeig Richtung Zukunft.

Der ehemalige Labelchef Roscic wird an der Oper seinen bisherigen Zugang zum Fach fortsetzen: Wo, wenn nicht an einer der besten Bühnen der Welt, findet und probiert man die Stars von morgen. Wohin die Reise gehen soll, ist seit diesem 7. September deutlich.

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